„Westend“– Was wartet nach dem Ende des Westens?
Der Sänger der Saarbrücker Band spricht über das Debüt-Album, die Corona-Pandemie und die weiteren Pläne. Nächste Woche wird live gespielt.
SAARBRÜCKEN Tausend Augen nennt sich die Band von Oliver Becker (Gesang, Gitarre, Keyboards), Alexander Schimetzky (Drums) und Max Ludwig (Bass), die sich schon seit Schulzeiten kennen und in diversen Formationen zusammen Musik gemacht haben. Seit 2017 sind die drei Saarländer nun als Tausend Augen unterwegs und haben fast genau vor einem Jahr ihr erstes Album namens „Westend“auf einem kleinen Indie-Label veröffentlicht. Das Werk ist ein experimentelles Sound-Produkt aus Noise, Garage, Psychedelic und Krautrock. Auch wenn die Corona-Pandemie sie danach erst einmal ausgebremst hat, lassen sich Tausend Augen nicht entmutigen und arbeiten schon munter am Nachfolgewerk. Jetzt will das Trio aber erst einmal wieder raus auf die Bühne: Gelegenheit dazu gibt es am Donnerstag, 17. März.
„„Westend“haben Sie Ihr aktuelles Album genannt. Welche Idee steckt hinter dem Titel?
Oliver Becker Zunächst einmal klingt der Begriff einfach gut, ist sprachlich nicht eindeutig auf Deutsch oder Englisch festzulegen und auch inhaltlich mehrdeutig – zunächst gab es nur ein Lied mit diesem Titel. „Westend“impliziert aber auch die Idee, dass das westliche Gesellschafts- und Kulturmodell in vielen Bereichen Auflösungserscheinungen zeigt und ganz grundsätzlich zu erodieren scheint – der Westen, der an ein Ende kommt und die Frage aufwirft, was hinter dem „Westend“wartet.
Zum Beispiel?
Oliver Becker Die klassischen dystopischen Ideen, wie entgleisende politische Strukturen, die Scheinheiligkeit gesellschaftlicher Konstrukte oder die Machtlosigkeit des einzelnen Individuums sind einige Themen des Albums. Science-Fiction aus Büchern und Filmen der letzten Jahrzehnte hat insgesamt einen großen Einfluss auf unser Songwriting.
Ist „Westend“also ein Konzeptalbum?
Oliver Becker Nein, die Platte wurde nicht als Konzeptalbum geplant, und die Themen in den Songs hängen inhaltlich auch nur lose zusammen. Generell geht es auf „Westend“aber schon darum, eine Atmosphäre zu schaffen, die ein stimmiges Gesamtbild ergibt.
Wie sind die insgesamt sieben Songs entstanden?
Oliver Becker Die Texte stammen von mir, und die kompletten Songs sind gemeinsam im Proberaum entstanden. Einige sind auf Grundlage eines Demos oder einer Skizze ausgearbeitet worden, bei anderen Songs haben wir einfach mit verschiedenen Ideen herumgespielt.
Und wie verlief die Produktion des Albums während der Corona-Pandemie?
Oliver Becker Der Schaffensprozess war massiv beeinträchtigt, da wir das Album eigentlich in Liverpool aufnehmen wollten und dies aus den offensichtlichen Gründen unmöglich wurde. Die Texte und Musik standen aber schon vorher, weshalb alle inhaltlichen Bezüge zur CoronaPandemie rein zufälliger Natur sind.
Haben sich Ihre Erwartungen trotz Pandemie erfüllt?
Oliver Becker Erwartungen bezüglich der Veröffentlichung einer Platte sind – vor allem bei einem Debüt – generell so eine Sache, da man ja überhaupt nicht weiß, wie Hörer und Presse reagieren. In der Hinsicht sind unsere Erwartungen mindestens erfüllt und sogar übertroffen worden, da sowohl die Hörer- als auch Pressereaktionen sehr positiv ausgefallen sind. Durch die höhere Macht Pandemie war das Live-Spielen leider nicht möglich, was uns natürlich ziemlich ausgebremst hat. Wir stellen im Moment bereits unser nächstes Album fertig: Im Zuge dieser Veröffentlichung hoffen wir, so viel wie möglich live spielen zu können.
Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Bandnamen Tausend Augen gekommen?
Oliver Becker Tausend Augen war einer von verschiedenen, aber gar nicht mal so vielen Namen, die zur Diskussion standen. Gut fanden wir dabei, dass der Begriff nicht eindeutig einer gewissen Stilistik zugeordnet werden kann und uns so einiges offen lässt. Außerdem ist der Bezug auf Fritz Langs Filmklassiker „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ganz cool.
Viele Kritiker bezeichnen Ihren Sound als eine Mischung aus Kraut-Rock, Garage, Psychedelic und Noise. Stimmen Sie dieser Einordnung zu?
Oliver Becker Das sind alles Stilistiken, in denen es Musik gibt, die wir gut finden. Allerdings auch viele Dinge, die wir nicht gut finden, da die Genres vieles umfassen, was kaum etwas miteinander zu tun hat. Uns verbindet z. B. nichts mit irgendwelchem Blues-Rock-Krempel, der teilweise auch Krautrock genannt wird.
Fühlen Sie sich als direkte Nachfahren früher deutscher KrautrockPioniere wie NEU!, Kraftwerk oder Can?
Oliver Becker Diese Bands haben schon einen Einfluss auf uns, aber eher indirekt. Unsere direkten Einflüsse sind aktueller, wobei sich natürlich viele zeitgenössische elektronische Musik auf diese frühen Bands bezieht. Uns geht es um ästhetische und musikalische Ansätze, um Sounds, Minimalismus, ein reduziertes Spiel, Motorik und Wiederholung als Stilmittel.
Wo sehen Sie sich künstlerisch in der Zukunft?
Oliver Becker Es gibt einerseits ein gewisses ästhetisches Prinzip, das wir bestimmt nicht über Bord werfen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir irgendwann mit Power-Metal, Blues-Rock, Mundart oder Deutsch-Rap um die Ecke kommen. Andererseits gibt es Bereiche, die schon in unserem Sound angelegt sind, welche wir noch weiter ausbauen wollen...
Zum Beispiel?
Oliver Becker Auf unserer nächsten Platte wird z. B. das Element elektronischer Musik wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt. Neue Sounds und andere Herangehensweisen an die Songs ergeben dann zwangsläufig auch andere Resultate. Vielleicht machen wir auch irgendwann mal ein Konzeptalbum. Zudem gibt es abseits des Albumformats interessante Möglichkeiten wie Videoperformances oder Kollaborationen mit Künstlern aus anderen Bereichen – da sind wir für vieles offen.
Und mit welchen Gefühlen gehen Sie jetzt wieder auf die Bühne?
Oliver Becker Erst mal freuen wir uns drauf, endlich wieder live auftreten zu können. Dazu wird es auch eine Herausforderung, unseren Sound inklusive der elektronischen Aspekte auf die Bühne zu bringen. Das betrifft zum einen die Stücke des ersten Albums, die ja live bis jetzt kaum gespielt worden sind, aber auch Songs, die auf der nächsten Platte erscheinen werden.
Live erleben kann man Tausend Augen am Donnerstag, 17. März, ab 19.30 Uhr (Einlass: 18.30 Uhr) bei der Vorstellung der neuen „Basement Tales“-Hefte des Saarbrücker Verlags The Dandy Is Dead im Horst!. https://tausendaugen.org/