Das Saarland blickt besorgt auf den Ausgang der Wahl in Frankreich
Im ersten Wahlgang haben europakritische Kandidaten stark abgeschnitten – besonders im Grenzgebiet. Ein Sieg von Marine Le Pen in der Stichwahl ist möglich.
SAARBRÜCKEN Während der amtierende Präsident Emmanuel Macron frankreichweit bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl mit 27,84 Prozent vor der rechtspopulistischen Kandidatin Marine Le Pen (23,15 Prozent) lag, sieht es in der saarländischen Nachbarregion Grand Est anders aus. Dort haben am Sonntag die meisten Wähler für Le Pen (29,54 Prozent) gestimmt. Der liberale Macron kam auf 27,28 Prozent. In manchen Kommunen in direkter Nähe zum Saarland wie Carling oder Petite-Rosselle stimmte sogar fast jeder Zweite für Le Pen. Auch der linkspopulistische Kandidat JeanLuc Mélenchon, der wie Le Pen europakritische Positionen vertritt, bekam in vielen Kommunen großen Zuspruch. Das Wahlverhalten seiner Anhänger dürfte für die Stichwahl zwischen Macron und Le Pen am 24. April entscheidend sein.
Auf der saarländischen Seite der Grenze blickte man am Montag besorgt auf die Entwicklung. Zwar habe die Europapolitik im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle gespielt, „dennoch muss uns die Unterstützung europafeindlicher Kandidaten wie Le Pen und Mélenchon in der Grenzregion zu denken geben“, sagte Europa-Staatssekretär Roland Theis (CDU) der SZ. „Offensichtlich gelingt es uns zu wenig, die Vorteile der Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg zu vermitteln.“Bei der Doppelbesteuerung des Kurzarbeitergeldes für Pendler aus Frankreich etwa habe „die Blockadehaltung der Bundesregierung jedoch auch den extremistischen Kräften in der Grenzregion in die Hände gespielt“. Er warnte, dass ein Sieg Le Pens in der Stichwahl „zu einer Verschlechterung der Lage vieler Menschen führen“würde.
Auch im Landtag warfen die Fraktionen einen bangen Blick nach Frankreich. „Wenn Le Pen sich mit ihrer Partei gegen die EU ausspricht und auch der Nato-Mitgliedschaft Frankreichs kritisch gegenübersteht, muss man sich Sorgen machen“, sagte Dagmar Heib, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende. Le Pen zu verhindern solle das Ziel sein, sagte auch SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon. Er bedauerte das schwache Ergebnis der Parti Socialiste mit Anne Hidalgo und mahnte: „Für die demokratische Linke kann es jetzt in der Stichwahl nur heißen: Emmanuel Macron wählen und die anti-europäischen und demokratiefeindlichen Kräfte verhindern.“Der AfD-Fraktionsvorsitzende Josef Dörr ging davon aus, dass Macron die Wahl gewinnen wird. Allerdings seien Lage und Prognosen schwierig. Denn der drittplatzierte Mélenchon sei von einer sehr heterogenen Wählerschaft gewählt worden.
PARIS Es war eine heikle Frage, die Marine Le Pen Ende März in einer Fernsehsendung gestellt bekam. „Könnte Wladimir Putin ein Verbündeter Frankreichs werden, wenn der Ukraine-Krieg vorbei ist?“, lautete die Formulierung, auf die die Rechtspopulistin nur mit Ja oder Nein antworten durfte. Die Präsidentschaftskandidatin entschied sich ohne Zögern für ein „Ja, selbstverständlich“. Auch wenn die 53-Jährige hinterher wieder zurückruderte, ist klar, dass sie selbst der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht von ihrer Strategie einer engen Zusammenarbeit mit Moskau abbringen kann.
Im Wahlkampf schadete Le Pen ihre Nähe zum Kreml-Herrscher nicht. Im Gegenteil: In Umfragen holte sie so stark auf, dass ihr in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron am 24. April bis zu 49 Prozent vorhergesagt werden. Eine Präsidentin Le Pen ist also möglich. Und damit auch die Annäherung Frankreichs an Putin. Bereits 2014 bei der Annexion der Krim lobte die Anwältin den russischen Staatschef als Patrioten, mit dem sie „gemeinsame Werte“habe. Neun Millionen Euro flossen damals von einer russischen Bank in ihren Kommunalwahlkampf. 2017 sandte Putin ein noch stärkeres Signal, als er sie vor der Wahl wie ein Staatsoberhaupt im Kreml empfing. Er sei „sehr glücklich“, sie zu sehen, sagte der sonst für seine Gefühlskälte bekannte Gastgeber.
