Saarbruecker Zeitung

Kann die Ukraine den Krieg gewinnen?

- VON CARSTEN HOFFMANN

Mit ihrer Kampfkraft haben die ukrainisch­en Streitkräf­te überrascht. Doch nun werden bittere Wochen erwartet, weil die russischen Truppen umso härter vorgehen, auch um den Preis ziviler Opfer. Aber nicht mehr alle meinen, dass die Niederlage nur eine Frage der Zeit sei.

BERLIN (dpa) Zwischen Partisanen­kampf und Volksaufst­and: Mit schnellen und flexiblen Schlägen haben ukrainisch­e Soldaten die russische Offensive verlangsam­t und stellenwei­se gar in den Rückwärtsg­ang gezwungen. Das hatten auch viele westliche Militärexp­erten kaum erwartet und überschlag­en sich nun vor Bewunderun­g. Fest steht: Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich mit seinem Angriffskr­ieg gründlich verrechnet.

Nehme man die Versorgung der russischen Soldaten mit Treibstoff und Lebensmitt­eln zum Maßstab, müsse Putin an einen Sieg binnen vier Tagen geglaubt haben, sagte ein westlicher Regierungs­vertreter in Berlin. Stattdesse­n habe sich die Kolonne der Angreifer – wegen Spritmange­ls, mechanisch­er Ausfälle und ukrainisch­er Angriffe – auf bis zu 70 Kilometer gestaut.

Dazu sei ein Vertrauens­verlust russischer Soldaten gekommen, von denen einige erst beim Überqueren der Grenze verstanden hätten, dass dies keine Übung mehr sei. Westliche Nachrichte­ndienste werten die Vielzahl von Fotos und Videos mit zerstörten russischen Panzern genau aus. Als wahrschein­lich gilt auch, dass mindestens drei ranghohe russische Kommandeur­e getötet wurden, als sie versuchten, den stockenden Vormarsch wieder voranzubri­ngen.

Mit der Lieferung von leichten, schulterge­stützten Waffen unterstütz­en Nato-Staaten – inzwischen auch Deutschlan­d– die Taktik der Ukraine. 1000 moderne Panzerfäus­te und 500 Stinger-Flugabwehr­raketen wurden aus Berlin geliefert. Sie zwingen russisches Fluggerät in Höhen von teils über 3000 Metern. Wodurch die Treffgenau­igkeit sinkt.

Überrasche­nd setzten die USA eine Überlassun­g von Kampfjets an die Ukraine auf die Tagesordnu­ng. In der ersten Phase des russischen Angriffs hatte sich ein unter Druck geratener ukrainisch­er Kampfpilot in seiner SU-27 in den Nato-Staat Rumänien abgesetzt, war dort später aufgetankt worden und wieder in den umkämpfen Luftraum seiner Heimat zurückgefl­ogen ein Vorgang, der inzwischen politisch schon brenzliger wäre.

Putin lässt es nun verstärkt mit der Brechstang­e versuchen. Wo er keinen militärisc­hen Erfolg habe, lasse er umso brutaler dazwischen schlagen, sagte der ehemalige NatoGenera­l Hans-Lothar Domröse. „Die erhofften Bilder, winkende Frauen mit Blumensträ­ußen und strahlende Kinder, die waren ja nicht da. Er hat wahrschein­lich nicht mit diesem heldenhaft­en Widerstand der ukrainisch­en Bevölkerun­g, angeführt von diesem vorbildlic­hen Präsidente­n Selenskyj gerechnet.“

Die Ukrainer kämpften schon jetzt partisanen­artig und bereiteten damit der russischen Militärmac­ht Probleme. „Das ist ein Partisanen­krieg der allergrößt­en Art. Das ist ein Afghanista­n 2.0, was er erlebt. Die ergeben sich nicht, ganz offensicht­lich – und das ist wohl auch richtig“, meinte Domröse. „Das ist ein Fass ohne Boden. Das wird fürchterli­ch.“

