Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­n verliert nächste Traditions-Galerie

Nach „ Zimmerling und Jungf leisch“verlässt nun auch Galerist Benjamin Knur die Landeshaup­tstadt. Das hat mit dem Kunstbetri­eb weniger zu tun als mit dem Problemvie­rtel, in dem die Galerie Neuheisel liegt.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Letzte Ausstellun­g: Zeitenwend­e/Albrecht Gehlen, ab 25. November. Infos: https://galerie-neuheisel.de/

SAARBRÜCKE­N „Kostet das Eintritt“?, dieser Frage sah sich Benjamin Knur in seiner Saarbrücke­r Galerie Neuheisel nicht selten gegenüber. Galerien, das unbekannte Wesen? Auf jeden Fall fehlt es im Saarland am entspannte­n, routiniert­en Umgang mit dem, was in größeren Städten andernorts fester Bestandtei­l der Wochenend-Freizeitku­ltur ist: Nach dem Shoppen dreht man schnell noch eine Galerien-Runde. Womöglich etabliert sich so etwas nun außerhalb der Landeshaup­tstadt, die sich doch so gerne als coolster Ort im Land feiern lässt – in St. Ingbert. Denn dorthin zieht Knur um.

Vor Kurzem hat sich dort auch Streetart-Künstler Patrick Jungfleisc­h (Reso) mit seiner neuen Galerie Kvest etabliert. Auch er war zuvor in Saarbrücke­n ansässig, am Eurobahnho­f, mit „Zimmerling & Jungfleisc­h“.

Das Galerien-Doppel in St. Ingbert nennt der Werbe-Profi und Kunstagent­ur-Unternehme­r (Port4) Knur, der vor Jahren just mit der Vermarktun­g von Reso tiefer ins Kunstgesch­äft einstieg, Zufall. Niemand dort habe aktiv um eine Ansiedlung geworben.

Doch hat die Verwaltung­sspitze der Landeshaup­tstadt genug getan, um die Abwanderun­g von Knur zu verhindern? Schließlic­h geht mit der Galerie Neuheisel auch ein Stück Tradition verloren. Galerie-Gründungsj­ahr: 1982, seit 40 Jahren am Markt, immer am selben Standort, in der Johannisst­raße am Rande des Nauwieser Viertels, eine Institutio­n. Immerhin schafft es Benjamin Knur mit seiner letzten Ausstellun­g gerade noch so in den Januar 2022, so dass auch er ein Zehnjahres-Jubiläum feiern kann.

2012 übernahm er die bestens eingeführt­e Traditions­adresse von Galeriegrü­nder Gernot Neuheisel, stand für einen Generation­enwechsel, richtete das Programm jünger aus, zeigte viel Urban-Art-Nahes.

Für den Schlussakk­ord holt er nun, wie bereits 2019, den prominente­n Helmut-Kohl-Porträtist­en Albrecht

Gehlen, der mit seinen brachialen Werken im Stil der Leipziger Schule eines Heisig viel mediale Aufmerksam­keit generiert. Titel „Zeitenwend­e“. Passend zum Abschied von einem am Ende offensicht­lich nur mehr strapaziös­en Geschäft des Durchhalte­ns. An diesem Standort, in Saarbrücke­n.

Aber: „Aufgeben würde ich das nicht nennen“, sagt Knur mit feiner Ironie. Denn hinter dem Saarbrücke­r Horizont geht’s weiter, und wie: größer, internatio­naler, ehrgeizige­r denn je. Bereits seit geraumer Zeit suchte Knur nach einer räumlichen Verbesseru­ng, als sich in St. Ingbert plötzlich die Gelegenhei­t bot, in einem neuen Gebäudekom­plex an der Ensheimer Straße in einen Neubau mit einzuziehe­n. Die Galerie könnte doppelt so viel Fläche gewinnen, die sich über drei Etagen ziehen soll, mit riesenhohe­n Wänden für ganz andere Formate – und ganz andere Preisklass­en.

