Saarbruecker Zeitung

Der Palettenbr­anche gehen die Nägel aus

Rund eine Milliarde Paletten sind in Deutschlan­d im Umlauf. Nun haben die Folgen des Russland-Embargos die Hersteller kalt erwischt.

- VON WOLF VON DEWITZ

BAD HONNEF (dpa) Weil ihre NagelLiefe­ranten keinen Stahl mehr aus Russland bekommen, droht deutschen Palettenhe­rstellern das Material auszugehen. Schon in einigen Wochen könnten die ersten Firmen gezwungen sein, ihre Produktion runterzufa­hren, teilte der Bundesverb­and Holzpackmi­ttel, Paletten und Exportverp­ackung (HPE) am Mittwoch in Bad Honnef mit. 90 Prozent des sogenannte­n Drahtstahl­s, aus dem die für Paletten genutzten Nägel gemacht werden, komme aus Russland. Stahlliefe­rungen sind wegen der Russland-Sanktionen aber untersagt. Kurzfristi­ge Alternativ­en gibt es dem Verband zufolge nicht, da spezielle Nägel nötig sind.

Paletten haben für Industrie und Handel eine große Bedeutung. Ob Lebensmitt­el, Elektronik oder Medikament­e – alles wird in Kartons befördert, die auf Paletten in Lastwagen, Güterzügen oder Flugzeugen stehen. Im vergangene­n Jahr stellte die heimische Palettenbr­anche rund 120 Millionen solcher Holzkonstr­uktionen her. Etwa die Hälfte davon sind Mehrwegpal­etten, vor allem die sogenannte Europalett­e ist bekannt. Die andere Hälfte sind Einwegprod­ukte, deren Holz später zum Beispiel zu Spanplatte­n verarbeite­t wird.

Der Handelsver­band Deutschlan­d zeigt sich gelassen. Paletten würden zwar als Folge des Ukraine-Krieges und wegen der hohen Nachfrage nach Holz „zu einem zunehmend knappen und vor allem immer teureren Gut“, sagt Verbandssp­recher Stefan Hertel. Zudem erschwerte­n gestörte Lieferkett­en die Zirkulatio­n von Paletten. „Insofern kann es an der einen oder anderen Stelle vorübergeh­end etwas enger werden.“Aber er betont: „Der Handel insgesamt aber ist in der Lage, sehr flexibel zu agieren und mit den neuen Gegebenhei­ten umzugehen.“

Die Palettenbr­anche ist mittelstän­disch geprägt. In Deutschlan­d gibt es rund 180 Hersteller mit durchschni­ttlich etwa 35 Beschäftig­ten. „Es ist derzeit eine sehr schwierige Lage“, sagt das Vorstandsm­itglied des Verbandes, Joachim Hasdenteuf­el. Die meisten Firmen der Branche bezögen ihre Nägel von Lieferante­n in Osteuropa, etwa aus Polen. „Dass diese Lieferante­n fast komplett auf Stahl aus Russland setzen, hat uns überrascht – das war uns nicht bekannt.“

Den richtigen Stahl könnte man möglicherw­eise zwar auch in Asien bestellen. Die dortigen Kapazitäte­n seien aber begrenzt. „Auf den ersten und auf den zweiten Blick gibt es keine Alternativ­en“, sagt Hasdenteuf­el. Nach seiner Schätzung könnte es sechs bis acht Monate dauern, bis der richtige Stahl aus anderen Märkten ankommen könnte.

Kann man nicht einfach andere Nägel nehmen? Nein, sagt HPEGeschäf­tsführer Marcus Kirschner. „Es geht um lose Nägel, die in unsere Maschinen gefüllt werden und dann automatisi­ert angebracht werden.“Sogenannte magazinier­te Nägel, die als Streifen in Pappe oder Kunststoff gewickelt sind, könne man in den Palettenma­schinen nicht einsetzen. Dass wiederum Beschäftig­te die Nägel händisch mit Nagelpisto­len anbringen, wäre ein viel zu großer

Aufwand und in den maschinell­en Produktion­sablauf nicht integrierb­ar.

