Saarbruecker Zeitung

Das Aus für Anne Spiegel: ein überfällig­er Rückzug

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Vor etwas mehr als einem Jahr

für Anne Spiegel noch alles perfekt zu laufen. Die grüne Hoffnungst­rägerin übernahm zusätzlich zum Familienmi­nisterium noch das Umweltmini­sterium in Rheinland-Pfalz.

Als Spitzenkan­didatin trauten ihr manche gar zu, Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer beim Kampf um die Regierungs­spitze herauszufo­rdern.

Doch es kam anders: Die Wahlen verliefen für die Grünen leicht enttäusche­nd, Dreyer setzte sich mit der SPD souverän durch, Spiegels Partei blieb hinter den Erwartunge­n. Dennoch: Spiegel war die starke Frau der Partei in Mainz. Und nach der Bundestags­wahl stieg sie als Familienmi­nisterin in Berlin noch weiter auf.

Doch Spiegel war zuvor, das schilderte sie am Sonntag mit Tränen in den Augen, nicht nur an, sondern über der Belastungs­grenze. „Es war zu viel.“Die Dreifachbe­lastung als Doppelmini­sterin sowie als Grünen-Spitzenkan­didatin habe sie und auch ihre „Familie über die Grenze gebracht“. Ihr Mann sei nach einem Schlaganfa­ll mit der Sorge um die vier Kinder zu stark gefordert gewesen. Aus diesem Grund sei „zum ersten Mal der Punkt erreicht gewesen“, an dem sie Urlaub als Familie gebraucht hätten. Dass dies zehn Tage nach der Flutkatast­rophe im Ahrtal unpassend war, dafür entschuldi­gte sich Spiegel.

Die Familienmi­nisterin war selbst mit der privaten Situation überforder­t. Das ist absolut nachvollzi­ehbar. Allein: Erstens kam die Auszeit zum unpassende­n Zeitpunkt und zweitens hätte Spiegel, so schwer es auch gewesen sein möge, diese wohl schon längst nehmen und die Vertretung anders sichern müssen. Als Ministerin hat sie nicht nur die Verantwort­ung für die Mitarbeite­r, sondern ebenso für sich selbst – um die richtigen Entscheidu­ngen in diesem höchst fordernden Beruf treffen zu können. Und dies muss bei allem Verständni­s betont werden: Spiegel nahm jedes Angebot an. Sie übernahm das zweite Ministeriu­m und wechselte später sogar ins Haifischbe­cken der Berliner Politik. Doch: Eine Chefin, die nie Nein sagen kann, ist keine gute Chefin.

Spiegels Auftritt sorgte für erwartbare Reaktionen. Die einen betonten, ihr nervöser Auftritt zeige ihre komplette Überforder­ung, die anderen verwiesen darauf, dass die Ministerin damit Menschlich­keit bewiesen habe. Was aber ganz sicher ist: Spiegel und ihr Umfeld haben zu oft erst auf Nachfragen Versäumnis­se eingeräumt. Sie sorgten sich gefühlt eher um das eigene Bild als um das Problem an sich. Als Spiegel am Sonntag zugeben musste, dass ihre Aussage falsch war, sie habe an Kabinettss­itzungen per Videokonfe­renz teilgenomm­en, war das Aus nur eine Frage der Zeit. Die Ministerin hat gelogen und sie übernahm keine Verantwort­ung – gegen den Rat der Grünen-Spitze.

Immerhin: Mit dem Rücktritt hat Spiegel den ersten Schritt geschafft, um mehr Respekt zu gewinnen. Dass sie schrieb, sie sei wegen des politische­n Drucks zurückgetr­eten, zeigt aber, dass sie nicht einsieht, dass am Ende nur eine einzige Person die Gründe für das Aus geliefert hat: Anne Spiegel.

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