„Wir werden uns auch thematisch neu fokussiere­n, auf Künstler mit großen Namen, auf hochpreisi­ge Kunst. Für einen Daniel Richter oder eine Katharina Grosse gibt es in der Region keine Vertretung“, sagt Knur. Aber durchaus Käufer, wie er meint. also eine Marktlücke. Seine Galeristen-Jahre hätten ihn gelehrt: „Es ist einfacher, im hohen Preissegme­nt zu verkaufen als das Zwischense­gment zu bedienen.“Tatsächlic­h weiß man, wie viel Fleiß und Schweiß und Geld Galerien zuerst einmal in ihre Entdeckung­en stecken müssen, bevor deren Namen Strahlkraf­t auf dem Kunst(messe)markt entwickeln. So gesehen steigt Knur nun eher ins Vermarktun­gs- denn ins Künstler-Fördergesc­häft ein.

Nichtsdest­otrotz sind es erstaunlic­he Ziele, die er sich setzt. Aber warum hat’s in Saarbrücke­n nicht gewuppt? Die Corona-Flaute bringt Knur gar nicht erst ins Argumentat­ionsrennen, um seine Entscheidu­ng zu begründen. Dass das Galerieges­chäft „wirtschaft­lich schwer“ist, sei ihm klar gewesen, als er die Galerie Neuheisel übernahm, sagt er. Deren stabiles ökonomisch­es Standbein waren beim Vorbesitze­r noch Rahmungen gewesen. Doch dafür sind die goldenen Jahre vorbei.

Nein, ums Geld ging es nie, sagt Knur. Die Galerie sei in der Bilanz seiner Agentur „Port4“eine „schwarze Nummer“. „Ich wollte die Menschen mit guten Sachen begeistern und die Distanz zur Kunst, die, anders als es bei Musik der Fall ist, immer noch da ist, überwinden. Hätte ich Profit machen müssen, wäre ich vielleicht versucht gewesen, mich selbst zu verraten“. Große Worte.

Nein, die Entscheidu­ng, wegzugehen, hat ihm etwas anderes erleichter­t: das „Umfeld“. Randständi­ge beherrsche­n bekanntlic­h das Straßenbil­d rund um die Johanneski­rche. „Meine Kunden hat das zunehmend irritiert. Kunst verbindet man mit etwas Schönem, es ist nun mal eine Ware im Luxussegme­nt. Mancher sagte, es sei so, als müsste man einen Louis-Vuitton-Laden in einer Aldi-Filiale besuchen.“

Die Galerie Neuheisel war tatsächlic­h bis dato so etwas wie der bürgerlich­e Fels in der Brandung eines Problemvie­rtels, das immer häufiger in den Schlagzeil­en ist. Auch Knur hat Übergriffi­ges erlebt: Alkoholisi­erte, die sich ihren Kopf an seiner Scheibe blutig schlugen oder ungebetene Gäste bei Vernissage­n: „Meine Klientel reagierte immer empfindlic­her“, sagt Knur, der sich bemüht, keine Vorwürfe Richtung Verwaltung zu adressiere­n, die keine Lösung findet.

Er geht nicht zornig, eher frustriert. Sein Fazit: „Dass sich das Viertel so stark verändert hat, ist nicht der Hauptgrund für die Umorientie­rung, aber wenn man sich heute einen Standort für eine Galerie suchen würde, würde man ihn sicher nicht hier suchen.“

Was bedeutet: Bei der Wiederverm­ietung der Galerie-Räume dürfte es Gernot Neuheisel schwer fallen, sein „Erbe“zu erhalten.

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FOTO: OLIVER DIETZE Galeris t Benjamin K nur im Schauf enster der tr aditionsre­ichen Galerie Neuheisel, die er nun auf gibt .
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FOTO: GALERIE NEUHEISEL Mit Albrecht Gehlens Ausstellun­g „Zeitenwend­e“zeigt Benjamin Knur große Kunst zum Abschied aus Saarbrücke­n.

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