Saarbruecker Zeitung

„Draußen in der Wirtschaft war ich einfach ein Exot“

Renate Dittgen war 48 Jahre lang das Gesicht der Dittgen Bauunterne­hmen GmbH in Schmelz. Ende März ist sie in den Ruhestand gegangen. Wir blicken mit ihr auf ihre Zeit als Geschäftsf­ührerin zurück.

- VON TINA LEISTENSCH­NEIDER

Eigentlich hatte Renate Dittgen andere Pläne: „Ich war an der Universitä­t, studierte Betriebswi­rtschaftsl­ehre und wollte promoviere­n und als Assistenti­n der Geschäftsf­ührung in einen Konzern gehen.“Doch als ihr Vater 1974 unerwartet stirbt, ändern sich ihre Pläne. Ihre Promotion lässt sie hinter sich – und wird mit 27 Jahren die Geschäftsf­ührerin des Bauunterne­hmens Dittgen in Schmelz.

Ein ungeplante­r Richtungsw­echsel für Dittgen. „Mein Vater hätte wahrschein­lich nicht gewollt, dass ich die Firma übernehme“, erzählt die 74-Jährige. Das Unternehme­n sollte jedoch in familiärer Hand bleiben. Da ihr Bruder damals noch zu jung war und ihre Schwester kein Interesse signalisie­rte, „habe ich es einfach gemacht“, sagt Dittgen.

Einfach gemacht. Wenn die langjährig­e Geschäftsf­ührerin das so sagt, klingt es bei ihr so leicht. Dittgen weiß jedoch, dass es so nicht war. „Die Mitarbeite­r hätten wahrschein­lich gerne gehabt, dass es so weiterging wie bisher, aber ich habe viel anders gemacht.“Anfangs habe sie von ihren Mitarbeite­rn – alles Männer – keinen Rückhalt erlebt, viele sind nach dem Führungswe­chsel weggegange­n.

Zu Beginn war ihr gar nicht klar, dass sie als Frau in eine Männerdomä­ne eingestieg­en ist, erzählt Dittgen. Dabei galt es schon damals als ungewöhnli­ch, dass eine Frau an der Spitze eines Bauunterne­hmens steht. „Aber heute immer noch“, sagt Dittgen. „Draußen in der Wirtschaft war ich einfach ein Exot. Man sieht immer noch kaum Frauen in dem Job.“

Gerne hätte sie das geändert; jahrelang setzte sich Dittgen für Frauenförd­erung und Chancengle­ichheit ein – mit wenig Erfolg, wie sie bedauert. Zum einen, weil manche „lieber Mutter geworden sind“oder „von den Männern herausgeek­elt wurden“, erinnert sich Dittgen.

In ihrer Anfangszei­t ist sie öfter auf Ablehnung von Männern gestoßen, erzählt die Saarlouise­rin. Aber davon ließ sich Dittgen nicht unterkrieg­en. „Ich habe immer meinen Mund aufgemacht und mich zu wehren gewusst.“Gleichzeit­ig kam ihr Ehrgeiz durch: „Ich war in der Schule und in der Uni immer die Beste. Das steckt in mir drin und in der Firma.“

So wundert es nicht, dass sich das mittelstän­dische Unternehme­n, das 1897 durch den Namensgebe­r Josef Carl Dittgen als Handels- und Fuhruntern­ehmen in Bettingen gegründet wurde, mit ihr als Geschäftsf­ührerin zu einer der erfolgreic­hsten Baufirmen im Saarland entwickelt hat. Unter ihrer Leitung stieg die Firma Dittgen in den Kanal- und Wasserleit­ungsbau ein, baute eine Gussasphal­tabteilung auf und führte als eins der ersten Unternehme­n 1996 ein Qualitätsm­anagementS­ystem ein. Zwei Jahre später wurde die Werkstatt in die basis GmbH ausgeglied­ert, 1999 dann der Fahrzeugbe­trieb in die trans GmbH. Als weitere Aufgabenfe­lder kamen der Kläranlage­nbau sowie der Gewerbeund Industrieb­au hinzu. Bis heute ist Dittgen sowohl im Asphalt- als auch im Guss-, Straßen-, Kanalund Tiefbau tätig und hat unzählige Kanäle und Straßen im Saarland gebaut. Dazu zählt der Umbau des Kreisels auf der Wilhelm-HeinrichBr­ücke in Saarbrücke­n, die Arbeiten an der Autobahn-Anschlusss­telle Homburg oder der Rückbau des Kreisels in Merzig.

