Wenn Industriefarben über Bäume herfallen
Katharina Grosse hat einen großen Namen, weil sie für kolossale Kunst steht, die Museen sprengt. In der Saarbrücker Ausstellung „Wolke in Form eines Schwertes“lernt man sie von einer anderen Seite kennen.
SAARBRÜCKEN Katharina Grosse, das ist die, die alles bunt zusprayt. Dieses Etikett kennt die Künstlerin, benutzte es selbst am Mittwoch bei einem Presserundgang durch die Ausstellung „Wolke in Form eines Schwertes“in der Modernen Galerie, mit der sie eine andere, konzentriertere Facette ihres Schaffens zeigt. Denn Grosse, das ist die Großmeisterin begehbarer Monumentalgemälde, mit ihr verbinden sich Bilder gigantischer Farbstrudel, die sich aus den Museumsräumen hinaus ins Umfeld ergießen wie 2020 im Hamburger Bahnhof (Berlin) oder an der Küste von Rockaway in der Nähe New Yorks, wo Häuser und Strand plötzlich pink wurden. Innovative Land Art und Kolossal-Kunst ist das, doch in Saarbrücken dann das: Leinwandarbeiten, lediglich sieben an der Zahl!
Obwohl es sich um imposante Großformate handelt, nehmen sie sich, gemessen an üblichen GrosseProjekten, wie Miniaturen aus – und ja, man empfindet sie auch als ein wenig brav. Was in Zusammenhang mit dieser musealen Präsentation, die generell ein wenig gegen den Grosse-Strom schwimmt, ein Kompliment ist. Denn statt der schreienden Buntheit, die man mit dieser Malerin assoziiert, die mit Meter weit ausgreifenden Sprühpistolen und industriell hergestellten Acrylfarben arbeitet, trifft man im ersten Saal des Museums-Erweiterungsbaus auf einen gedämpften Farbklang, auf Rostrot, Dunkelgrün, Nachtblau, Tieflila – naturhaft anmutende Herbsttöne. Sie sammeln sich in schräg laufenden Linien und Ellipsen, verwachsen zu abstrakt-dynamischen Mustern, einer dichten Vegetation. Der Begriff drängt sich auf, denn auf die Leinwände sind ebenfalls mit Farbe besprühte Naturmaterialien aufgebracht: Äste, Zweige-Büschel vom neuseeländischen Manuka-Baum, Treibholz. Mitunter rutscht kopfüber ein gesamter kleiner Baum aus dem Bild, berührt den Museumsboden.
Mit einem großen Leinwandknoten, der an Schleifen an Haute-Couture-Kleidern erinnert, hat Grosse ihn auf dem Malgrund festgehalten, der in keinem ihrer Werke eine glatte Fläche ist, sondern mitunter durch eine weitere Leinwand aufgepolstert wurde. Die Bäume haben sich darin festgekrallt, doch die Farbe überrollt sie. In Wülsten springt die Fläche auf, bildet Falten, hängt in Lappen herab, manches Gemälde trägt eine Art Cape, als wäre es eine Skulptur. Lässt es sich leugnen: Vieles wirkt hier sehr dekorativ drapiert, sogar die BaumReste, die womöglich doch widerständige Störfaktoren im schönen
Bild sein sollten? Man rätselt, und versteht es durch die Künstlerin dann besser. Grosse sagte es am Mittwoch in Saarbrücken so: „Der Baum baut eine andere Existenz auf. Da kommt was dazwischen und stellt sich nicht auf meine Übermalung ein, sondern hat seine eigene Potenz.“
Entstanden sind die Arbeiten 2020/21 in Neuseeland, wo Grosse ein Haus und Atelier besitzt. Etwa 20 Teile umfasst die Serie; keines der Werke trägt einen Titel, acht davon wurden erstmals 2021 in der Galerie nächst St. Stephan in Wien gezeigt. Laut Grosse wirkten die Arbeiten in Neuseeland, wo sie sie an die Atelierwände getackert und ohne Begrenzung besprüht hatte, wie eine miteinander verwachsene Komposition, nicht wie Einzel-Kunstwerke. Klar, intelligent und unprätentiös kann diese Künstlerin über ihre Kunst Auskunft geben, erweist sich in der Journalisten-Runde als ausgesprochen angenehme Gesprächspartnerin. Für ihre sieben Bilder stellt der Saarbrücker Raum ein „Passepartout“dar, meint Grosse. Ein Zusammenschau-Effekt stellt sich in der Modernen Galerie allerdings nicht ein, und auch von „Landschaftsmalerei“ist keine Spur, obwohl diese Bezeichnung in Zusammenhang mit diesen jüngsten Grosse-Werken gerne mal in Texten auftaucht.
„Organisch“erlebt man hier nichts, im Gegenteil, als Reibungsmoment – und dies dürfte ganz im Sinne der Künstlerin sein, die es liebt, wenn „Dinge zusammenfallen, die sich womöglich ausschließen“, wie im Titel der Schau, den sie lediglich als „Stimulanz“sieht, keineswegs als Interpretationshilfe und Hinweis auf den gleichnamigen Text von Antonio Negri. Nein, es geht nicht um Schwarm-Intelligenz, sondern lediglich um radikale Offenheit bei der Wahrnehmung.
In Saarbrücken darf man dann also Natur und ästhetisches Kalkül zusammendenken. Denn was bedeuten schon Zufall oder Spontaneität im Werk einer Künstlerin, die als Professorin lehrte und seit 40 Jahren mit argumentativem Theorie-Unterbau an ihrem Individualstil feilt, die Konzepte schreibt, Modelle bastelt, große Logistik-Teams führt?
So wird denn auch die Saarbrücker Schau ihre Funktion im Grosse-Kunstunternehmen erfüllen. Aber ist das Glas für das hiesige Publikum nun halb voll oder halb leer? Grosse würde es womöglich auf den Kopf stellen und danach eine Antwort geben.
Die Kuratorin Andrea Jahn, Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, sieht das Glas jedenfalls übervoll, die Ausstellung sieht sie als einen „Glücksfall“, wie sie beim Presse-Gespräch bekannte. Nicht nur, weil sich eine weitere Zusam
menarbeit und dann ein „typisches“Grosse-Groß-Projekt im Umfeld des Museums ergeben könnte, sondern auch, weil eine Saarbrücker Sammlerin, wie von der SZ bereits berichtet, der Stiftung den Ankauf eines der Gemälde ermöglichen wird.
Und was sagt der Kunst-Freund, der bisher keine Chance hatte, Grosses Projekte in Prag, Schanghai oder Helsinki zu begegnen? Er freut sich wie ein König. Denn die Saarbrücker Ausstellung führt ihn überhaupt erst mal heran an diesen großen Namen der aktuellen Kunstszene, ja mehr noch, sie ermöglicht ihm einen kühleren Blick, weil ihn die sieben luftig gehängten Werke eben gerade nicht visuell überfallen und überfordern. „Es muss nicht immer gleich eine Show sein mit 40 Bildern“, sagt die Künstlerin, „Ich wollte die Konzentration erhöhen und der Erwartung mal nicht so ganz entsprechen.“Klingt gut. Ist gut.