Saar-Schulen machen mit bei der Juniorwahl
Demokratie zum Anfassen sozusagen: Das ist die bundesweite Juniorwahl, bei dem Schülerinnen und Schüler einen Urnengang durchspielen können, so wie in der Wirklichkeit. Wir haben bei zwei Schulen in Saarbrücken zugeschaut.
Bundesweit spielen Schüler zurzeit durch, wie eine Wahl funktioniert. Auch saarländische Schulen beteiligen sich an dem Projekt Juniorwahl, dessen Ergebnis – wie bei der echten Bundestagswahl – am Sonntag feststeht.
SAARBRÜCKEN Ein Lehrer läuft im Gewimmel an der Wahlurne vorbei. „Gibt’s schon Hochrechungen?“, fragt er – im Scherz. Denn das Wahlergebnis wird erst am Sonntag bekannt, um 18 Uhr. Wie bei der leibhaftigen Bundestagswahl. Hier auf dem „Glashaus“genannten sonnigen Flur im Saarbrücker Otto-Hahn-Gymnasium läuft an diesem Mittwoch gerade die „Juniorwahl“: Die Schule simuliert eine Bundestagswahl für ihre Schülerinnen und Schüler ab der Klasse 9. Mit Wahlbenachrichtigung, Wahlhelfern, zwei Kabinen und einer Urne, in der man den Wahlzettel versenken kann – der ist originalgetreu und trägt sogar saarländischer Realität Rechnung: Eine Zweitstimme für die Grünen ist diesmal unmöglich.
Seit 1999 gibt es Juniorwahlen, bundesweit seit 2002; getragen werden sie vom als überparteilich und gemeinnützig anerkannten Verein Kumulus in Berlin. Der und die teilnehmenden Schulen wollen so das Interesse von Jugendlichen an Politik fördern, Begeisterung wecken für politische Teilhabe und, so formuliert es der Verein, eine „Wertschätzung des demokratischen Systems vermitteln“. 4513 Schulen sind bei dieser fiktiven Bundestagswahl dabei, Rekord bisher. Aus dem Saarland sind es nur 40, unter anderem aus Wadern, St. Ingbert, Illingen und Merzig. Mehr waren nicht möglich, auch wenn mehr Schulen aus dem Saarland angefragt hatten; denn die Juniorwahl will ein repräsentatives Gesamt-Wahlergebnis erreichen, sodass kleinere Länder mit entsprechend weniger Schülerinnen und Schülern beteiligt sind als große: Nordrhein-Westfalen liegt mit 632 Schulen vorne.
Im Wahllokal im Otto-Hahn-Gymnasium ist das Interesse groß und die Schlange lang – wählen muss man aber nicht. Die Politiklehrerin Joyce Barbian hat die Wahl zum dritten Mal organisiert; drei Schülerinnen und Schüler aus ihrem Politik-Leistungskurs bilden gerade die Wahlkommission, schauen, dass alles rechtens ist. Aber zwischendurch haben sie Zeit, über ihre Erfahrungen mit der Wahl zu sprechen, die eben mehr ist als der reine Akt des Wählens. Zuvor wird im Unterricht intensiv etwa über das Wahlsystem gesprochen, Programme werden analysiert. „Das Interesse an Politik wird so noch einmal größer“, sagt die Schülerin Antonia Missy. Im Politik-Leistungskurs sei es ohnehin Pflicht, sich die „Tagesschau“anzusehen, es werde über politische Themen und die Programme der Parteien bisweilen kontrovers diskutiert, „aber Streit gibt es nicht“. Das Klischee der unpolitischen und wenig informierten Jugend ist für sie eben genau das – ein Klischee. „Wir können uns schon sehr gut eine fundierte Meinung bilden.“Im März 2022 wird sie 18, wenige Tage vor der Landtagswahl im Saarland. „Das wird meine erste richtige Wahl.“Sehr gespannt ist sie jetzt auf die Ergebnisse der Juniorwahl und der „richtigen Wahl“, die in jedem Fall nach 16 Jahren Angela Merkel eine neue Kanzlerschaft mit sich bringt. „Das wird ungewohnt, denn ich bin ja sozusagen mit ihr aufgewachsen.“
Annika Kalju sagt, das Verhältnis zur Politik habe sich ziemlich verändert, sie würde sich die Wahlprogramme der Parteien jetzt viel genauer anschauen. Bei der Information setze sie auf Zeitung (digital) und Fernsehen, weniger auf soziale Medien. Sie plädiert für ein Wahlrecht ab 16, denn es sei „frustrierend“, dass man zwar demonstrieren könne, aber letztlich keine politische Stimme habe. Das sieht Dominik Kneip etwas anders: Jetzt noch nicht wählen zu dürfen, sei schon frustrierend, andererseits gebe es doch viele junge Menschen, die „sich nicht informieren und sich leicht lenken lassen. In diesem Alter ist man angreifbar“– nicht zuletzt durch Fehlinformationen und Manipulationen in den sozialen Medien.