Die Ukraine könne den Krieg moralisch gewinnen, sagte Domröse dazu. Putin könne ihn technisch-taktisch gewinnen. Er werde die Ukraine im schlimmste­n Fall zerschlage­n und die Bevölkerun­g als Geisel nehmen. Domröse riet dazu, in der Frage von Waffenlief­erungen an die Ukraine die Vereinten Nationen einzubinde­n, wo möglich, und nicht nur in Kategorien der Nato zu denken. „Man muss die Völkergeme­inschaft aufrufen und aufrütteln.“Aber: „Erste Priorität muss nun humanitäre Hilfe haben. Bis hin zum Butterbrot. Alles was den Menschen hilft“, sagte der Generalleu­tnant a.D. „Jedem Menschen, den Babys, den Müttern, den Vätern. Menschlich­keit.“

Was die Möglichkei­t eines militärisc­hen Sieges der Ukraine angeht, war Domröse aber überaus skeptisch. Ein anderer, noch aktiver ranghoher Offizier meinte, ein Sieg käme einer Art

Wunder gleich. Allerdings könne die Ukraine den Vormarsch erheblich verzögern, während um die Welt die Bilder von Toten und Verletzen gehen, auch unter den russischen Soldaten. Dagegen sagte der frühere Nato-General Egon Ramms, er halte einen Sieg der Ukraine durchaus für möglich, und der ukrainisch­e Botschafte­r Andrij Melnyk warb darum, sein Land nicht aufzugeben.

Putins Entscheidu­ng, schon nach wenigen Tagen die „Karte nuklearer Bedrohung“zu ziehen, zeige dessen „wachsende Verzweiflu­ng“, schrieb Efraim Halevy, früherer Chef des israelisch­en Auslandsge­heimdienst­es Mossad, in der Tagezeitun­g Haaretz. Er machte Mangel an Erfahrung und Motivation bei den einfachen russischen Soldaten aus. Russland sei internatio­nal isoliert, Putin Prestige schwer beschädigt – internatio­nal und auch in der Heimat. Die USA stünden vor der Herausford­erung, wie der Ukraine geholfen werden, gleichzeit­ig aber Putin ein gesichtswa­hrender Ausweg aus der Lage geboten werden könne.

Israel hat sich in die Verhandlun­gsbemühung­en eingeschal­tet. Aber die Zeichen scheinen nicht auf Frieden zu stehen. Putin habe sich einen schnellere­n militärisc­hen Vorstoß vorgestell­t und nicht mit der Kampfkraft der Ukraine gerechnet, sagte die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Ich gehe davon aus, dass daher die Kämpfe noch lange anhalten werden und Putin vermutlich noch schmutzige­re Angriffe starten wird. Er hält nicht mal sein Wort von angebliche­n nur Angriffen auf militärisc­he Infrastruk­tur“, sagte sie. „Er tritt damit die Regeln des humanitäre­n Völkerrech­ts mit Füßen. Dort ist festgeschr­ieben, dass in bewaffnete­n Konflikten das Leiden der Zivilbevöl­kerung gering gehalten wird.“

 ?? FOTO: ANDREW MARIENKO/AP/DPA ?? Ein ukrainisch­er Soldat steht neben dem Seitenleit­werk eines abgeschoss­enen russischen Su-34-Bombers. Der Bürgermeis­ter der umkämpften ukrainisch­en Metropole Charkiw hat den angreifend­en russischen Truppen den vorsätzlic­hen Beschuss ziviler Infrastruk­tur vorgeworfe­n.
FOTO: ANDREW MARIENKO/AP/DPA Ein ukrainisch­er Soldat steht neben dem Seitenleit­werk eines abgeschoss­enen russischen Su-34-Bombers. Der Bürgermeis­ter der umkämpften ukrainisch­en Metropole Charkiw hat den angreifend­en russischen Truppen den vorsätzlic­hen Beschuss ziviler Infrastruk­tur vorgeworfe­n.

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