Debatte um Ende der Corona-Notlage spaltet auch im Saarland die Politik
Saar-Gesundheitsministerin Bachmann (CDU) unterstützt den Vorschlag, die „epidemische Lage“für beendet zu erklären. Die SPD sieht das ganz anders.
SAARBRÜCKEN/BERLIN (ter/dpa) Die Saar-Politik ist uneins über den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die „epidemische Lage nationaler Tragweite“zum 25. November zu beenden. Auch in den sozialen Medien wird hitzig darüber diskutiert. Die Notlage ermöglicht es dem Bund und den Ländern seit März 2020 Corona-Maßnahmen anzuordnen, ohne Zustimmung der Parlamente.
Saar-Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) begrüßt den
Vorschlag. „Das Saarland liegt mit seiner Impfquote von 82,7 Prozent bei vollständig immunisierten Personen über 18 Jahren deutlich über dem Bundesdurchschnitt.“Zudem hätten viele Bewohner in Alten- und Pflegeheimen bereits Auffrischimpfungen erhalten. „Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, den Übergang von der epidemischen Lage zu schaffen.“Ihr Parteikollege Hermann Scharf, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, betonte, dass die Länder wieder mehr Handlungsspielraum bekämen. „Dennoch sollte ein Maßnahmen-Flickenteppich vermieden werden.“Das Saarland-Modell Plus könne als Blaupause dienen.
Jeder habe ein Impfangebot erhalten, eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe schon länger nicht mehr. „Daher ist es überfällig, die Maßnahmen zu beenden und den Ausnahmezustand der epidemischen Lage nicht weiter zu verlängern“, sagte Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine. Die AfD-Fraktion hat sich am Mittwoch nicht geäußert, allerdings hatte sie schon mehrfach im Plenum gefordert, die Rechtsverordnung aufzuheben und „ins normale Leben“zurückzukehren.
SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon warnt dagegen: „Über die Feststellung der epidemischen Lage berät zunächst einmal der Bundestag, dann der Bundesrat.“Damit würden ein Konsens zwischen Bund und Ländern erzielt und „keine Schnellschüsse“produziert. Während noch amtierende CDU-Minister „unausgegoren einfach mal nebenbei den Eindruck erwecken, die Pandemie sei quasi zuende, arbeitet die künftige Ampelregierung konstruktiv an den notwendigen Veränderungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes, um die Rechtsgrundlage für die sicher noch erforderliche Vorsicht und einzelne Maßnahmen weiter walten lassen zu können“.
Zur Vorsicht mahnen auch Experten. Es gebe noch Millionen Ungeimpfter, darunter drei bis vier Millionen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf, sagte Tom Lüdde, Direktor der Klinik für Infektiologie an der Uniklinik Düsseldorf. Auch der Homburger Virologe Dr. Jürgen Rissland ruft zu mehr Zurückhaltung auf angesichts wieder steigender Infektionszahlen.
BERLIN (dpa) Seit eineinhalb Jahren gilt in Deutschland eine bundesweite Corona-Notlage. Diese ermöglicht es Bundesregierung und Landesregierungen, ohne Zustimmung von Parlamenten Corona-Maßnahmen anzuordnen. Im März 2020 stellte der Bundestag erstmals die „epidemische Lage nationaler Tragweite“fest und hat sie seitdem immer wieder verlängert. Zuletzt im August. Nun wird vorgeschlagen, die Notlage zum 25. November auslaufen zu lassen. Wichtige Fragen und Antworten zum Thema:
Wozu gibt es die „epidemische Lage nationaler Tragweite“überhaupt Das Ursprungsargument dafür war im März 2020: Infektionsschutz ist zwar Sache der Bundesländer, aber diese Krise muss vom Bund gemanagt werden. „Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen, wird die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen“, hieß es damals. Die „epidemische Lage“ermächtigte das Bundesgesundheitsministerium im Infektionsschutzgesetz, ohne große Abstimmung Verordnungen zu erlassen, um die Grundversorgung mit Medikamenten, Schutzausrüstung oder Laborkapazitäten sicherzustellen.
