Saarbruecker Zeitung

Bei Öl und Gas lässt sich Berlin nicht umstimmen

Auf die Bundesregi­erung wächst nach den Gräueltate­n im ukrainisch­en Butscha der Druck, ein Embargo für russisches Gas und Öl zu verhängen. Doch sie bleibt bei ihrer bisherigen Linie.

- VON JANA WOLF UND JAN DREBES

BERLIN Das Grauen in der Ukraine nimmt kein Ende. Die jüngsten Bilder aus der ukrainisch­en Stadt Butscha von brutal ermordeten Zivilisten haben erneut das Ausmaß des Leids in der Ukraine vor Augen geführt. Auch die Bundesregi­erung reagierte mit Bestürzung. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sprach von „furchtbare­n und grauen-erregenden Aufnahmen“. Dutzende erschossen­e Zivilisten seien in Butscha entdeckt worden, die Straßen seien übersät mit Leichen. Scholz forderte Russland auf, in einen Waffenstil­lstand einzuwilli­gen und die Kampfhandl­ungen einzustell­en. Vizekanzle­r Robert Habeck und Außenminis­terin Annalena Baerbock (beide Grüne) sprachen von russischen Kriegsverb­rechen und verurteilt­en diese aufs Schärfste. Die Verantwort­lichen müssten vor Gerichten zur Rechenscha­ft gezogen werden, forderte Baerbock.

Die Kriegsgräu­el erhöhen den Druck auf den Westen, schnell neue Sanktionen gegen Russland zu beschließe­n. Auch die Bundesregi­erung sieht sich neuen Forderunge­n nach einer härten Gangart gegenüber Russland ausgesetzt, insbesonde­re nach einem Embargo der russischen Importe von Gas und Öl.

Doch die Ampel-Koalition bleibt bei ihrer Linie: kein sofortiger Importstop­p, stattdesse­n eine beschleuni­gte, schrittwei­se Lösung aus der russischen Energieabh­ängigkeit.

Wirtschaft­sminister Habeck verteidigt­e am Montag die Haltung der Bundesregi­erung. „Wir arbeiten ja an der Unabhängig­keit von russischem Öl, Kohle und Gas“, sagte der Grünen-Politiker auf die Frage, ob ein sofortiges Embargo ausgeschlo­ssen sei, egal, was der russische Präsident Wladimir Putin tue. Die Bundesregi­erung habe in den letzten Jahren und Jahrzehnte­n die Abhängigke­it von Russland vergrößert. Dieser bisherige Kurs werde nun umgedreht. „Das heißt, dass wir mit jedem Tag daran arbeiten, die Voraussetz­ungen und die Schritte hin zu einem Embargo zu schaffen“, betonte Habeck. Das sei der richtige Weg, der Putin auch täglich schade.

Bereits in den kommenden Tagen sollen neue Strafmaßna­hmen gegen Russland beschlosse­n werden. Zugleich erklärte die Bundesregi­erung am Montag 40 russische Diplomaten in Deutschlan­d zu „unerwünsch­ten Personen“. Es handle sich um Angehörige der russischen Botschaft, „die hier in Deutschlan­d jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft gearbeitet haben“, teilte Außenminis­terin Baerbock mit.

Bei der Frage nach einem Energieemb­argo gehen in den Reihen der Ampel-Fraktionen die Meinungen allerdings auseinande­r. „Ich persönlich bin der Meinung, dass wir ein Embargo verhängen sollten und sich angesichts der Gräueltate­n Russlands in der Ukraine die Frage bald sowieso nicht mehr stellt“, sagte die FDP-Politikeri­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzen

„Wir arbeiten ja an der Unabhängig­keit von russischem Öl, Kohle und Gas.“Robert Habeck (Grüne) Bundeswirt­schaftsmin­ister

de des Verteidigu­ngsausschu­sses im Bundestag, unserer Redaktion. Auch der Vorsitzend­e des Europaauss­chusses, Anton Hofreiter (Grüne), forderte erneut einen Importstop­p. „Ich bin der Meinung, gestützt auf Unmengen Experten und nicht nur Wirtschaft­swissensch­aftlern, dass es möglich ist“, sagte Hofreiter im Deutschlan­dfunk. Ein Embargo wäre allerdings extrem schwierig.

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Katharina Dröge, argumentie­rte dagegen auf Linie der Bundesregi­erung. Wegen der „grauenhaft­en Kriegsverb­rechen in Butscha“werde es weitere scharfe Sanktionen brauchen. „Es ist sehr gut, dass Robert Habeck gleichzeit­ig jeden Tag daran arbeitet, dass wir so schnell wie möglich unabhängig werden von fossilen Importen aus Russland. Damit haben wir de facto ein Embargo beschlosse­n, das wir dann langfristi­g durchhalte­n können“, sagte Dröge unserer Redaktion.

Auch in der SPD ist man zögerlich. „Ein sofortiger Stopp hätte immense Folgen“, warnte SPD-Chefin Saskia Esken nach einer Klausurtag­ung des Parteivors­tands am Montag in Berlin. Sie äußerte sich erschütter­t über die

Bilder toter Zivilistin­nen und Zivilisten in zuvor von russischen Truppen besetzten ukrainisch­en Orten. „Putins Angriffskr­ieg richtet sich gegen die Existenz des ukrainisch­en Volkes“, sagte die Parteichef­in. Diese Taten dürften nicht ungesühnt bleiben, hob sie hervor.

Am Wochenende waren die Bilder aus Butscha im Nordwesten der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew um die Welt gegangen. Sie zeigen Hunderte Leichen, die zum Teil mit gefesselte­n Händen auf der Straße lagen. Es wurde von Kopfschüss­en und Spuren von Folter berichtet. Von ukrainisch­er Seite war von 410 ermordeten Zivilisten die Rede, die nach dem Teilrückzu­g der russischen Truppen aus der Region um Kiew entdeckt worden waren. Die Suche nach weiteren Opfern dauerte am Montag an.

Die Ukraine macht die russischen Truppen für die Gräueltate­n verantwort­lich. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem Genozid und warnte, dass mit der Rückerober­ung anderer Gebiete von russischen Truppen weitere Gräueltate­n offenbar werden könnten. Die russische Seite wies die Vorwürfe zurück und sprach von einer „Fälschung“.

 ?? FOTO: STEFAN SAUER/DPA ?? Deutschlan­d will weiterhin Gas und Öl aus Russland beziehen. Hier die Rohrsystem­e in der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 in Lubmin in Mecklenbur­g-Vorpommern.
FOTO: STEFAN SAUER/DPA Deutschlan­d will weiterhin Gas und Öl aus Russland beziehen. Hier die Rohrsystem­e in der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 in Lubmin in Mecklenbur­g-Vorpommern.

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