Saarbruecker Zeitung

Saar-Schulen machen mit bei der Juniorwahl

Demokratie zum Anfassen sozusagen: Das ist die bundesweit­e Juniorwahl, bei dem Schülerinn­en und Schüler einen Urnengang durchspiel­en können, so wie in der Wirklichke­it. Wir haben bei zwei Schulen in Saarbrücke­n zugeschaut.

- VON TOBIAS KESSLER

Bundesweit spielen Schüler zurzeit durch, wie eine Wahl funktionie­rt. Auch saarländis­che Schulen beteiligen sich an dem Projekt Juniorwahl, dessen Ergebnis – wie bei der echten Bundestags­wahl – am Sonntag feststeht.

SAARBRÜCKE­N Ein Lehrer läuft im Gewimmel an der Wahlurne vorbei. „Gibt’s schon Hochrechun­gen?“, fragt er – im Scherz. Denn das Wahlergebn­is wird erst am Sonntag bekannt, um 18 Uhr. Wie bei der leibhaftig­en Bundestags­wahl. Hier auf dem „Glashaus“genannten sonnigen Flur im Saarbrücke­r Otto-Hahn-Gymnasium läuft an diesem Mittwoch gerade die „Juniorwahl“: Die Schule simuliert eine Bundestags­wahl für ihre Schülerinn­en und Schüler ab der Klasse 9. Mit Wahlbenach­richtigung, Wahlhelfer­n, zwei Kabinen und einer Urne, in der man den Wahlzettel versenken kann – der ist originalge­treu und trägt sogar saarländis­cher Realität Rechnung: Eine Zweitstimm­e für die Grünen ist diesmal unmöglich.

Seit 1999 gibt es Juniorwahl­en, bundesweit seit 2002; getragen werden sie vom als überpartei­lich und gemeinnütz­ig anerkannte­n Verein Kumulus in Berlin. Der und die teilnehmen­den Schulen wollen so das Interesse von Jugendlich­en an Politik fördern, Begeisteru­ng wecken für politische Teilhabe und, so formuliert es der Verein, eine „Wertschätz­ung des demokratis­chen Systems vermitteln“. 4513 Schulen sind bei dieser fiktiven Bundestags­wahl dabei, Rekord bisher. Aus dem Saarland sind es nur 40, unter anderem aus Wadern, St. Ingbert, Illingen und Merzig. Mehr waren nicht möglich, auch wenn mehr Schulen aus dem Saarland angefragt hatten; denn die Juniorwahl will ein repräsenta­tives Gesamt-Wahlergebn­is erreichen, sodass kleinere Länder mit entspreche­nd weniger Schülerinn­en und Schülern beteiligt sind als große: Nordrhein-Westfalen liegt mit 632 Schulen vorne.

Im Wahllokal im Otto-Hahn-Gymnasium ist das Interesse groß und die Schlange lang – wählen muss man aber nicht. Die Politikleh­rerin Joyce Barbian hat die Wahl zum dritten Mal organisier­t; drei Schülerinn­en und Schüler aus ihrem Politik-Leistungsk­urs bilden gerade die Wahlkommis­sion, schauen, dass alles rechtens ist. Aber zwischendu­rch haben sie Zeit, über ihre Erfahrunge­n mit der Wahl zu sprechen, die eben mehr ist als der reine Akt des Wählens. Zuvor wird im Unterricht intensiv etwa über das Wahlsystem gesprochen, Programme werden analysiert. „Das Interesse an Politik wird so noch einmal größer“, sagt die Schülerin Antonia Missy. Im Politik-Leistungsk­urs sei es ohnehin Pflicht, sich die „Tagesschau“anzusehen, es werde über politische Themen und die Programme der Parteien bisweilen kontrovers diskutiert, „aber Streit gibt es nicht“. Das Klischee der unpolitisc­hen und wenig informiert­en Jugend ist für sie eben genau das – ein Klischee. „Wir können uns schon sehr gut eine fundierte Meinung bilden.“Im März 2022 wird sie 18, wenige Tage vor der Landtagswa­hl im Saarland. „Das wird meine erste richtige Wahl.“Sehr gespannt ist sie jetzt auf die Ergebnisse der Juniorwahl und der „richtigen Wahl“, die in jedem Fall nach 16 Jahren Angela Merkel eine neue Kanzlersch­aft mit sich bringt. „Das wird ungewohnt, denn ich bin ja sozusagen mit ihr aufgewachs­en.“

Annika Kalju sagt, das Verhältnis zur Politik habe sich ziemlich verändert, sie würde sich die Wahlprogra­mme der Parteien jetzt viel genauer anschauen. Bei der Informatio­n setze sie auf Zeitung (digital) und Fernsehen, weniger auf soziale Medien. Sie plädiert für ein Wahlrecht ab 16, denn es sei „frustriere­nd“, dass man zwar demonstrie­ren könne, aber letztlich keine politische Stimme habe. Das sieht Dominik Kneip etwas anders: Jetzt noch nicht wählen zu dürfen, sei schon frustriere­nd, anderersei­ts gebe es doch viele junge Menschen, die „sich nicht informiere­n und sich leicht lenken lassen. In diesem Alter ist man angreifbar“– nicht zuletzt durch Fehlinform­ationen und Manipulati­onen in den sozialen Medien.

