Saarbrücken verliert nächste Traditions-Galerie
Nach „ Zimmerling und Jungf leisch“verlässt nun auch Galerist Benjamin Knur die Landeshauptstadt. Das hat mit dem Kunstbetrieb weniger zu tun als mit dem Problemviertel, in dem die Galerie Neuheisel liegt.
SAARBRÜCKEN „Kostet das Eintritt“?, dieser Frage sah sich Benjamin Knur in seiner Saarbrücker Galerie Neuheisel nicht selten gegenüber. Galerien, das unbekannte Wesen? Auf jeden Fall fehlt es im Saarland am entspannten, routinierten Umgang mit dem, was in größeren Städten andernorts fester Bestandteil der Wochenend-Freizeitkultur ist: Nach dem Shoppen dreht man schnell noch eine Galerien-Runde. Womöglich etabliert sich so etwas nun außerhalb der Landeshauptstadt, die sich doch so gerne als coolster Ort im Land feiern lässt – in St. Ingbert. Denn dorthin zieht Knur um.
Vor Kurzem hat sich dort auch Streetart-Künstler Patrick Jungfleisch (Reso) mit seiner neuen Galerie Kvest etabliert. Auch er war zuvor in Saarbrücken ansässig, am Eurobahnhof, mit „Zimmerling & Jungfleisch“.
Das Galerien-Doppel in St. Ingbert nennt der Werbe-Profi und Kunstagentur-Unternehmer (Port4) Knur, der vor Jahren just mit der Vermarktung von Reso tiefer ins Kunstgeschäft einstieg, Zufall. Niemand dort habe aktiv um eine Ansiedlung geworben.
Doch hat die Verwaltungsspitze der Landeshauptstadt genug getan, um die Abwanderung von Knur zu verhindern? Schließlich geht mit der Galerie Neuheisel auch ein Stück Tradition verloren. Galerie-Gründungsjahr: 1982, seit 40 Jahren am Markt, immer am selben Standort, in der Johannisstraße am Rande des Nauwieser Viertels, eine Institution. Immerhin schafft es Benjamin Knur mit seiner letzten Ausstellung gerade noch so in den Januar 2022, so dass auch er ein Zehnjahres-Jubiläum feiern kann.
2012 übernahm er die bestens eingeführte Traditionsadresse von Galeriegründer Gernot Neuheisel, stand für einen Generationenwechsel, richtete das Programm jünger aus, zeigte viel Urban-Art-Nahes.
Für den Schlussakkord holt er nun, wie bereits 2019, den prominenten Helmut-Kohl-Porträtisten Albrecht
Gehlen, der mit seinen brachialen Werken im Stil der Leipziger Schule eines Heisig viel mediale Aufmerksamkeit generiert. Titel „Zeitenwende“. Passend zum Abschied von einem am Ende offensichtlich nur mehr strapaziösen Geschäft des Durchhaltens. An diesem Standort, in Saarbrücken.
Aber: „Aufgeben würde ich das nicht nennen“, sagt Knur mit feiner Ironie. Denn hinter dem Saarbrücker Horizont geht’s weiter, und wie: größer, internationaler, ehrgeiziger denn je. Bereits seit geraumer Zeit suchte Knur nach einer räumlichen Verbesserung, als sich in St. Ingbert plötzlich die Gelegenheit bot, in einem neuen Gebäudekomplex an der Ensheimer Straße in einen Neubau mit einzuziehen. Die Galerie könnte doppelt so viel Fläche gewinnen, die sich über drei Etagen ziehen soll, mit riesenhohen Wänden für ganz andere Formate – und ganz andere Preisklassen.
„Wir werden uns auch thematisch neu fokussieren, auf Künstler mit großen Namen, auf hochpreisige Kunst. Für einen Daniel Richter oder eine Katharina Grosse gibt es in der Region keine Vertretung“, sagt Knur. Aber durchaus Käufer, wie er meint. also eine Marktlücke. Seine Galeristen-Jahre hätten ihn gelehrt: „Es ist einfacher, im hohen Preissegment zu verkaufen als das Zwischensegment zu bedienen.“Tatsächlich weiß man, wie viel Fleiß und Schweiß und Geld Galerien zuerst einmal in ihre Entdeckungen stecken müssen, bevor deren Namen Strahlkraft auf dem Kunst(messe)markt entwickeln. So gesehen steigt Knur nun eher ins Vermarktungs- denn ins Künstler-Fördergeschäft ein.
Nichtsdestotrotz sind es erstaunliche Ziele, die er sich setzt. Aber warum hat’s in Saarbrücken nicht gewuppt? Die Corona-Flaute bringt Knur gar nicht erst ins Argumentationsrennen, um seine Entscheidung zu begründen. Dass das Galeriegeschäft „wirtschaftlich schwer“ist, sei ihm klar gewesen, als er die Galerie Neuheisel übernahm, sagt er. Deren stabiles ökonomisches Standbein waren beim Vorbesitzer noch Rahmungen gewesen. Doch dafür sind die goldenen Jahre vorbei.
Nein, ums Geld ging es nie, sagt Knur. Die Galerie sei in der Bilanz seiner Agentur „Port4“eine „schwarze Nummer“. „Ich wollte die Menschen mit guten Sachen begeistern und die Distanz zur Kunst, die, anders als es bei Musik der Fall ist, immer noch da ist, überwinden. Hätte ich Profit machen müssen, wäre ich vielleicht versucht gewesen, mich selbst zu verraten“. Große Worte.
Nein, die Entscheidung, wegzugehen, hat ihm etwas anderes erleichtert: das „Umfeld“. Randständige beherrschen bekanntlich das Straßenbild rund um die Johanneskirche. „Meine Kunden hat das zunehmend irritiert. Kunst verbindet man mit etwas Schönem, es ist nun mal eine Ware im Luxussegment. Mancher sagte, es sei so, als müsste man einen Louis-Vuitton-Laden in einer Aldi-Filiale besuchen.“
Die Galerie Neuheisel war tatsächlich bis dato so etwas wie der bürgerliche Fels in der Brandung eines Problemviertels, das immer häufiger in den Schlagzeilen ist. Auch Knur hat Übergriffiges erlebt: Alkoholisierte, die sich ihren Kopf an seiner Scheibe blutig schlugen oder ungebetene Gäste bei Vernissagen: „Meine Klientel reagierte immer empfindlicher“, sagt Knur, der sich bemüht, keine Vorwürfe Richtung Verwaltung zu adressieren, die keine Lösung findet.
Er geht nicht zornig, eher frustriert. Sein Fazit: „Dass sich das Viertel so stark verändert hat, ist nicht der Hauptgrund für die Umorientierung, aber wenn man sich heute einen Standort für eine Galerie suchen würde, würde man ihn sicher nicht hier suchen.“
Was bedeutet: Bei der Wiedervermietung der Galerie-Räume dürfte es Gernot Neuheisel schwer fallen, sein „Erbe“zu erhalten.