Warum es Bau-Pannen bei Haltestellen gibt
Millionen flossen in die Saar-Kommunen, um Haltestellen barrierefrei auszubauen – aber nur wenige Bauten entsprechen den Vorschriften.
SAARBRÜCKEN Über einen Zeitraum von vier Jahren hat das saarländische Wirtschaftsministerium mit einem Sonderprogramm den Kommunen beim Ausbau barrierefreier Haltestellen finanziell unter die Arme gegriffen. Zwischen 2016 und 2019 flossen laut Ministerium für den Umbau von 298 Stationen knapp 29 Millionen Euro in die Kassen der Städte und Gemeinden. Allein das Resultat lässt zu wünschen übrig. Denn kaum ein Wartebereich sei zufriedenstellend aufgerüstet worden. Zu diesem
Wegen Personalmangels gab es bis 2020 laut Ministerium keine Vor-Ort-Kontrollen.
Ergebnis kommt der Rechnungshof des Saarlandes. Prüfer hatten 150 Haltestellen unter die Lupe genommen und bei fast allen Pannen festgestellt. Sei es, dass das taktile Leitsystem für Sehbehinderte nicht DIN-konform verlegt wurde, oder dass Wartehäuschen, statt vor Wind und Regen zu schützen, zu glänzenden, aber wenig funktionalen Designer-Häuschen aufgemöbelt wurden (wir berichteten).
Es stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu den Pannen kommen konnte. Wird nicht ausreichend kontrolliert? Die Überprüfung der Vorplanung unter Beachtung der DIN-Normen liege in erster Linie bei den Kommunen, erklärt das Wirtschaftsministerium auf Nachfrage. Bei Baumaßnahmen unter 375 000 Euro – was auf die meisten Anträge auf Förderung zutraf – würde zudem stichprobenartig eingehender seitens des Ministeriums geprüft.
Aber: „Aufgrund der angespannten Personalsituation im entsprechenden Fachreferat erfolgten stichprobenartige Vor-Ort-Kontrollen oder sogenannte Schreibtischkontrollen bis 2020 nicht“, sagt ein Ministeriumssprecher. Daher sei das Fachreferat nun personell aufgestockt worden, die Kommunen müssten schon bei Antragsstellung eine Vorplanung vorlegen und später eine dem Zuwendungsbescheid beigelegte Erklärung unterschreiben, dass die
Umbauten auch normgerecht ausgeführt werden. Auf Verdacht kontrollierten Fachleute die Baumaßnahmen vor Ort, bei Bau-Ende müssten Fotos eingereicht werden.
Nun sind DIN-Normen eindeutig, und trotzdem sind sie laut Rechnungshof in vielen Kommunen nicht eingehalten worden – was zur Gefahr für Sehbehinderte werden kann. Das Wirtschaftsministerium bestätigt, dass seit einer Novelle der Vorschriften im Jahr 2013 saarland- wie auch bundesweit oft der Ausbau der Barrierefreiheit „leider fehlerhaft“umgesetzt worden sei. Zum Teil hätten Kommunen mit alten DIN-Normen geplant, selbst wenn sie externe Planungsbüros beauftragt hätten. Teilweise hätten Kommunen sich an anderen barrierefreien Haltestellen im Ort orientiert mit dem Ziel, gleiche Bedingungen für sehbehinderte Menschen zu schaffen oder auch, um ein einheitliches Bild im Gemeinde- oder Stadtgebiet zu schaffen. „Da die älteren Umbauten aber teilweise schon falsch ausgeführt wurden oder nicht mehr den aktuellen DIN-Normen entsprachen, wurden auf diese Weise Fehler wiederholt.“
Das Ministerium betont aber, dass die korrekte Ausführung einer barrierefrei gestalteten Haltestelle auch von den jeweiligen Platzverhältnissen abhänge. „So sind beispielsweise einige der auch vom Rechnungshof beanstandeten Baumaßnahmen nicht per se falsch, aber an der entsprechenden Örtlichkeit nicht angebracht.“
Wie hoch der finanzielle Schaden durch die Pannen-Bauten ist, könne aktuell noch nicht beziffert werden. Bis Mitte 2020 habe das Ministerium alle betreffenden Kommunen angeschrieben und sie gebeten, die Bauten mit den DIN-Normen abzugleichen. Einige Kommunen hätten kleinere Fehler auf eigene Rechnung behoben, um zu vermeiden, dass ihnen die Fördermittel entzogen werden oder dass sie die Gelder zurückzahlen müssen. Für rund 70 Haltestellen, die „umfangreichere Mängel“aufweisen, brauche es eine baufachliche Prüfung, um zu kontrollieren, dass die Fördergelder auch berechtigt waren. Das Ministerium will hierzu ein Ingenieurbüro als Gutachter hinzuziehen. Die Aberkennung der Förderung könne durchaus drohen, allerdings werde zunächst versucht, „im allgemeinen Interesse gemeinsam mit den Kommunen Lösungen zu finden“. Die Kommunen, in denen Zuwendungsbescheide bisher widerrufen wurden, seien Fälle, in denen die Baumaßnahmen per se nicht auf absehbare Zeit hätten umgesetzt werden können.
Der Rechnungshof hatte in der Pannen-Serie besonders das Wartehäuschen in Merchweiler hervorgehoben. Das 45 000 Euro teurer Stahlkonstrukt – ein „Designer-Wartehäuschen“, wie es der Rechnungshof nannte – schütze wegen fehlender Seiten- und Rückwände sowie wegen eines zu hohen Dachs nicht vor Wind und Regen. Das Ministerium hat nach eigenen Angaben die Gemeinde Merchweiler nun aufgefordert, bis Ende Juni 2022 auf eigene Kosten nachzurüsten.