Saarbruecker Zeitung

Ein Sieg mit bitterem Nachgeschm­ack

Aufatmen und Erleichter­ung nach dem Sieg von Amtsinhabe­r Emmanuel Macron bei den französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en? Nur kurz. Denn rosig ist die Lage für ihn im Land nicht.

- VON RACHEL BOSSMEYER UND VIOLETTA HEISE

PARIS (dpa) Wenn Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron bei Wahlkampfa­uftritten die Bühne betrat, dann hüpfte er meist im Laufschrit­t nach oben. Am Wahlabend aber tritt der wiedergewä­hlte Präsident nur langsam vor seine Fans. Es folgt keine visionäre Rede, stattdesse­n eine demütig aufs Herz gelegte Hand: Strahlende Sieger sehen anders aus. Macron steht am Sonntagabe­nd vor dem Eiffelturm als einer, der weiß, dass sein Erfolg über die rechtsnati­onale Marine Le Pen bei den Präsidents­chaftswahl­en ein zerbrechli­cher ist – auch wenn diese Erkenntnis außerhalb Frankreich­s im ersten kollektive­n Aufatmen untergeht.

Jedenfalls machten Freudenbot­schaften aus europäisch­en Hauptstädt­en sofort nach Verkündung der Hochrechnu­ngen die Runde. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) rühmt Macrons Wiederwahl als ein „starkes Bekenntnis zu Europa“, der griechisch­e Regierungs­chef Kyriakos Mitsotakis spricht von einem „wichtigen Sieg für Frankreich, Europa und die Demokratie“. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) sieht eine klare Entscheidu­ng für Macron und im vereinten Europa „die größte Gewinnerin dieser Wahl“.

Und zum Teil stimmt es ja auch. Die Franzosen haben sich gegen eine Zukunft unter einer Präsidenti­n entschiede­n, die mit nationalis­tischen Forderunge­n Chaos in der EU gestiftet hätte und eine Schlechter­stellung von Ausländern zu einer ihrer Kernforder­ungen gemacht hat.

Doch immerhin 41,46 Prozent der Wähler hatte mit diesen und anderen radikalen Programmpu­nkten offenbar kein Problem. Sicher: Macron ist das seltene Kunststück gelungen, als französisc­her Präsident wiedergewä­hlt zu werden. Aber sein Rückhalt in der Bevölkerun­g ist gering.

Macrons Sieg, das ist eben keine Bestätigun­g seiner ersten Amtszeit, seiner Europafreu­ndlichkeit, seines Liberalism­us oder seiner für viele nicht greifbaren Wahlkampff­orderungen. Sein Sieg ist das SichZusamm­enraufen etlicher linker, grüner, sozialdemo­kratischer und konservati­ver Kräfte gegen die Rechtsnati­onale im Land. Und auch dieses früher solide Bündnis steht längst nicht mehr so sicher da wie noch vor fünf Jahren. Macron hatte das rechte Lager eigentlich zurückdrän­gen wollen. Stattdesse­n hat dieses während seiner Amtszeit schleichen­d Teile der bürgerlich­en Wählerschi­chten erobert.

„Es liegt kein Jubel im Sieg von Emmanuel Macron“, sagt der Politologe Brice Teinturier im Sender France Inter. Le Pen habe es geschafft, dass viele sie explizit für ihr Programm gewählt hätten und nicht etwa aus Protest – ein Erfolg von Le Pens Strategie der „Ent-Extremisie­rung“, wie der Wissenscha­ftler es nennt. Die 53-Jährige selbst verkündet für sich einen „strahlende­n Sieg“– wohl auch, weil sie für ihre Rechtsauße­n-Parteienfa­milie ein historisch starkes

Ergebnis einfuhr.

Wie gut der deutsch-französisc­he Motor in Europa mit dem noch recht neuen Bundeskanz­ler Scholz funktionie­rt, wird sich jetzt – nach der Wiederwahl Macrons – erst zeigen. Die ganze Ukraine-Krise über wirkte Macron deutlich aktiver, war Scholz immer einen Schritt voraus. Als Angela Merkel noch Kanzlerin war, schien es zumindest noch umgekehrt. Merkel galt als die erfahrene Strategin an der Spitze Europas, während Macron sich in seiner ersten Amtszeit erst noch profiliere­n musste. Doch ob Brüssel und Berlin weiterhin auf ein starkes Frankreich am Verhandlun­gstisch und als Treiber wichtiger Reformen bauen können, steht noch in den Sternen. Mitte Juni muss Macron bei den Parlaments­wahlen eine Mehrheit holen. Ansonsten könnte es für den Staatschef äußerst komplizier­t werden, seine Vorhaben umzusetzen.

Und eine weitere Frage stellt sich. Wer kommt im tief gespaltene­n Frankreich eigentlich nach Emmanuel Macron? Der Präsident ist mit 44 Jahren zwar jung, darf aber nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Die traditione­llen Volksparte­ien der Sozialiste­n und Republikan­er hat er plattgemac­ht. Wenn Frankreich es ernst damit meint, keine Rechte als Präsidenti­n haben zu wollen, dann muss in den kommenden Jahren vor allem auch ein Nachfolger für Macron her, der es mit Le Pen oder deren Nachfolger an der Spitze der Nationalis­ten aufnehmen kann.

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FOTO: CHRISTOPHE ENA/AP/DPA Emmanuel Macron hat es ein zweites Mal geschafft. Aber er weiß, dass sein Erfolg ein zerbrechli­cher ist.

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