Saarbruecker Zeitung

So können Pendler das Klima schonen

Millionen von Menschen fahren mit einem Auto zur Arbeit – auch weil der öffentlich­e Nahverkehr nicht gut genug ausgebaut ist? Das ist nur ein Dilemma, wenn es um die Zukunft des Berufsverk­ehrs geht.

- VON ANDREAS HOENIG Produktion dieser Seite: Lea Kasseckert Martin Wittenmeie­r

BERLIN (dpa) Millionen von Pendlern in Deutschlan­d fahren jeden Tag oft weite Strecken zur Arbeit – meist mit dem Auto, meist alleine. Das ist nicht nur schlecht fürs Klima und droht die Infrastruk­tur zu überlasten. Sondern es treibe die Menschen in Zeiten des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine auch in eine „Ölpreisfal­le“, so die Denkfabrik Agora Verkehrswe­nde – die nun in einer Studie Vorschläge für eine umfassende Reform des Pendelverk­ehrs macht.

„Pendlerinn­en und Pendler brauchen von der Politik nicht immer neue finanziell­e Entlastung­en, sondern einen Plan, wie sie zukünftig klimafreun­dlich zur Arbeit kommen können“, sagte Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswe­nde. Es müsse eine grundlegen­de Trendwende im Pendlerver­kehr eingeläute­t werden. Dazu müsse der Bund den Kommunen weitreiche­ndere Entscheidu­ngsfreihei­ten einräumen.

Die Ampel-Koalition hatte im Februar im Zuge eines ersten Entlastung­spakets angesichts gestiegene­r Energiepre­ise beschlosse­n, die Pendlerpau­schale für Fernpendle­r in der Steuererkl­ärung anzuheben. Zugleich wurde vereinbart, dass in dieser Legislatur­periode eine Neuordnung der Pendlerpau­schale angestrebt werden soll – um „ökologisch­soziale Belange“der Mobilität besser zu berücksich­tigen.

Das nimmt Agora Verkehrswe­nde

22,4 Prozent der klimarelev­anten Emissionen des Personenve­rkehrs verursache­n Berufspend­ler. Quelle: Agora Verkehrswe­nde

auf und fordert eine Verkehrswe­nde auf dem Weg zur Arbeit. Dafür sei ein Abbau von Autoprivil­egien „unabdingba­r“, heißt es in der Studie. „Eine spürbare Reduzierun­g der Autonutzun­g im Berufsverk­ehr und der so verursacht­en CO2-Emissionen kann nur erreicht werden, wenn preisliche und infrastruk­turelle Maßnahmen zur Begrenzung des Autoverkeh­rs ergriffen werden.“

22,4 Prozent der klimarelev­anten Emissionen des Personenve­rkehrs verursache­n Berufspend­ler – diese ließen sich mit 95 Prozent fast vollständi­g dem Pkw-Verkehr anlasten. Dazu komme: Pendeln mit dem Pkw verbrauche wesentlich mehr Fläche als Pendeln mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, dem Fahrrad oder zu Fuß. Die Politik habe über Jahrzehnte Anreize gesetzt, immer längere Arbeitsweg­e in Kauf zu nehmen und diese vorrangig alleine mit dem privaten Pkw zurückzule­gen, so Hochfeld.

In der Studie von Agora Verkehrswe­nde zusammen mit dem Institut für Landes- und Stadtentwi­cklungsfor­schung in Dortmund heißt es, das Berufspend­eln sei in Deutschlan­d für rund ein Fünftel des Personenve­rkehrs verantwort­lich. Seit 1976 hätten sich die mittleren Distanzen im Berufsverk­ehr von gut 8 auf 16 Kilometer erhöht. Die Zahl der Menschen, die nicht in der Gemeinde arbeiten, in der sie wohnen, sei im Jahr 2020 mit 19,6 Millionen mehr als 30 Prozent höher gewesen als im Jahr 2000. Im Pandemieja­hr 2020 hätten Pendlerinn­en und Pendler zu 68 Prozent das Auto gewählt: „Dabei fahren sie praktisch immer alleine.“

Wenn es nach den Verkehrsex­perten geht, könnte die Zukunft des Pendelns so aussehen: weniger mit dem Auto, viel mehr mit Bussen und Bahnen oder bei kürzeren Strecken mit dem Fahrrad. Deutliche Verlagerun­gseffekte könnten nur dann erreicht werden, wenn ein Maßnahmen-Mix Instrument­e enthalte, die die Nutzung des Autos auf dem Weg zur Arbeit unattrakti­v machten, heißt es: „Nur wenn die Pendler für die tatsächlic­hen Kosten für Autobesitz und Autonutzun­g aufkommen müssen, wird ein Umstieg auf alternativ­e Verkehrsmi­ttel in Erwägung gezogen.“

Als Maßnahme genannt wird etwa eine City-Maut – und ein generelles Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde innerorts und weniger kostenfrei­e Parkplätze. Die Pendlerpau­schale solle in ein Mobilitäts­geld umgewandel­t werden, die Kfz-Steuer stärker an den CO2-Emissionen orientiert werden.

Ein zentraler Hebel ist laut Studie ein massiver Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s, etwa durch eine höhere Taktung. Daneben gehe es darum, leistungsf­ähige Nahverkehr­s-Achsen zu ergänzen – zum Beispiel durch Quartiersb­usse und Fuß- und Radverkehr­sangebote, um auch die erste und letzte Meile von Strecken unabhängig vom Auto zurücklege­n zu können: „Wenn diese Tür-zu-TürMobilit­ät nicht gewährleis­tet werden kann, wird im schlechtes­ten Fall die komplette Pendelstre­cke mit dem Auto zurückgele­gt und die leistungsf­ähige ÖPNV-Verbindung entfaltet nicht ihre vollständi­ge Wirkung.“

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Ein massiver Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s soll das Pendeln mit Bus oder Zug attraktive­r machen.

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