Was hat das konkret mit dem Alltag zu tun – mit Masken, Abstand oder Veranstaltungen
Im Laufe der Krise wurde das Infektionsschutzgesetz mehrfach geändert. Dabei wurden auch spezielle Corona-Maßnahmen ergänzt, die von den Ländern direkt angeordnet werden können, wenn eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“gilt. Dazu zählen die Maskenpflicht, Abstandsund Kontaktregeln, Veranstaltungsverbote oder -einschränkungen, geschlossene Restaurants, die Pflicht, einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis vorzulegen, und die vielen anderen Maßnahmen, die den Alltag in den vergangenen eineinhalb Jahren geprägt haben.
Nein, zwar würden die im Infektionsschutzgesetz aufgeführten besonderen Schutzmaßnahmen dann eigentlich wegfallen, sagt der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster, der in der Vergangenheit auch vom Bundestag zum Thema als Sachverständiger angehört wurde. „Allerdings können die Bundesländer, die ohnehin dafür zuständig sind, die Befugnisse weiter nutzen, wenn die Landtage das beschließen.“Das Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern in Paragraf 28a Absatz 7 ausdrücklich die Möglichkeit, auch nach dem Ende einer
„epidemischen Lage“, Corona-Maßnahmen weiter anzuwenden, wenn ihr Parlament sich dafür ausspricht.
Die Unterschiede zwischen den Bundesländern bei den Maßnahmen dürften sich weiter verstärken. Bisher haben die Landesregierungen die bei ihnen geltende Corona-Verordnung mit den Maßnahmen einfach regelmäßig fortgeschrieben und angepasst. Wenn die Landesparlamente mitentscheiden müssen, werden die Entscheidungswege länger und die bundesweite Abstimmung wird noch schwieriger. Vermutlich werden die Maßnahmen eher tröpfchenweise und regional unterschiedlich Richtung Frühjahr fallen, als dass es in Deutschland einen „Freedom
Day“wie in anderen Ländern gibt.
Dass es noch nicht die Zeit für ein Ende aller Maßnahmen in Deutschland sei, sagen Fachleute seit einiger Zeit. Im Herbst und Winter drohen etwa laut Robert-Koch-Institut (RKI) wieder mehr Corona-Infektionen. Die Impfquote gilt als noch nicht hoch genug.
Mehrere Fachleute kritisierten am Dienstag, dass die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Ende der „epidemischen Lage“von den Menschen falsch aufgefasst werden könnte. Unschlüssige Ungeimpfte könnten sich ermuntert sehen, nun doch auf den Piks zu verzichten, da die Gefahr vermeintlich vorüber sei. „Das ist ein Signal, das von der Bevölkerung als ‚Freedom Day’ durch die Hintertür missverstanden werden kann“, sagte Uwe Janssens, ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dagegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Ich kann den Schritt nachvollziehen und halte das auch für unproblematisch.“
Ab wann wäre nach Ansicht von Expertinnen und Experten ein Ende von Corona-Maßnahmen denkbar
Das RKI plädiert für Maske, Abstand, Hygiene und weitere Basismaßnahmen bis Frühjahr 2022. In einem Strategiepapier schreibt das Institut, Deutschland sei noch in der Übergangsphase, bis Corona endemisch werde. Das bedeutet, das Virus verschwindet zwar nicht, verursacht aber bei den meisten Menschen keine allzu schwerwiegenden Verläufe mehr, da sie durch Infektionen oder Impfung eine Grundimmunität haben. Wann der Übergang abgeschlossen sein wird, lässt sich laut RKI jedoch nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Manche Experten finden auch, dass es in der Debatte weniger um ein mögliches Datum für einen „Freedom Day“gehen sollte. Vielmehr müsse sich die Gesellschaft fragen, wie viele Tote und Langzeiterkrankte man bereit sei, für Öffnungen in Kauf zu nehmen.
Das Robert-Koch-Institut plädiert für Maske, Abstand, Hygiene und weitere Basismaßnahmen bis Frühjahr 2022.