Die neue Nüchternheit des Emmanuel Macron
Der Zauber des Anfangs ist endgültig verflogen. Das wurde am Abend des Wahlsiegs von Emmanuel Macron auf dem Pariser Marsfeld deutlich. Dort feierte der Präsident seinen Wahlsieg ohne großen Pomp. Die Siegesparty vor dem Eiffelturm erinnerte eher an eine Familienfeier als an den erfolgreichen Abschluss eines Wahlkampfes. Doch die neue Nüchternheit ist eine gute Nachricht. Denn sie zeigt, dass Macron verstanden hat, worum es in seiner zweiten Amtszeit geht. Gefragt sind weder große Gesten noch große Worte. Der Wahlsieger muss mit Taten überzeugen.
Er gewann zwar die Stichwahl gegen Marine Le Pen mit 58,5 zu 41,5 Prozent der Stimmen. Doch es war in erster Linie ein Votum gegen die Rechtspopulistin, keines für den Präsidenten. Der tut deshalb gut daran, seinen Sieg nicht wie vor fünf Jahren im Innenhof des Louvre mit einer großen Inszenierung zu feiern. Der „jupiterhafte“Präsident, der er 2017 sein wollte, passt nicht mehr in das Frankreich von 2022. Das hat auch Macron verstanden.
Mit Dutzenden Kindern betrat er das Marsfeld am Sonntagabend. Kein Gott auf dem Olymp mehr, sondern eine Art Vater der Nation. Genau den braucht Frankreich jetzt, denn die Ergebnisse des Urnengangs zeigen ein tief gespaltenes Land. Die Trennlinien verlaufen zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Jung und Alt. Die Städter, Reichen und Alten stimmten für den Amtsinhaber, die anderen für Le Pen. Genau diese Gräben muss Macron nun in den nächsten fünf Jahren überwinden. Und die Opposition wird alles tun, um ihn daran zu hindern. Die Aggressivität, die bereits am Wahlabend in den Fernsehstudios herrschte, war ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Wochen zu erwarten ist.
Die Front, die Le Pen in den vergangenen Wochen gegen Macron schmiedete, ist mit dem Sieg des Amtsinhabers nicht einfach verschwunden. Das politische Klima ist so angespannt wie selten. 77 Prozent der Französinnen und Franzosen rechnen in den kommenden Monaten mit einem Aufruhr, wie sie ihn bereits 2018 mit den Gelbwesten erlebten. Gleichzeitig erwarten 57 Prozent, dass der Staatschef das Land wieder zusammenbringt und dafür auch Reformen verschiebt. Die geplante Rentenreform, die Macron gleich zu Beginn seiner Amtszeit angehen will, birgt viel Sprengstoff. Vor allem wenn sie am Parlament vorbei durchgesetzt werden sollte. Schon 2019 gingen Hunderttausende gegen das Projekt auf die Straße, das Macron dann auf Eis legte. Auch am Wahlabend zogen einige hundert Demonstrierende unter dem Motto „Hau ab, Macron“durch französische Großstädte. Erstmals gratulierten weder Le Pen noch der Linksaußen JeanLuc Mélenchon dem Wahlsieger. Der Respekt ist aus der politischen Kultur Frankreichs verschwunden. Stattdessen hoffen die Extremisten von links und rechts auf eine Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Juni. Falls ihnen das gelingt, wäre das Chaos vorprogrammiert und Frankreich unregierbar. Der politische Horizont hat sich zwar mit Macrons Wahlsieg aufgehellt. Er bleibt aber düster.