Das zähe Ringen um einen Impfpflicht-Kompromiss
BERLIN In der Debatte um eine allgemeine Impfpflicht hat sich bislang keine Mehrheit für einen Gesetzentwurf gefunden. Jetzt soll ein Kompromissvorschlag genug Stimmen auf sich vereinen und eine Impfpflicht doch noch möglich machen. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was sieht der Kompromiss vor
Am Montag legte die Abgeordnetengruppe, die sich bisher für eine Impfpflicht ab 18 ausgesprochen hatte – darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – einen entschärften Vorschlag vor. Sie plädiert nur noch für eine Impfpflicht ab 50, die je nach
Pandemielage durch späteren Bundestagsbeschluss auch auf jüngere Bürger ausgedehnt werden könnte. Im Einzelnen sieht die neue Vorlage vor, dass alle Bürger ab 50 Jahren ab dem 1. Oktober einen Impfnachweis über drei erfolgte Einzelimpfungen vorlegen müssen.
Alle Erwachsenen unter 50 Jahren müssen bis dahin zumindest einen Nachweis über eine Impfberatung erbringen. So soll es eine verpflichtende Impfberatung für alle Personen zwischen 18 und 49 Jahren und einen Aufbau eines bundesweiten Impfregisters geben. Der Bundestag stimmt am Donnerstag über die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19 ab, dann soll der neue Vorschlag als Änderungsantrag zum bisherigen Gesetzentwurf eingebracht werden.
Mit ihrem Kompromissangebot greifen die 237 Befürworter der Impfpflicht ab 18 die Vorschläge anderer Parlamentariergruppen auf und versuchen diese mit ihrem Konzept zusammenzuführen. So hatte eine Gruppe von 45 Abgeordneten um den FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann eine Impfberatungspflicht vorgeschlagen und eine mögliche Impfpflicht ab 50. Die Union ist für den Aufbau eines Impfregisters und kann sich theoretisch auch eine Impfpflicht für gefährdete Gruppen vorstellen. Der Unterschied zur Impfpflicht-ab-18-Gruppe, die eine sofortige Impfpflicht möchte: Beides wären gestufte Verfahren. Bevor eine
Impfpflicht in Kraft gesetzt werden könnte, müsste der Bundestag dies erneut abhängig von der Pandemielage beschließen. Auch Ullmann und seine Mitstreiter wiesen daher am Montag den Kompromissvorschlag zurück. Man könne diesem in der jetzigen Form nicht zustimmen. „Eine sofortige Impfpflicht ab 50 ohne Würdigung der vielen unbekannten Variablen im Herbst, von dann denkbaren Virusvarianten bis zur Immunitätsquote in der Bevölkerung, kann auf der Basis der aktuellen Datenlage nicht ausreichend gut begründet werden“, hieß es.
Lauterbach warb für die Änderungen. „Jeder, der die Impfpflicht will, kann sich hier wiederfinden. Zentral ist, dass wir damit die Älteren sofort schützen. Dazu können wir auf eine Verschlechterung der Pandemielage reagieren und schützen dann auch die Jüngeren“, betonte Lauterbach. „Wer aber dagegen stimmt, riskiert erneut Lockdowns und Leid im Herbst“, sagte der Minister.
Hat der Kompromiss die Chance auf eine Mehrheit
Das wird schwierig. Denn die Union könnte – je nach Abstimmungsverhalten – jedes Vorhaben blockieren. Und aus der Unionsfraktion kam prompt Kritik am Kompromiss. Man werde dem nicht zustimmen, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU). Der Vorschlag sei eine durchschaubare Mogelpackung. „Er hat einen doppelten Boden. Hinter der anfänglichen Impfpflicht ab 50 verbirgt sich eine Impfpflicht ab 18, an der Teile der Ampel offensichtlich verzweifelt festhalten“, sagte er.
Dann wird es vorerst keine Entscheidung des Bundestages und damit auch nicht des Bundesrates am Freitag geben. Das Verfahren hätte frühestens im Mai eine neue Chance. Aus Sicht der Befürworter der Impfpflicht wäre das kritisch, weil wertvolle Zeit zum Impfen vor dem Herbst verloren ginge.