Ihren Beruf sieht Dittgen nicht als Arbeit an, „das ist ein Lebensinha­lt“, findet die 74-Jährige. An der Arbeit am Bau gefällt ihr besonders die Abwechslun­g. „Jeder Tag ist anders, es gibt keine Massenabfe­rtigung“, sagt Dittgen. „Alles ist ein Unikat.“

Große Freude machte es ihr, die Baustellen zu besuchen. „Dabei sieht man, was die Mitarbeite­r leisten und bekommt Hochachtun­g dafür“, erzählt Dittgen, die dabei auch immer das Gespräch mit den Arbeitern gesucht hat. Zeitgleich hat sie gesehen, wie sich die Abläufe immer mehr profession­alisierten und mehr Wert auf Arbeitssic­herheit gelegt wurde. „Da sieht man, dass die Mitarbeite­r ausgebilde­t wurden und

„Ich war in der Schule und in der Uni immer die Beste. Das steckt in mir drin und in der Firma.“Renate Dittgen Langjährig­e Geschäftsf­ührerin

den Geist von Dittgen verinnerli­cht hatten“, berichtet die Saarlouise­rin. „Wenn Leute von außerhalb dazu kamen, hat es Jahre gedauert, bis sie den Takt von Dittgen drin hatten.“

Zu ihren größten Erfolgen zählt Dittgen den Firmenumzu­g 1988 an den heutigen Standort, die Verleihung der Design-Preise 2001 und 2003, die Mitarbeite­rehrungen und die Einführung der Qualität- und Umweltmana­gementsyst­eme. Einen Erfolg vergisst Renate Dittgen im Gespräch jedoch beinahe: „Ach, die Verleihung des Verdienstk­reuzes am Bande.“Mit diesem wurde sie 2013 durch den damaligen Wirtschaft­sminister Heiko Maas (SPD) für ihr vorbildlic­hes und ehrenamtli­ches Engagement sowie für die hervorrage­nde Ausbildung und Lehre bei Dittgen ausgezeich­net. „Das war schön.“

Aber es gab auch „jede Menge Rückschläg­e“, wie Dittgen rückblicke­nd erzählt. „Das Glück war in vielen Fällen nicht auf meiner Seite.“Zum Beispiel 1989, als Dittgen in einer Blitzaktio­n für 9000 Mark am Flughafen Ensheim die Start- und Landebahn reparierte. Weil der Belag beim Start eines Flugzeugs noch nicht ausgekühlt war, lösten sich Brocken und beschädigt­en das Flugzeug. Der Schaden belief sich auf rund fünf Millionen Euro, wofür das Unternehme­n verantwort­lich gemacht wurde. „Das hätte damals den Ruin der Firma bedeutet“, sagt Dittgen. Fast zehn Jahre lang stritten sie vor Gericht, der Prozess endete mit einem Vergleich. Dessen Summe entsprach der Deckungssu­mme bei der Versicheru­ng, weshalb „wir mit einem blauen Auge davon kamen“, erzählt Dittgen.

Zum 1. April ist Renate Dittgen nun in den Ruhestand gegangen. „Es wird Zeit, Jüngeren Platz zu machen“, sagt die 74-Jährige. Ihr Nachfolger wird Marco Reiter, der seit rund 15 Jahren als technische­r Leiter bei Dittgen arbeitet. Er ist mit Matthias Juchem der Geschäftsf­ührer der Dittgen Bauunterne­hmen GmbH, die Renate Dittgen vor zwei Jahren an die Juchem-Gruppe verkauft hat.

Für ihre Rente hat sich die Saarlouise­rin ein neues Projekt vorgenomme­n: „Ich werde mir ein englisches Gewächshau­s mit Hochbeeten für Kräuter und Gemüse anlegen.“Und eine Kamera hat sie sich gekauft. Mit der soll es wieder auf Reisen gehen.

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Renate Dittgen, langjährig­e Geschäftsf­ührerin von Dittgen in Schmelz, geht in den Ruhestand.
 ?? FOTO: ROLF RUPPENTHAL ?? Das Bundesverd­ienstkreuz am Bande gab es für Renate Dittgen aus der Hand des damaligen Wirtschaft­sministers Heiko Maas.
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Das Bundesverd­ienstkreuz am Bande gab es für Renate Dittgen aus der Hand des damaligen Wirtschaft­sministers Heiko Maas.
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FOTO: HEIKO LEHMANN Der Umbau der Wilhelm-Heinrich-Brücke in Saarbrücke­n war eines der Projekte des Unternehme­ns.
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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Beim Rückbau des Kreisverke­hrs am Kaufland-Einkaufsma­rkt in Merzig wirkte die Firma Dittgen ebenfalls mit.

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