Bei Öl und Gas lässt sich Berlin nicht umstimmen
Auf die Bundesregierung wächst nach den Gräueltaten im ukrainischen Butscha der Druck, ein Embargo für russisches Gas und Öl zu verhängen. Doch sie bleibt bei ihrer bisherigen Linie.
BERLIN Das Grauen in der Ukraine nimmt kein Ende. Die jüngsten Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha von brutal ermordeten Zivilisten haben erneut das Ausmaß des Leids in der Ukraine vor Augen geführt. Auch die Bundesregierung reagierte mit Bestürzung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von „furchtbaren und grauen-erregenden Aufnahmen“. Dutzende erschossene Zivilisten seien in Butscha entdeckt worden, die Straßen seien übersät mit Leichen. Scholz forderte Russland auf, in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kampfhandlungen einzustellen. Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) sprachen von russischen Kriegsverbrechen und verurteilten diese aufs Schärfste. Die Verantwortlichen müssten vor Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Baerbock.
Die Kriegsgräuel erhöhen den Druck auf den Westen, schnell neue Sanktionen gegen Russland zu beschließen. Auch die Bundesregierung sieht sich neuen Forderungen nach einer härten Gangart gegenüber Russland ausgesetzt, insbesondere nach einem Embargo der russischen Importe von Gas und Öl.
Doch die Ampel-Koalition bleibt bei ihrer Linie: kein sofortiger Importstopp, stattdessen eine beschleunigte, schrittweise Lösung aus der russischen Energieabhängigkeit.
Wirtschaftsminister Habeck verteidigte am Montag die Haltung der Bundesregierung. „Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl, Kohle und Gas“, sagte der Grünen-Politiker auf die Frage, ob ein sofortiges Embargo ausgeschlossen sei, egal, was der russische Präsident Wladimir Putin tue. Die Bundesregierung habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Abhängigkeit von Russland vergrößert. Dieser bisherige Kurs werde nun umgedreht. „Das heißt, dass wir mit jedem Tag daran arbeiten, die Voraussetzungen und die Schritte hin zu einem Embargo zu schaffen“, betonte Habeck. Das sei der richtige Weg, der Putin auch täglich schade.
Bereits in den kommenden Tagen sollen neue Strafmaßnahmen gegen Russland beschlossen werden. Zugleich erklärte die Bundesregierung am Montag 40 russische Diplomaten in Deutschland zu „unerwünschten Personen“. Es handle sich um Angehörige der russischen Botschaft, „die hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet haben“, teilte Außenministerin Baerbock mit.
Bei der Frage nach einem Energieembargo gehen in den Reihen der Ampel-Fraktionen die Meinungen allerdings auseinander. „Ich persönlich bin der Meinung, dass wir ein Embargo verhängen sollten und sich angesichts der Gräueltaten Russlands in der Ukraine die Frage bald sowieso nicht mehr stellt“, sagte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzen
„Wir arbeiten ja an der Unabhängigkeit von russischem Öl, Kohle und Gas.“Robert Habeck (Grüne) Bundeswirtschaftsminister
de des Verteidigungsausschusses im Bundestag, unserer Redaktion. Auch der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), forderte erneut einen Importstopp. „Ich bin der Meinung, gestützt auf Unmengen Experten und nicht nur Wirtschaftswissenschaftlern, dass es möglich ist“, sagte Hofreiter im Deutschlandfunk. Ein Embargo wäre allerdings extrem schwierig.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, argumentierte dagegen auf Linie der Bundesregierung. Wegen der „grauenhaften Kriegsverbrechen in Butscha“werde es weitere scharfe Sanktionen brauchen. „Es ist sehr gut, dass Robert Habeck gleichzeitig jeden Tag daran arbeitet, dass wir so schnell wie möglich unabhängig werden von fossilen Importen aus Russland. Damit haben wir de facto ein Embargo beschlossen, das wir dann langfristig durchhalten können“, sagte Dröge unserer Redaktion.
Auch in der SPD ist man zögerlich. „Ein sofortiger Stopp hätte immense Folgen“, warnte SPD-Chefin Saskia Esken nach einer Klausurtagung des Parteivorstands am Montag in Berlin. Sie äußerte sich erschüttert über die
Bilder toter Zivilistinnen und Zivilisten in zuvor von russischen Truppen besetzten ukrainischen Orten. „Putins Angriffskrieg richtet sich gegen die Existenz des ukrainischen Volkes“, sagte die Parteichefin. Diese Taten dürften nicht ungesühnt bleiben, hob sie hervor.
Am Wochenende waren die Bilder aus Butscha im Nordwesten der ukrainischen Hauptstadt Kiew um die Welt gegangen. Sie zeigen Hunderte Leichen, die zum Teil mit gefesselten Händen auf der Straße lagen. Es wurde von Kopfschüssen und Spuren von Folter berichtet. Von ukrainischer Seite war von 410 ermordeten Zivilisten die Rede, die nach dem Teilrückzug der russischen Truppen aus der Region um Kiew entdeckt worden waren. Die Suche nach weiteren Opfern dauerte am Montag an.
Die Ukraine macht die russischen Truppen für die Gräueltaten verantwortlich. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem Genozid und warnte, dass mit der Rückeroberung anderer Gebiete von russischen Truppen weitere Gräueltaten offenbar werden könnten. Die russische Seite wies die Vorwürfe zurück und sprach von einer „Fälschung“.