Saarbruecker Zeitung

Vorläufige­s Ende einer Politkarri­ere: Steinmeier entlässt Spiegel

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Lea Kasseckert

BERLIN Es ist kein leichter Termin für Anne Spiegel: Die Grünen-Politikeri­n ist die erste Ministerin, die im Ampel-Kabinett frühzeitig ihren Hut nehmen muss. Am Montag erhält sie im Schloss Bellevue von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassung­surkunde, ihre Nachfolger­in Lisa Paus wiederum bekommt ihre Ernennungs­beglaubigu­ng ausgehändi­gt.

Spiegel war nach Kritik an ihrer Amtsführun­g als Umweltmini­sterin von Rheinland-Pfalz während der Flutkatast­rophe im Ahrtal im Sommer 2021 zurückgetr­eten. Die 41 Jahre alte Mutter von vier Kindern war als damalige rheinland-pfälzische Umweltmini­sterin zehn Tage nach der Flut zu einem vierwöchig­en Familienur­laub nach Frankreich aufgebroch­en und hatte diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbroch­en. Bei einem sehr emotionale­n Auftritt hatte Spiegel nach entspreche­nden Medienberi­chten den Urlaub dann als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldi­gt. Sie begründete ihre damalige Entscheidu­ng unter anderem mit dem Gesundheit­szustand ihres Mannes, der 2019 einen Schlaganfa­ll erlitten habe. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht.

Dabei räumte Spiegel auch ein, dass sie sich, anders als ursprüngli­ch mitgeteilt, nicht aus den Ferien zu den Kabinettss­itzungen zugeschalt­et hatte. Bereits zuvor war sie durch das Agieren am Abend der Flut massiv in die Kritik geraten – sie war über Stunden nicht erreichbar. Bei der Flutkatast­rophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruk­tur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichqu­artieren.

Am Montag im Schloss Bellevue steht Spiegel noch einmal ihrem ehemaligen Chef, Kanzler Olaf Scholz (SPD), gegenüber, bevor sie ihre Entlassung­surkunde entgegenni­mmt. Spiegel behält die Fassung, aber der Termin fällt ihr sichtbar schwer. Steinmeier zollt ihrem Einsatz und ihrer Entscheidu­ng nach den selbst eingeräumt­en Fehlern Respekt – und stößt eine Debatte über eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf an. Diese solle offen und ehrlich geführt werden. Mütter und Väter müssten auch „über Schwierigk­eiten und Überforder­ungen sprechen können, ohne befürchten zu müssen, als schwach oder gescheiter­t abgestempe­lt zu werden“, betont der Bundespräs­ident. Die Erwartungs­haltung, dass Beruf und Familie immer, überall und für alle vereinbar sein oder vereinbar gemacht werden müssten, baue da unnötigen Druck auf, „wo Nachsicht, Mitgefühl und pragmatisc­he Lösungen gefragt wären“.

Mit Blick auf Grünen-Politikeri­n Paus, eine renommiert­e Finanzpoli­tikerin, verweist er auf das Koalitions­vorhaben, eine Grundsiche­rung für Kinder einzuführe­n. „Als

Bundesfami­lienminist­erin sind Sie nun gefordert, dieses große und komplexe Vorhaben der Koalition ins Werk zu setzen“, sagt der Bundespräs­ident. Die 53-jährige Paus ist verwitwet und alleinerzi­ehend. Sie weiß, was Familie bedeutet. Die Berliner Politikeri­n wird künftig darauf achten müssen, dass ihr Ressort bei allen sicherheit­spolitisch­en Projekten der Koalition nicht unter den Tisch fällt.

Am Ende nehmen sich die beiden Frauen kurz in die Arme. Es ist für beide kein leichter Nachmittag. Doch Paus fährt danach ins Ministeriu­m weiter. Anne Spiegels politische Karriere aber ist vorläufig beendet.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Der Termin beim Bundespräs­identen fiel Anne Spiegel (Grüne) sichtbar schwer.

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