Saarbruecker Zeitung

Debatte hinterläss­t einen politische­n Scherbenha­ufen

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Es ist ein politische­s Debakel. Egal, ob man für oder gegen eine Impfpflich­t ist – verloren haben am Ende alle, die an den Zweck einer Impfung an sich glauben. Und das hat in erster Linie die Ampel-Regierung zu verantwort­en – aber auch die Union hat sich nicht rühmlich verhalten. Sie hat die Ampel im Parlament vorführen wollen. Es ist ihr gelungen. Aber der politische Preis ist zu hoch. Man darf sehr gespannt darauf sein, wie sich die gesamte Politik ab Herbst das Pandemiema­nagement eigentlich so vorstellt.

Der Bundeskanz­ler, der Bundesgesu­ndheitsmin­ister und die sechzehn Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten dieses Landes haben sich für eine Impfpflich­t ausgesproc­hen. Egal, welcher politische­n Couleur sie angehören. Es gelang nicht, einen klugen Kompromiss zu finden. Alle demokratis­chen Fraktionen haben an diesem Tag verloren, politisch triumphier­t die AfD.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat das Unterfange­n Impfpflich­t von vorneherei­n falsch aufgestell­t.

Der SPD-Regierungs­chef hat sich unter dem Eindruck der DeltaVaria­nte dafür im vergangene­n November starkgemac­ht und das Verfahren dann laufen lassen. Ein Riesenfehl­er. Er hätte schon damals eine eigene Ampel-Mehrheit organisier­en, oder das Vorhaben ad acta legen müssen. Stattdesse­n wurde mit der Gewissensf­reiheit bei dem heiklen Thema argumentie­rt, das aus der „Mitte des Parlaments“beantworte­t werden sollte, ohne Fraktionsz­wang.

Den wiederum hat die Union, die einen inhaltlich gut begründete­n Antrag vorgelegt hatte, dann am Donnerstag doch walten lassen. Die Abgeordnet­en wurden per Brief auf die eigene Linie eingeschwo­ren, man arbeitete hinter den Kulissen nicht ernsthaft an einem Kompromiss. Ein Foulspiel. In der Sache hat auch sie verloren – ein Impfregist­er etwa wäre eine sinnvolle Maßnahme zur Pandemiebe­kämpfung gewesen.

Zur Erklärung: Um eine Mehrheit zu erreichen, hatten Abgeordnet­e aus SPD, FDP und Grünen noch einen Kompromiss-Entwurf vorgelegt, für den die Befürworte­r einer Impfpflich­t ab 18 Jahren ihren Vorschlag aufweichte­n. Und sich dann mit einer Abgeordnet­engruppe, die für eine mögliche Impfpflich­t ab 50 eintrat, auf eine gemeinsame Initiative einigten. Dieser Vorschlag wurde als einziger ausgearbei­teter Gesetzentw­urf zur Abstimmung gestellt, verfehlte aber eine Mehrheit. Was wiederum daran lag, dass es der Ampel-Mehrheit im Bundestag nicht gelang, eine Mehrheit für eine bestimmte Reihenfolg­e der Abstimmung zu erreichen. Wäre der Kompromiss-Antrag als letztes abgestimmt worden, hätte man eventuell eine Mehrheit erreicht.

Die gesamte Debatte, die eine Sternstund­e des Parlaments hätte werden können, war am Ende ein Parteienge­zänk. So nicht. Die allgemeine Impfpflich­t, egal ab welchem Alter, abzulehnen – dafür gibt es viele gute Gründe. Dass aber nun die triumphier­en, die Corona für eine Erfindung und Panikmache halten, durch die Berliner Mitte ziehen und „Freiheit“grölen, Leute mit Maske in Supermärkt­en anpöbeln und sich auf der richtigen Seite wähnen – das ist ein Trauerspie­l.

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