Merz und das düstere Bild der deutschen Zukunft
Deutschland habe den Höhepunkt seines Wohlstands wohl hinter sich, sagt der CDU-Chef. Doch stimmt das auch? Fest steht: Der Ukraine-Krieg beschleunigt die Inflation.
BERLIN Friedrich Merz ist Oppositionsführer im Bundestag. Der CDU-Vorsitzende hat ein Interesse daran, die SPD-geführte Bundesregierung zu schwächen. Und das tut er nach Kräften, etwa mit einer düsteren Zukunftsvision. „Wir haben wahrscheinlich – jedenfalls für eine gewisse Zeit – den Höhepunkt unseres Wohlstandes hinter uns. Es wird schwieriger“, sagte Merz am Sonntagabend. „Wir werden auch das ein oder andere uns nicht mehr leisten können. Das wird für eine bestimmte Zeit so sein.“Das müsse nicht nur der Oppositionsführer sagen. „Das sollte auch der Bundeskanzler sagen, der es weiß.“Die Ampel könne nicht jeden Schaden ausgleichen und nicht jede Teuerung mit staatlichen Mitteln kompensieren.
Drohende Wohlstandsverluste können Wahlen entscheiden. Instinktsicher hat Merz hier einen Treffer gesetzt. Doch was ist wirklich dran an seiner Analyse? Liegen die besten Jahre tatsächlich hinter uns? Kehren mit dem Ukraine-Krieg Armut und Arbeitslosigkeit zurück? Ökonomen warnen vor einer Stagflation, einer Kombination aus stagnierender Wirtschaft und hoher Inflation, die Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts lähmen könnte. Ein Embargo für Erdgas aus Russland könnte diese Entwicklung beschleunigen, denn eine Rezession im kommenden Winterhalbjahr wäre dann wohl unabwendbar. Noch hält sich Kanzler Scholz mit düsteren Zukunftsszenarien zurück. Doch sein Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Bürger ähnlich wie Merz bereits auf drohende Wohlstandsverluste eingestimmt. „Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer, zum Beispiel, weil wir mehr für importierte Energie zahlen müssen“, sagte Lindner unlängst. „Diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen“, so Lindner, die Bundesregierung wolle aber „die größten Schocks abfedern“.
Wie weit das gehen soll – darum ringt die Regierung noch, die in diesen Tagen ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg bringen will. Lindner hatte etwa einen Tankrabatt vorgeschlagen, mit dem der Staat die Benzinpreise unter zwei Euro drücken sollte, nun haben sie die Marke aber bereits unterschritten. Viele Experten warnen die Regierung davor, unnötig Steuergeld zu verschleudern, weil die dadurch erhofften Preissenkungen ausbleiben könnten.
Der Ukraine-Krieg wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die zuvor schon angespannte Lage auf den Energiemärkten. Die Pandemie hatte die Lieferketten weltweit unterbrochen, der Klimawandel die Preise für Rohstoffe und Energie bereits deutlich ansteigen lassen. Getrieben von den hohen Energiepreisen wurden auch Lebensmittel erheblich teurer. Die Inflationsrate in Deutschland stieg im März auf 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, der Rat der Wirtschafts-Sachverständigen rechnet in seiner jüngsten Prognose mit einer Teuerung von über sechs Prozent im Gesamtjahr. Am Donnerstag will die Europäische Zentralbank (EZB) über Zinserhöhungen entscheiden, die Investitionskredite verteuern würden.
„Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur. Sie manifestiert den Übergang von der weitgehend regelbasierten zu einer stärker machtbasierten Weltordnung, was sich schon länger abgezeichnet hatte. Damit ändern sich auch die Rahmenbedingungen“, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. „Wir müssen unabhängiger werden, insbesondere bei der Energieversorgung, beim Bezug von kritischen Rohstoffen und auch in unseren Handelsbeziehungen. Das geht mit höheren Kosten einher.“Strukturell höhere Gaspreise würden künftig die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen. „Das erzwingt einen schnelleren Strukturwandel, eine große Herausforderung für die Politik in den kommenden Jahren.“