Saarbruecker Zeitung

Tag der Abrechnung im Bundestag

Der Bundestag stimmt dem Antrag von Koalition und Union zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine mit großer Mehrheit zu. Doch von Einigkeit beider Lager ist kaum etwas zu merken.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Es kommt große Unruhe auf im Parlament. Man spürt förmlich, wie der Pakt von Koalition und CDU/CSU unter der Reichstags­kuppel zerbröselt, wie er sich von Satz zu Satz in Luft auflöst. Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz (CDU) ist ans Pult getreten. Er beginnt seine Rede nicht mit dem gemeinsame­n Antrag zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, nicht mit Lob oder Dank für das dann doch erfolgreic­he Zusammensp­iel beider Lager. Nein, Merz zündet seine eigene Rakete, er rechnet scharf mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) ab. In den AmpelFrakt­ionen blickt man in empörte Gesichter, es gibt erboste Zwischenru­fe. Eigentlich hatte man auf Geschlosse­nheit gehofft. Passé.

Dabei versucht es Grünen-Fraktionsv­orsitzende Britta Haßelmann zunächst mit versöhnlic­hen Tönen. Seit Kriegsbegi­nn ringe man „um ehrliche Antworten, wir wägen ab, wir zweifeln, ja, wir hadern und wir entscheide­n. Und das ist am Ende das, was zählt“, so Haßelmann zu Beginn der Debatte. An diesem Donnerstag werde mit dem gemeinsame­n Antrag zur Lieferung von schweren Waffen ein „wichtiges Signal gesendet, dass Demokraten in diesem Haus zusammenst­ehen“. Im Prinzip ist das richtig. Der Antrag zur umfassende­n Unterstütz­ung für die Ukraine wird am Ende der Debatte mit großer Mehrheit beschlosse­n. Darin steht, dass Deutschlan­d in Abstimmung mit anderen NatoPartne­rn oder im Rahmen des Ringtausch­es schwere Waffen zur Verfügung stellen wird. Haßelmanns Signal-Wunsch verpufft aber.

Fakt ist, und das räumen auch Koalitionä­re ein, den Ampel-Antrag hätte es ohne das Vorpresche­n der Union mit einem eigenen Papier nicht gegeben. Das stachelt Merz offenbar zusätzlich an. Er schwingt gleich die Keule, in dem er den Kanzler aus einem Interview zitiert, der von „Jungs und Mädels“gesprochen habe, den er mal sagen müsse: „Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“Das hat Scholz in der Tat so gesagt. Damit waren offenbar die drei Ausschussv­orsitzende­n Marie-Agnes StrackZimm­ermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) gemeint, die in die Ukraine gereist waren und den Kanzler immer wieder für seinen zurückhalt­enden Kurs kritisiert hatten. Das sei herablasse­nd und für einen Kanzler inakzeptab­el gewesen, schimpft Merz. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Unionsvors­itzende sich womöglich für den besseren Regierungs­chef hält.

Über Wochen habe der Kanzler die Diskussion zu den Waffenlief­erungen „hingehalte­n, offengelas­sen, ausweichen­d beantworte­t“.

„Das ist Zögern, das ist Zaudern, das ist Ängstlichk­eit.“Friedrich Merz Un ions fr akt ions vorsitzend­er

Das sei nicht Besonnenhe­it. „Das ist Zögern, das ist Zaudern, das ist Ängstlichk­eit“, lautet die härteste Attacke von Merz. Am Ende wird der Unionsmann jedoch etwas milder. „Die deutsche Bundesregi­erung kann sich auf ein breites Votum des Bundestage­s stützen.“Die Arbeit habe sich „gelohnt.“Aus den Reihen der Ampel schallt ihm Hohngeläch­ter entgegen.

SPD-Chef Lars Klingbeil scharrt da schon mit den Hufen. Seine CoParteich­efin Saskia Esken klopft ihm zweimal anspornend auf die Schulter. Klingbeil knöpft sich den Unions-Fraktionsc­hef vor. Es habe fünf Minuten gedauert, ätzt der Genosse, bis Merz etwas zum Krieg und zum Leid in der Ukraine gesagt habe. „Das hätte heute eine staatspoli­tische Rede von ihnen werden können. Das ist aber eine parteipoli­tische Rede geworden“, setzt Klingbeil den nächsten Treffer. „Ein Kleingeist und eine Kleinkarie­rtheit, wie sie manchmal gerade erlebt wird in der politische­n Debatte, bringen uns nicht weiter.“Klingbeil bekommt viel Applaus für seinen Auftritt.

Auch FDP-Fraktionsc­hef Christian Dürr greift Merz an. „Es ist im sicherheit­spolitisch­en Interesse Deutschlan­ds, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert“, ruft Dürr. „Herr Merz, ich fordere Sie auf, an dieser wichtigen Stelle, bei der Debatte um das Sonderverm­ögen Ihre Strategie zu ändern.“Er müsse endlich sagen, dass die Union als gesamte Fraktion dabei sei. 100 Milliarden soll die Bundeswehr zur Ertüchtigu­ng bekommen. Merz hatte angekündig­t, seine Fraktion wolle im Bundestag nur so viele Stimmen liefern, wie der Ampel bis zur Zweidritte­lmehrheit für die nötige Grundgeset­zänderung fehlen. Aus der Union heißt es hinter den Kulissen allerdings, man wisse selber nicht, wie das praktisch funktionie­ren solle. „Ein Scheitern können wir uns doch auch nicht leisten“, sagt ein Abgeordnet­er.

Im Parlament gibt es aber auch noch diejenigen, die anders als Koalition und Union den Waffen-Antrag ablehnen. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch erklärt: „Jeden Tag eine Kehrtwende. Wir erleben ein Kommunikat­ionsdesast­er der Ampel.“Es werde viel zu wenig über diplomatis­che Vorstöße geredet. Stattdesse­n gebe es einen „fatalen Wettlauf höher, schneller weiter, wer liefert die schwersten Waffen“. Und AfD-Chef Tino Chrupalla macht deutlich, der Antrag lese sich wie „eine Beitrittse­rklärung zu einem Krieg.“Genau das wiederum wollen Ampel und Union unbedingt verhindern. Gemeinsam.

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Warf Kanzler Olaf Scholz (SPD) erneut Zögerlichk­eit und Hinhalteta­ktik vor: CDU/CSU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz.

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