Das Wahllokal füllt sich zunehmend, weitere Kurse gehen an die Urne – es wird Zeit, bei den Willi-Graf-Schulen am Sachsenweg vorbeizuschauen. Dort ist es noch ruhig – denn gewählt wird erst an diesem Freitag, zwischen 8.15 und 15 Uhr. Es ist die erste Juniorwahl an der Schule. Für den Gymnasialzweig haben Dr. Tim Kallenborn, Christina Radermacher und der Rektor Stefan
Kilz (alle Bereich Politik) die Wahl organisiert, für die zehnte Klasse des Realschulzweigs Kerstin Strupp und Philipp Bodenstein.
Über 80 junge Wahlhelfer, eingewiesen unter anderem per Videokonferenz, sind am Freitag dabei. Die Ergebnisse aller Schulen werden am Wochenende gesammelt, am Sonntag auf der Internetseite der Wahl-Aktion veröffentlicht – und auch dem Bundestag vorgelegt. „Wir sind alle begeistert“, sagt Lehrer Kallenborn, „die Schülerinnen und Schüler können die Wahl von der Pike auf miterleben. Es ist sehr spannend zu sehen, wie sie sich engagieren – und was sie letztlich wählen.“
Und was sagen die Schülerinnen und Schüler? Die Juniorwahl habe zu vielen politischen, für alle fruchtbaren Diskussionen geführt. Man habe sich die Programme und die Wahlkreiskandidaten sehr genau angeschaut, sagen einige Schülerinnen und Schüler im Wahllokal. „Wir haben uns die Programme auch unter dem Aspekt angeschaut“, sagt Julia Herian, „ob die realistisch sind und sich überhaupt umsetzen lassen. Da ist eine gesunde Skepsis angebracht.“Das Spektrum der Diskussionen sei sehr breit gewesen, sagt Paula Schorr, die einzelnen favorisierten Parteien würden im Unterricht aber nicht genannt, „nur unter uns“.
Den üblichen Vorwurf, die Jugend sei unpolitisch, wollen die Schülerinnen und Schüler nicht mehr hören. „Vielleicht ist die junge Generation ja politischer als die, die aus Gewohnheit seit 30 Jahren dieselbe Partei wählt“, sagt Laura Schröder. Noah Scherschel spricht von einer „Generationenwahl“: Die Älteren wählten vor allem für die Gegenwart, die Jüngeren für die Zukunft. „Was jetzt gewählt wird, kriegen wir in 30, 40 Jahren zu spüren, ob gut oder schlecht.“Deshalb fände er ein Wahlrecht ab 16 Jahren sinnvoll, wenn man so mit Informationen begleitet werde wie bei der Juniorwahl. Die Vorbehalte der Älteren gegen ein niedrigeres Wahlalter könnte gerade die Juniorwahl abbauen helfen, denkt Felix Schlicher. „Die Ergebnisse der Wahl werden ja dem Bundestag übermittelt, da fühlt man sich schon gehört. Die Juniorwahl könnte ein Beleg dafür sein, dass Jugendliche mitentscheiden sollen.“Die nächste Juniorwahl an den Willi-Graf-Schulen steht schon an, wie Politiklehrerin Christina Radermacher erklärt: die saarländische Landtagswahl am 27. März 2022, verbunden mit einem vorherigen Besuch des Landtags.
„Da ist gesunde Skepsis angebracht.“Schülerin Julia Herian über die Versprechen der Parteien in den Wahlprogrammen
Die Ergebnisse der Juniorwahl findet man am Sonntag ab 18 Uhr unter www.juniorwahl.de