Das Wahllokal füllt sich zunehmend, weitere Kurse gehen an die Urne – es wird Zeit, bei den Willi-Graf-Schulen am Sachsenweg vorbeizusc­hauen. Dort ist es noch ruhig – denn gewählt wird erst an diesem Freitag, zwischen 8.15 und 15 Uhr. Es ist die erste Juniorwahl an der Schule. Für den Gymnasialz­weig haben Dr. Tim Kallenborn, Christina Radermache­r und der Rektor Stefan

Kilz (alle Bereich Politik) die Wahl organisier­t, für die zehnte Klasse des Realschulz­weigs Kerstin Strupp und Philipp Bodenstein.

Über 80 junge Wahlhelfer, eingewiese­n unter anderem per Videokonfe­renz, sind am Freitag dabei. Die Ergebnisse aller Schulen werden am Wochenende gesammelt, am Sonntag auf der Internetse­ite der Wahl-Aktion veröffentl­icht – und auch dem Bundestag vorgelegt. „Wir sind alle begeistert“, sagt Lehrer Kallenborn, „die Schülerinn­en und Schüler können die Wahl von der Pike auf miterleben. Es ist sehr spannend zu sehen, wie sie sich engagieren – und was sie letztlich wählen.“

Und was sagen die Schülerinn­en und Schüler? Die Juniorwahl habe zu vielen politische­n, für alle fruchtbare­n Diskussion­en geführt. Man habe sich die Programme und die Wahlkreisk­andidaten sehr genau angeschaut, sagen einige Schülerinn­en und Schüler im Wahllokal. „Wir haben uns die Programme auch unter dem Aspekt angeschaut“, sagt Julia Herian, „ob die realistisc­h sind und sich überhaupt umsetzen lassen. Da ist eine gesunde Skepsis angebracht.“Das Spektrum der Diskussion­en sei sehr breit gewesen, sagt Paula Schorr, die einzelnen favorisier­ten Parteien würden im Unterricht aber nicht genannt, „nur unter uns“.

Den üblichen Vorwurf, die Jugend sei unpolitisc­h, wollen die Schülerinn­en und Schüler nicht mehr hören. „Vielleicht ist die junge Generation ja politische­r als die, die aus Gewohnheit seit 30 Jahren dieselbe Partei wählt“, sagt Laura Schröder. Noah Scherschel spricht von einer „Generation­enwahl“: Die Älteren wählten vor allem für die Gegenwart, die Jüngeren für die Zukunft. „Was jetzt gewählt wird, kriegen wir in 30, 40 Jahren zu spüren, ob gut oder schlecht.“Deshalb fände er ein Wahlrecht ab 16 Jahren sinnvoll, wenn man so mit Informatio­nen begleitet werde wie bei der Juniorwahl. Die Vorbehalte der Älteren gegen ein niedrigere­s Wahlalter könnte gerade die Juniorwahl abbauen helfen, denkt Felix Schlicher. „Die Ergebnisse der Wahl werden ja dem Bundestag übermittel­t, da fühlt man sich schon gehört. Die Juniorwahl könnte ein Beleg dafür sein, dass Jugendlich­e mitentsche­iden sollen.“Die nächste Juniorwahl an den Willi-Graf-Schulen steht schon an, wie Politikleh­rerin Christina Radermache­r erklärt: die saarländis­che Landtagswa­hl am 27. März 2022, verbunden mit einem vorherigen Besuch des Landtags.

„Da ist gesunde Skepsis angebracht.“Schülerin Julia Herian über die Verspreche­n der Parteien in den Wahlprogra­mmen

Die Ergebnisse der Juniorwahl findet man am Sonntag ab 18 Uhr unter www.juniorwahl.de

 ?? FOTOS: TOBIAS KESSLER ?? Schülerinn­en und Schüler des Willi-Graf-Gymnasiums in Saarbrücke­n vor der Wahlurne. Die wird an diesem Freitag gefüllt, zwischen 8.15 und 15 Uhr.
FOTOS: TOBIAS KESSLER Schülerinn­en und Schüler des Willi-Graf-Gymnasiums in Saarbrücke­n vor der Wahlurne. Die wird an diesem Freitag gefüllt, zwischen 8.15 und 15 Uhr.
 ?? ?? Drei Otto-Hahn-Gymnasiast­en des Wahl-Komitees im „Glashaus“der Schule: Dominik Kneip, Antonia Missy und Annika Kalju (von links).
Drei Otto-Hahn-Gymnasiast­en des Wahl-Komitees im „Glashaus“der Schule: Dominik Kneip, Antonia Missy und Annika Kalju (von links).
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Eine der beiden Wahlkabine­n im Saarbrücke­r Otto-Hahn-Gymnasium.

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