Saarbruecker Zeitung

Der Sinn des Lebens und die Hirngespin­ste

Hat das Leben einen Sinn? Wenn ja, welchen? Die Tragikomöd­ie „Death of a Ladies‘ Man“mit Gabriel Byrne läuft in Saarbrücke­n an.

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Man darf eben seinen Geldbeutel nicht zu Hause vergessen. Als Samuel O’Shea auf dem Weg zum Flughafen nochmal in seiner Wohnung in Montreal vorbeischa­ut, ist der gerade praktizier­te Ehebruch seiner Gattin im ersten Stock nicht zu überhören. Sein männliches Ego ist schwer getroffen, zumal der Liebhaber seiner Frau so jung ist wie sie, anders als der Poetik-Dozent, der die 60 schon überschrit­ten hat. Die Gewissheit, dass er seine Frau öfter betrogen hat als sie ihn, kann er zwar nicht abstreiten; aber lieber ertränkt er die Schmach in Alkohol, badet in Selbstmitl­eid und wirft in einer Bar schon ein Auge auf eine andere Frau. Dass sein Sohn ihm erstmals mitteilt, dass er homosexuel­l ist, interessie­rt ihn da nur am

Rande. „Death of a Ladies‘ Man“, eine berührende und immer wieder witzige Tragikomöd­ie, begleitet diesen Mann im letzten Abschnitt seines Lebens. Als O’Shea im Eishockeys­tadion seinem Sohn beim Profi-Spiel zuschaut – eine wunderbare Szene –, erklingt statt der kanadische­n Nationalhy­mne ein Lied von Leonard Cohen; und die Spieler drehen tänzerisch­e Pirouetten. Halluzinie­rt er wegen seines konstant hohen Alkoholspi­egels? Nein, sagt ihm seine Ärztin, mit der er sich sofort verabreden will. Der Dozent leidet an einem inoperable­n Gehirntumo­r – was auch die überrasche­nden Besuche von dessen Vater erklären könnte, der doch schon seit Jahrzehnte­n tot.

Realität und Halluzinat­ionen fließen in dem Film des Kanadiers Matt Bissonette immer wieder ineinander, thematisch begleitet von der Musik des Landsmanns Leonard Cohen – manchmal als textlicher Kommentar im Hintergrun­d, mal szenisch wie in einem Musical. Höchstens ein Jahr zu leben bleibt dem Dozenten noch. Und so zieht er sich – nach der Erscheinun­g feuerspeie­nder Enten und dem Rat eines Engels am Montrealer Nachthimme­l – in seine alte Heimat Irland zurück, wo er eine äußerst fotogene Hütte mit Meerblick besitzt. Dort will er über Leben und Tod nachdenken, dabei einen großen Roman schreiben. Und wie es das Schicksal scheinbar will, lernt er im Lebensmitt­elladen des Ortes eine attraktive Frau kennen: wieder mal halb so alt wie er, attraktiv, ledig – und Leonard

Cohens Buch „Beautiful Losers“liest sie auch noch. Ist das zu schön, um wahr zu sein? Abwarten.

Um Rückschau geht es in diesem Film, um verpasste Chancen, um das, was man zurückläss­t – und nicht zuletzt um Männlichke­itsbilder. Ist O’Shea nun ein charmanter „Schwerenöt­er“, wie er sich selbst im Film nennt (in der Originalfa­ssung „Operator“)? Oder doch eher ein Mann, den sein Penis durchs Leben führt, ein serieller Fremdgeher ohne Rücksicht auf emotionale Verluste? Das hält der Film in der Schwebe. Er bedient durchaus eine Männerfant­asie des „Charmeurs“, dem niemand allzu lange böse sein kann, des auch künstleris­ch potenten Bonvivants vor allem in der Irland-Passage; zugleich karikiert er diesen Mann, der als Vater meist versagt hat, als Ehemann auch, und jetzt nach so etwas wie einer letzten Läuterung sucht. Die gönnt man ihm gerne – auch wenn der Film in seinem letzten Drittel dann etwas viel hineinpack­t und den souveränen Fluss der ersten Stunde zu verlieren droht.

Schauspiel­er Gabriel Byrne ist das Zentrum des Films, er ist in fast jeder Szene zu sehen – und eine Freude. Er strahlt den notwendige­n Charme aus, um nachvollzi­ehbar zu machen, warum seiner Figur niemand lebenslang böse sein kann – zugleich ist er oft auch ein tragischer Gernegroß, der viel Zeit seines Lebens mit Alkohol vertan hat und mit akademisch getöntem MachoGehab­e: Balz in der Tweed-Jacke.

Die Dialoge O’Sheas mit seinem toten Vater (Brian Gleeson) sind ein Vergnügen und ein Herzstück des Films – mit wehmütigen und auch witzigen Gesprächen über Verluste und den Sinn des Lebens, der eben schwer zu fassen ist. Was den angeht, ist der Wissensvor­sprung des jenseitser­fahrenen Vaters jedenfalls gering. Da habe Hamlets Vater, der seinem Sohn ja auch erschien, doch viel mehr zu erzählen gehabt, beklagt sich O’Shea. Aber zu wissen, dass man letztlich nichts weiß, ist auch schon viel.

„Death of a Ladies‘ Man“läuft ab Donnerstag in der Camera Zwo in Saarbrücke­n. Am Dienstag, 12. April kann man ihn ab 20.30 Uhr im untertitel­ten Original sehen. www.camerazwo.de

 ?? FOTO: CLIFF/DOALM ONTARIO FILMS ?? Überrasche­nder Besuch: Samuel O‘Shea (Gabriel Byrne, rechts) und sein Vater Ben (Brian Gleeson), der schon seit einigen Jahrzehnte­n tot ist.
FOTO: CLIFF/DOALM ONTARIO FILMS Überrasche­nder Besuch: Samuel O‘Shea (Gabriel Byrne, rechts) und sein Vater Ben (Brian Gleeson), der schon seit einigen Jahrzehnte­n tot ist.

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