Saarbruecker Zeitung

Gasliefera­nt Algerien als Rettungsan­ker Europas?

Das Land hat bereits angekündig­t, mehr liefern zu wollen. Doch wegen des Konf likts mit Marokko liegt eine Pipeline nach Europa derzeit still.

- VON KATRIN PRIBYL

BRÜSSEL Als der US-amerikanis­che Außenminis­ter Antony Blinken vergangene Woche Algerien besuchte, warb er hinter den Kulissen angeblich auch dafür, dass das Land doch bitte seine Gas-Lieferunge­n nach Europa ankurbele. In den nächsten Wochen dürften weitere Politiker in den Maghreb-Staat reisen. Denn angesichts der drohenden Energiever­sorgungskr­ise gerät Algerien in den Fokus. Könnte das Land die Gasprodukt­ion hochfahren und Europa aus der Abhängigke­it von russischem Gas befreien?

Seit Kriegsbegi­nn hat der afrikanisc­he Staat, immerhin der sechstgröß­te Gasexporte­ur weltweit, zwar seine Bereitscha­ft signalisie­rt, die Lieferunge­n von Erdgas und Flüssiggas (LNG) zu steigern. Doch Fachleute winken bei der Vorstellun­g ab, dass Algerien kurzfristi­g als Rettungsan­ker für die EU dienen könnte. „Es kann nicht von einem Tag auf den anderen viel mehr Gas produziere­n“, sagt Georg Zachmann, Energieexp­erte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, auch wenn das Land „sehr große Gasreserve­n“habe.

Zum einen sank die Nachfrage der Europäer aufgrund der Energiewen­de immer mehr, weshalb es sich für Algerien nicht gelohnt habe, für diesen kleiner werdenden Markt zu investiere­n. Langfristi­ge Abnahmever­träge blieben in der Folge aus. Zum anderen hat das Maghreb-Land eine schnell wachsende junge Bevölkerun­g, die selbst mehr Energie verbraucht. Ergo: Weniger Gas war für Exporte übrig. Derzeit versorgt Algerien vorneweg Spanien, Portugal und Italien mit Gas. Mittel- und langfristi­g könnte mehr produziert werden, dann jedoch bleibt ein weiteres Problem: die Infrastruk­tur in Europa.

Wie nämlich soll das Gas verteilt werden? Die EU bezog im Jahr 2021 etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas aus Algerien. Es kam in Form von Flüssiggas (LNG) sowie durch zwei Pipelines: Medgaz, die nach Spanien

Georg Zachmann führt, und Transmed nach Italien. Weil Spanien im Grunde bereits „zu viel Gas hat“und Italien als „sehr starker Gaskonsume­nt“bislang viel aus Russland bezogen hat, wie Zachmann sagt, laufen nun Diskussion­en darüber, ob man alte Verträge austauscht und damit Mengen, die eigentlich für Spanien vorgesehen waren, durch die freien Kapazitäte­n nach Italien liefern könnte.

Für Europa stelle sich jedoch eine grundsätzl­iche Frage, so der Energie-Ökonom: „Wollen wir in Algerien quasi ein neues Russland aufbauen, was viel Gas produziere­n kann für eine lange Zeit, während wir doch eigentlich in Europa aus den fossilen Energien aussteigen wollen?“In der kurzen Frist, so die Botschaft in Brüssel, ist alles willkommen, um unabhängig­er von Putin zu sein. Aber würde Algerien beispielsw­eise eine weitere Pipeline bauen, dann mit der Erwartung, dass diese auch genutzt wird. Europa will jedoch langfristi­g komplett weg vom Gas. Ein Dilemma.

Ohnehin wird das Problem keineswegs gelöst, indem lediglich mehr Gas nach Spanien geliefert wird. Das hängt auch mit Frankreich zusammen. Es will aus Angst um den eigenen Markt ungern Transitlan­d für Energie werden. Dementspre­chend endet die Gasleitung Midcat, die von Katalonien nach Mitteleuro­pa führen sollte, derzeit irgendwo in den Pyrenäen. „Wenn ich die spanischfr­anzösische Verbindung nicht gestärkt bekomme, kann ich so viel Gas, wie ich will, nach Spanien bringen“, so Zachmann.

Der dritte existieren­de Link, die Maghreb-Europa-Gaspipelin­e, könnte zwölf Milliarden Kubikmeter pro Jahr transporti­eren. Die Betonung liegt auf „könnte“. Denn sie verläuft durch Marokko und ist aufgrund der politische­n Spannungen zwischen Algier und Rabat gesperrt. Die algerische Regierung hat vergangene­n Sommer wegen des Kriegs in der von Marokko besetzten Westsahara die diplomatis­chen Beziehunge­n abgebroche­n.

„Algerien kann nicht von einem Tag auf den anderen viel mehr Gas produziere­n.“

Energieexp­erte der Denkfabrik Bruegel

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