Peinlich wurde für Le Pen ihre Nähe zum Präsidenten erst, als Russland Ende Februar die Ukraine überfiel. Sie rang sich dazu durch, den Angriff zu verurteilen, sprach aber nicht von Kriegsverbrechen. Eine internationale Untersuchung müsse klären, was passiert sei, sagte sie nach dem Massaker von Butscha. Die Sanktionen gegen Russland will sie im Fall ihrer Wahl nicht mittragen – aus Sorge um die Auswirkungen auf die französische Bevölkerung. Das Thema Kaufkraft, das sie im Wahlkampf geschickt einsetzte, ließ sie in den vergangenen Wochen in den Umfragen steigen, während Macron mit jeder Kriegswoche weiter absackte. Die europäische Front gegen Putin, die Macron mit schmiedete, wäre mit der Wahl Le Pens ernsthaft gefährdet. Bisher schert nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán aus, dessen Land aber deutlich weniger diplomatisches Gewicht hat als Frankreich, einer der europäischen Gründungsstaaten. „Wenn Le Pen an die Macht käme, könnte das eine Reihe von Ländern schwanken lassen, die von den Sanktionen ohnehin nicht so überzeugt sind. Belgien, Italien oder Teile Deutschlands etwa“, warnt Tara Varma von der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“. Auch militärisch dürfte sich mit einer Präsidentin Le Pen im Ukraine-Krieg einiges ändern. „Es wird nicht ihre Priorität sein, die Ukraine zu verteidigen und die Abschreckung an der Ostflanke der Nato zu verstärken.“Unklar ist also, was mit den französischen Waffenlieferungen an die Ukraine und den 500 Soldaten passieren würde, die in Rumänien stationiert sind.
In Le Pens Wahlprogramm ist viel von Frankreichs Souveränität die Rede. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass sie im Fall ihrer Wahl auf Distanz zu den traditionellen Verbündeten gehen werde. So will sie nach dem Ukraine-Krieg die integrierte Kommandostruktur der Nato verlassen und die strategischen Abkommen mit den USA neu verhandeln. Rüstungsprojekte mit Deutschland wie das Kampfflugzeugsystem FCAS und den Superpanzer MGCS will sie aufkündigen. Mit dem engsten Partner Frankreichs gebe es „unüberwindbare doktrinäre, operationelle und industrielle Meinungsverschiedenheiten“, schreibt sie. In Rüstungsfragen werde sie sich deshalb enger an Großbritannien binden, nach Frankreich die zweite Atommacht in Europa.
„Wenn Frankreich sich aus dem FCAS-Projekt zurückziehen würde, wäre das ein absolut fatales Signal gegen mehr europäische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, analysiert Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Das würde auch die Debatte um eine europäische Armee beenden.“Genau für die tritt Emmanuel Macron ein, der mit dem Ukraine-Krieg hoffte, die anderen Europäer von seinem Projekt zu überzeugen. Schon vor fünf Jahren forderte Macron in seiner Rede an der Sorbonne-Universität mehr Europa.
Mit Le Pen könnte nun genau das Gegenteil passieren. Die Nationalistin will Brüssel schwächen und Paris stärken. In Zeiten, in denen Länder wie die Ukraine mit aller Macht in die EU drängen, plant die Rechtspopulistin die Zerstörung der Gemeinschaft von innen heraus. Ihren ursprünglichen Plan, Frankreich aus der EU und dem Euro zu führen, gab sie bereits vor der Präsidentschaftswahl 2017 auf. Schon damals wurde ihr klar, dass vor allem die älteren Franzosen einen „Frexit“ablehnen. Deshalb setzt sie jetzt auf ein „Europa der Vaterländer“, das schrittweise die EU ersetzen soll. Verbündete dafür hat sie bereits. Besonders eng ist ihr Verhältnis zu Orbán, der sie im Oktober in Budapest empfing und ihr zu ihrer ersten Großkundgebung ein Video-Grußwort schickte. Der Putin-Freund garantierte ihr auch die Finanzierung ihres Wahlkampfs durch den Kredit einer ungarischen Bank.
Weitere Partner könnten neben Polen auch Dänemark mit seiner Anti-Flüchtlingspolitik und Italien sein. Dort wird im nächsten Jahr gewählt und eine rechtspopulistische Regierung ist nicht ausgeschlossen. „Wenn es zu dieser Kettenreaktion kommt, dann wäre mit Sicherheit die Existenz der Europäischen Union in ihrer heutigen Form bedroht“, warnt Ross.
Putin würde diese Entwicklung sicher freuen. Schon seit Jahren unterstützt er demonstrativ die Regierungschefs, die der EU kritisch gegenüber stehen. Le Pen sei die Vertreterin einer Bewegung, die immer größer werde, sagte er bei ihrem Besuch 2017 im Kreml. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen wird er sich deshalb ganz genau anschauen. Denn ein Sieg der Rechtspopulistin wäre auch ein Sieg für ihn.