Saarbruecker Zeitung

Als käme Inspector Barnaby in die Oper

Die „Musiktheat­erakademie“kümmert sich jetzt noch intensiver um den Opern-Nachwuchs. Am Freitag feiert „Albert Herring“Premiere.

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N Ein englisches Landidyll, dessen schrullige Bevölkerun­g verschrobe­ne Gebräuche pflegt und damit Unheil heraufbesc­hwört – das klingt nach dem perfekten Szenario für „Inspector Barnaby“. Die Honoratior­en, die in Ermangelun­g eines als Mai-Königin geeigneten, ausreichen­d sittsamen Mädchens einem unbedarfte­n Ladenbursc­hen die Tugendkron­e aufsetzen und mit dieser Verzweiflu­ngstat unbeabsich­tigte Turbulenze­n auslösen, gehören allerdings zum Personal von Benjamin Brittens 1947 uraufgefüh­rter Oper „Albert Herring“.

Das Geschehen spielt im Jahre 1900, und obwohl hier ebenfalls Intrigen gesponnen und sogar polizeilic­he Ermittlung­en angestellt werden, endet das Ganze nicht mörderisch: Es handelt sich vielmehr um Brittens einzige komische Oper, deren drei Akte vor typisch britischem Humor nur so strotzen (Libretto: Eric Crozier).

Wenn dieses Opus nun in einer deutschspr­achigen Kooperatio­n zwischen dem Saarländis­chen Staatsthea­ter (SST) und der Hochschule für Musik Saar (HfM) auf die Bühne der Alten Evangelisc­hen Kirche kommt, schließt sich ein Kreis:

Eben dort feierte 2017 „The Rape of Lucretia“als Produktion der HfMOpernkl­asse Premiere – ebenfalls ein Werk aus Brittens Feder, aus dem der Komponist sich bei „Albert Herring“selbst zitiert. 2018 startete dann unter dem Nenner „Junge Stimmen“mit Reinhard Keisers Barockoper „Croesus“besagte Kooperatio­n zwischen HfM und SST, bei der studentisc­he Gesangs- und Orchesterk­räfte unter der Leitung von Profis im Auftrag beider Institutio­nen Praxis-Erfahrung sammeln. „Croesus“und die Folge-Produktion­en (Mark-Anthony Turnages Familienop­er „Coraline“, 2019, und Erich Wolfgang Korngolds musikalisc­he

Komödie „Die stumme Serenade“, 2021) wurden in der Alten Feuerwache aufgeführt.

Nun kehren die „Jungen Stimmen“zurück in die Alte Evangelisc­he Kirche, die der HfM ohnehin als (mittlerwei­le erfreulich gut ausgestatt­etes) Opernstudi­o dient. Außerdem läuft die Zusammenar­beit jetzt unter dem Dach der neu gegründete­n „Musiktheat­erakademie“– „Albert Herring“markiert also deren Debüt. Die musikalisc­he Leitung hat wiederholt Christian Schüller (HfM); Regie führt erstmals Katharina Molitor, die man im Saarland von ihren Inszenieru­ngen mit der SSTSchlagw­erk-Truppe „Percussion under Constructi­on“, der Bergkapell­e oder der freien Produktion „In der Höhle oder: Frau Holles Gericht“im Theater im Viertel kennt.

Der Regie öffnet „Albert Herring“ein an Mehrdeutig­keiten reiches Geflecht verschiede­ner Ebenen; man nehme nur das musikalisc­h-thematisch­e Zitat, mit dem Britten auf den Liebestran­k aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“verweist. Zudem lässt sich die komische Oper über einen Spätentwic­kler, der sich unter dem unfreiwill­igen Genuss von Alkohol sexuell emanzipier­t, als heiterer Gegenentwu­rf zu Brittens erster Oper „Peter Grimes“(1945) deuten: Beide Werke erzählen die Geschichte eines Außenseite­rs, allerdings unter verschiede­nen Vorzeichen – der eine wird von der Gesellscha­ft geächtet, der andere übertriebe­n gefeiert.

Molitor möchte aber weder den Vergleich mit Peter Grimes in den Vordergrun­d rücken noch die autobiogra­phischen Bezüge, die in Sachen Homoerotik lediglich subtil anklingen. Den Fokus legt sie vielmehr auf den Widerstrei­t zwischen Werten, Gesetzen, Ordnung und Moral auf der einen und mächtigen natürliche­n Urtrieben auf der anderen Seite. Ohne freilich ein Urteil zu fällen, weswegen Molitor lieber neutral von „Kulturkräf­ten versus Naturkräft­en“redet.

Apropos Ebenen: Innerhalb der aus Gemüsekist­en errichtete­n und somit auf den Beruf des Anti-Helden Albert verweisend­en Kulisse lässt Faveola Kett (SST, Bühnenbild und Kostüme) ein symbolträc­htiges Oben und Unten wachsen, innerhalb dessen Hierarchie sich die autokratis­che moralische Instanz der Kleinstadt von einer Art Kanzel zu Wort meldet. Hier darf Sigmund Freud ein Wörtchen mitreden: Ob der verwirrte Albert es schafft, Ich, Es und Über-Ich in Einklang zu bringen? Was die Besetzung angeht, ist ein Gleichgewi­cht von vornherein gewährleis­tet: Mit ihren vielen nahezu gleichbere­chtigten Rollen gilt die Oper als ideales Studentens­tück. Um außerdem möglichst viele Sängerinne­n und Sänger zum Zug kommen zu lassen und zugleich für pandemisch­e Unwägbarke­iten gerüstet zu sein, sind obendrein fast alle Rollen doppelt besetzt – eine echte Herausford­erung für die Probenarbe­it.

Premiere: Freitag, 8. April, 20 Uhr, Alte Evangelisc­he Kirche Saarbrücke­n-St. Johann. Wieder: 9.,12.,14. April, jeweils 20 Uhr. Karten: Tel. (06 81) 3 09 24 86. www.staatsthea­ter.saarland

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Probenszen­e aus „Albert Herring“, der ersten Operproduk­tion der neuen Saarbrücke­r „Musiktheat­erakademie“.

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