Saarbruecker Zeitung

Warum Russland die Atomverhan­dlungen mit Iran torpediert

Die Gespräche schienen auf gutem Weg. Doch nun verschlepp­t der Kreml Zeit – Zeit, die dem Iran auf den letzten Metern zur eigenen Atombombe verhelfen könnte.

- Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Martin Wittenmeie­r

Von Holger Möhle

BERLIN Sergej Lawrow schreckt vor nichts zurück. Selbst den Krieg macht der russische Außenminis­ter noch zur Verhandlun­gsmasse. Die Gespräche über ein Wiederbele­ben des Atomabkomm­ens mit Iran schienen auf gutem Weg. Doch nun hat Lawrow einen bösen Joker gezogen. Der Chefdiplom­at des Kremls drängt darauf, dass Russland trotz der Sanktionen wegen des Ukraine-Krieges weiter Handel mit Iran treiben darf – und zwar uneingesch­ränkt. Lawrow mischt damit nach dem Angriff seines Landes auf die Ukraine die Atomverhan­dlungen auf und gefährdet einen Abschluss. Die USA machten schon deutlich, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe.

2018 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump das Atomabkomm­en mit Iran einseitig und ohne Not verlassen. Diplomaten der Vertragsst­aaten schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Der Vertrag sei gewiss nicht optimal, aber allemal besser, als könnte das Regime in Teheran seine Zentrifuge­n ohne einen solchen Vertrag nach Belieben laufen lassen. 2015 hatten die fünf UN-Vetomächte (USA, China, Russland, Großbritan­nien, Frankreich) und Deutschlan­d ein Abkommen geschlosse­n, das es Iran unmöglich machen sollte, eine Atombombe zu bauen. Aber dann kam Trump, und der Plan vom atomaren Frieden in dieser Weltregion war dahin.

Seit beinahe einem Jahr bemühen sich die verblieben­en Vertragspa­rteien – China, Russland, Frankreich,

Großbritan­nien und Deutschlan­d – nun darum, dem Joint Comprehens­ive Plan of Action ( JCPoA) genannten Abkommen wieder Leben einzuhauch­en. Die USA sitzen zwar offiziell nicht mehr mit am Verhandlun­gstisch – denn sie sind aus dem Vertrag ja ausgestieg­en –, werden aber permanent über den Stand der Gespräche informiert. Die Zeit drängt. Denn in den vertragslo­sen Jahren hat Iran seine atomaren Ambitionen mit aller Macht vorangetri­eben und Uran auf ein sehr viel höheres Niveau angereiche­rt, als es der Atompakt erlaubt. Sicherheit­sexperten gehen deshalb davon aus, dass die Mullahs nicht mehr weit von der Fähigkeit zum Bau einer eigenen Atombombe entfernt sind. Je länger sich die Verhandlun­gen über eine Neubelebun­g des JCPoA hinziehen, umso größer die Gefahr, dass Iran den Durchbruch schafft. Grünen-Chef Omid Nouripour sagte dazu unserer Redaktion: „Seit Donald Trump das Atomabkomm­en ohne Not gekündigt hat, haben die Iraner sehr viel Uran hoch angereiche­rt und damit einen signifikan­ten Weg auf dem Weg zur Bombe zurückgele­gt. Es ist gut, wenn das Abkommen nun wieder zustande kommt, damit Iran auf diesem Weg gestoppt wird.“

Russlands Außenminis­ter Lawrow torpediert mit seinem Vorstoß jedenfalls die Gespräche, die auf gutem Weg schienen. Seine Forderung kostet wertvolle Zeit, die Iran nutzen kann und den Frieden auch in einer anderen Region als der Ukraine gefährdet. Russland hintertrei­bt somit auch diese Gespräche. Nouripour, der selbst aus Iran stammt, glaubt, dass Lawrow von einer Furcht angetriebe­n wird: „Anscheinen­d hat Außenminis­ter Lawrow Angst davor, dass mit einer Rückkehr des Irans auf den Ölmarkt die Preise sinken und damit das Erpressung­spotenzial des Kremls abnimmt. Dabei verkennt er, dass eine Nuklearisi­erung des Nahen Ostens auch eine Bedrohung für Russland bedeuten würde.“

Iran reagierte zwar zunächst verhalten auf die Forderung von

Lawrow nach uneingesch­ränktem Handel zwischen beiden Ländern. Doch auch Teheran hat ein naheliegen­des Interesse, das Tempo bis zu einer eventuelle­n Einigung, die den Atompakt retten könnte, nicht zu sehr hochzufahr­en. Lieber fahren sie in ihren Atomanlieg­en die Zentrifuge­n weiter hoch. Zeitverlus­t bei den Verhandlun­gen bedeutet Zeitgewinn für den Bau der Atombombe. Inzwischen ist Irans Unterhändl­er bei den Atomgesprä­chen, Ali Bagheri Kani, plötzlich nach Teheran zurückgeke­hrt – angeblich für Beratungen. Unterdesse­n kündigte EU-Chefverhan­dler Enrique Mora politische Entscheidu­ngen in den nächsten Tagen an.

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FOTO: ILNITSKY/POOL EPA/AP/DPA Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow

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