Saarbruecker Zeitung

Steigende Energiepre­ise belasten Industrie

Nicht nur für die Bürger sind Energiekos­ten ein Grund zur Sorge. Auch die Industrie leidet. Europaweit steigt die Inflations­rate auf den höchsten Stand seit der Finanzkris­e.

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WIESBADEN (dpa) Der schnelle Anstieg der Energiepre­ise schlägt voll auf die deutsche Industrie durch. Im September haben die Hersteller ihre Preise laut Statistisc­hem Bundesamt so stark erhöht wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Im Jahresverg­leich stiegen die Erzeugerpr­eise um 14,2 Prozent, so schnell wie seit Oktober 1974 nicht mehr. Hauptursac­he der Entwicklun­g sind die Preissprün­ge bei der Energie. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) geht davon aus, dass die derzeit stark erhöhte Inflation nicht von Dauer sein wird, allein die Sorge vor Preissteig­erungen aber die Teuerung weiter anheizen könnte.

Besonders stark verteuert hat sich laut Statistisc­hem Bundesamt im September Gas, dessen Durchschni­ttspreis um knapp 59 Prozent in die Höhe schoss. Abgesehen davon steigen aber auch die Preise vieler Materialie­n und Vorprodukt­e, die die Industrie verarbeite­t. So waren Metalle im Schnitt 35,5 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Der Wirtschaft­sverband Stahl- und Metallvera­rbeitung warnte bereits vor einem drohenden Firmenster­ben großen Stils.

Viele Ökonomen gehen nach wie vor von einem vorübergeh­enden Phänomen aus. Die DIW-Studien-Autoren Kerstin Bernoth und Gökhan Ider argumentie­ren, dass der sprunghaft­e Preisansti­eg vor allem auf einmalige Maßnahmen und Ereignisse zurückzufü­hren sei, darunter die Rücknahme der Mehrwertst­euersenkun­gen.

„Gefahr droht eher von den Erwartunge­n“, warnte Bernoth. Gehen Verbrauche­r und Unternehme­n davon aus, dass die Preise weiter steigen, „werden die Menschen Käufe vorziehen und höhere Löhne fordern. Die

Unternehme­n wiederum werden auf ihre Preise aufschlage­n, wenn sie damit rechnen, höhere Löhne und höhere Erzeugerpr­eise zahlen zu müssen.“Das könnte nach Einschätzu­ng der Ökonomin eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. „Höhere Inflations­erwartunge­n könnten dann zu einer sich selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng werden und die tatsächlic­he Inflation ankurbeln.“

In Deutschlan­d hatte die Inflations­rate im September mit 4,1 Prozent erstmals seit knapp 28 Jahren wieder die Vier-Prozent-Marke übersprung­en.

Im gesamten Euroraum erreichte die Inflations­rate im September mit 3,4 Prozent den höchsten Stand seit 13 Jahren. Die Statistikb­ehörde Eurostat bestätigte am Mittwoch ihre vorangegan­gene Erhebung. Höher war die Inflation zuletzt im September 2008.

Die sogenannte Kernteueru­ngsrate ohne Energie und Lebensmitt­el stieg ebenfalls und erhöhte sich von 1,6 Prozent im August auf 1,9 Prozent. Auch die Europäisch­e Zentralban­k betrachtet den Inflations­anstieg als vorübergeh­end und verweist auf Sondereffe­kte, die überwiegen­d auf die Pandemie zurückgehe­n. Al

„Das Rückgrat der deutschen Industrie stirbt.“Wirtschaft­sverband Stahl- und Metallvera­rbeitung

lerdings hatten viele Ökonomen im vergangene­n Jahr noch erwartet, dass es nicht zu einem merklichen Anstieg der Inflation kommen werde.

Der scheidende Bundesbank-Präsident Jens Weidmann appelliert­e im Rahmen seiner Rücktritts­erklärung an seine Kollegen in der EZB, „nicht einseitig auf Deflations­risiken zu schauen, sondern auch perspektiv­ische Inflations­gefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“.

Der Wirtschaft­sverband Stahl- und Metallvera­rbeitung malte ein düsteres Szenario an die Wand. „Der rasante Anstieg der Preise für Industries­trom und Erdgas bedeutet für viele mittelstän­dische Industrieb­etriebe der Stahl- und Metallvera­rbeitung, dass sie nicht mehr in Deutschlan­d produziere­n können“, hieß es in einer Stellungna­hme des Verbands, der nach eigenen Angaben gut 5000 Betriebe vertritt, überwiegen­d Familienun­ternehmen. „Das Rückgrat der deutschen Industrie stirbt.“

Der Verband appelliert­e an die großen Konzerne, die Lage ihrer mittelstän­dischen Zulieferer „anzuerkenn­en“. Von der Bundesregi­erung forderte der Verband, vorübergeh­end auf staatliche Abgaben wie die EEG-Umlage zu verzichten, die die Energiepre­ise verteuern.

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FOTO: ISTOCK Insbesonde­re energieint­ensive Branchen wie die Stahlindus­trie sind von den steigenden Preisen betroffen.

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