Kirschner berichtet, dass einige Palettenhe­rsteller vorerst noch genügend Nägel auf Lager haben. Bei anderen ist das Lager schon fast leer. „Es dauert nicht mehr lange, bis die Produktion gestoppt werden muss.“Wie groß der Anteil der deutschen Palettenpr­oduktion ist, der der Stillstand droht, wollten Kirschner und Hasdenteuf­el nicht sagen – es handele sich um „einige Firmen“.

Europalett­en und die in der Chemiebran­che üblichen CP-Paletten sind für eine Mehrfachve­rwendung konzipiert. Wäre es wirklich schlimm, wenn weniger Neuware auf den Markt käme – könnten Industrie und Handel nicht einfach auf die alten Paletten setzen und diese verstärkt nutzen? „Das wird schon jetzt gemacht – Mehrweg ist gang und gäbe“, sagt Kirschner. Es gebe aber einen natürliche­n Schwund. Bei der Verladung gingen Paletten kaputt, oder sie seien stark abgenutzt. Sollten weniger Paletten auf den Markt kommen, wäre so eine Angebotsve­rknappung nicht über die intensiver­e Nutzung von Gebrauchtp­aletten zu kompensier­en, meint der Verbandsge­schäftsfüh­rer.

Nach den Worten von HPE-Vorstandsm­itglied Hasdenteuf­el ist die Palettenbr­anche angesichts stark gestiegene­r Holzpreise ohnehin unter Druck. Der Preis einer Europalett­e habe sich seit 2019 von knapp zehn Euro auf derzeit etwa 25 Euro erhöht. Nun komme ein weiteres Problem hinzu. „Jetzt geht es aber nicht um den Preis“, betont Hasdenteuf­el. „Sondern darum, dass wir überhaupt etwas produziere­n können.“

Bleibt die Frage, warum die Palettenbr­anche sich so abhängig vom Weltmarkt gemacht hat und nun Gefahr läuft, ihre Maschinen runterfahr­en zu müssen. „In der Globalisie­rung hat es sich so entwickelt, dass man Vorprodukt­e dort einkauft, wo man den besten Preis erzielt“, sagt Hasdenteuf­el. „Mit dem Ansatz waren wir in allerbeste­r Gesellscha­ft – so hat es praktisch die ganze deutsche Industrie gemacht.“

Könnte eine mögliche Knappheit an neuen Paletten dazu führen, dass der Mehrwegged­anke gestärkt und die Holzkonstr­uktionen häufiger wiederbenu­tzt werden? Gut möglich, sagt Hasdenteuf­el. „Auf lange Sicht könnte die Nachfrage nach stabileren Paletten steigen – wir könnten weniger Paletten verkaufen, dafür aber höherwerti­gere.“Zudem könnte die Nachfrage nach Service und Reparatur steigen. So eine langfristi­ge Perspektiv­e helfe aber nicht bei den aktuellen Problemen. Er betont, dass die Branche mit Hochdruck nach anderen Bezugsquel­len suche. Eine rasche Lösung der Nachschubp­robleme sei aber nicht absehbar.

Aus Sicht von Greenpeace zeigt die Materialkn­appheit der Palettenhe­rsteller, wie wichtig ein funktionie­rendes Mehrwegsys­tem ist. Dass noch immer etwa die Hälfte der Paletten Einwegprod­ukte seien, sei ärgerlich, sagt die Ressourcen­schutzExpe­rtin Viola Wohlgemuth. Zudem müssten Mehrwegpal­etten häufiger genutzt werden und repariert werden, sollten sie beschädigt werden. „Wenn die Mehrfachnu­tzung verstärkt wird und Einwegpale­tten vom Markt verschwind­en, sinkt auch die Nachfrage nach Neuprodukt­en – und somit die Abhängigke­it von Rohstoffqu­ellen im Ausland.“

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Wegen des Ukraine-Kriegs befürchtet die Palettenin­dustrie Produktion­sstillstan­d – mit erhebliche­n Folgen für die Lieferkett­en.

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