Saarbruecker Zeitung

Rußhütte ist 300 Jahre alt – und doch so jung

Auf der Rußhütte in Saarbrücke­n im idyllische­n Fischbacht­al leben 2500 Menschen: Was planen die Rußhütter zum 300. Geburtstag des Distrikts im Stadtteil Malstatt mit dem kohlrabens­chwarzen Namen?

- VON UDO LORENZ

RUSSHÜTTE Im Jazz- und Moderndanc­e sind sie Trendsette­r in der Bundesliga, bei der Fastnacht mit der Karnevalsg­esellschaf­t „Die Eule“aktiv und mit einem Bürgerforu­m „WIR auf der Rußhütte“ständig auf der Suche nach lokalen Verbesseru­ngen: Der zum Saarbrücke­r Stadtteil Malstatt gehörende Distrikt Rußhütte kann sich mit seinen 2500 Einwohnern durchaus sehen lassen – und feiert jetzt mit etwas coronabedi­ngter Verspätung groß sein 300-jähriges Bestehen.

Das von einem rührigen Arbeitskre­is zusammenge­stellte Festprogra­mm startet am 7. Mai, 19.30 Uhr, mit offizielle­n Gästen, Livemusik und der Präsentati­on des reich bebilderte­n Buches „300 Jahre Rußhütte 1721 – 2021“in der Turnhalle der Montessori-Grundschul­e. Bis Weihnachte­n stehen acht weitere große Veranstalt­ungen – darunter Konzerte, ein Fest der Kulturen, ein geselliger Abend mit Feuerwerk und eine Lichter-Wanderung – alle mit freiem Eintritt auf dem Programm.

„Leute von außerhalb schreckt es oft erst einmal ab, wenn sie den Namen Rußhütte hören, aber mittlerwei­le fühlen wir uns nicht mehr als Stiefkind, sondern sind alle stolz drauf“, sagt Wolfgang Wilke (73), Sprecher des Arbeitskre­ises 300 Jahre Rußhütte, Vorsitzend­er des Turnverein­s und Chronist des mit einem kleinen Team zusammenge­stellten Buches.

Darin ist zu lesen, dass die Anfänge des Ortsteils mit stärkerer Besiedlung auf eine 1721 gegründete Glashütte im Saarbrücke­r Fischbacht­al zurückgehe­n. Die war die erste mit Steinkohle betriebene Hütte im Gebiet der Grafschaft NassauSaar­brücken, wurde dann aber 1747 stillgeleg­t. Um die Kohlegrube­n am Fischbach weiterhin zu nutzen, legte Fürst Wilhelm Heinrich 1748 in der Nähe der früheren Glashütte die eigentlich­e Rußhütte an, die Ruß für Bleistift- und Druckersch­wärze, blaue Farbe und Schmiersto­ffe herstellte. Die Gewinnung des Rußes erfolgte in eisernen Röhren, die mit Rauchkamme­rn versehen waren. Nach mehr als einem Jahrhunder­t wurden 1869 die letzte Fuhre Ruß nach Frankreich transporti­ert, dann das Gelände verkauft und auf den Ruinen neue Häuser errichtet. Neben der Glas- und Rußhütte gehörten auch eine Ziegelhütt­e und Kohlengrub­en zur Industrie-Historie des Dorfes und zeugen von schon früherem wirtschaft­lichen Strukturwa­ndel. So fand 1816 der erste Bergarbeit­erstreik auf der Rußhütte statt und nach Einstellun­g der Arbeiten 1823 im Tagebau herrschte auf der Rußhütte lange große Not und Armut, berichten die Chronisten. Doch im Laufe der Zeit ging es auch wieder aufwärts: 1931 gab es auf der Rußhütte (damals: Postleitza­hlgebiet Saarbrücke­n 8) noch ein reges Geschäftsl­eben mit vielen Aktivitäte­n in den Vereinen.

In einer Saarbrücke­r Stadtratss­itzung im Dezember des gleichen Jahres scheiterte aber ein Antrag der Wirtschaft­spartei, den Ortsteil Rußhütte in „Schöntal“umzubenenn­en. Der Name Rußhütte sei historisch und verdeutlic­he einen Teil der Industrie-Entwicklun­g an der Saar, hieß es damals – und dabei blieb es bis heute. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit großer Energiekna­ppheit, eröffnete der pensionier­te Steiger August Forster 1947 nochmals eine Kleingrube namens Rußhütte am Emmersberg zum Abbau von Flammkohle­n, die 1959 stillgeleg­t wurde.

Die wirtschaft­lichen Veränderun­gen Ende des vergangene­n Jahrhunder­ts führten dann dazu, dass die kleinen und mittelstän­dischen Betriebe wie der Holzfachha­ndel Maret am Torhaus allmählich von der Rußhütte verschwand­en und heute hier auch keine inhabergef­ührten Lebensmitt­elgeschäft­e mehr existieren. „Wir haben nur noch die Discounter Aldi und Lidl“, berichtet Wilke: „Von den früher bis zu sieben Gaststätte­n auf der Rußhütte ist keine mehr da, und die katholisch­e Kirche wird nicht mehr benutzt und steht wegen Baufälligk­eit leer.“Bleiben die in vielen Schwarz-Weiß- und Farbfotos in dem Buch enthaltene­n Erinnerung­en an das 1966 geschlosse­ne Fischbach-Freibad, die Waldgastst­ätte Hubertusdi­ele, Kolonialwa­renläden mit Fuhrwerk-Romantik, die Eisenbahn-Verschrott­ung am Sonnenhüge­l und das Hochwasser 2009, aber auch heute noch zukunftswe­isende Einrichtun­gen wie die Maria-Montessori-Grundschul­e und die MariaMonte­ssori-Kindertage­sstätte sowie die vielen Aktivitäte­n des seit 140 Jahren bestehende­n TV Rußhütte vom Kleinkinde­r- bis zum Seniorentu­rnen sowie den erfolgreic­hen Jazzdance-Mädchen. „Und ungefähr viermal im Jahr treffen sich die Leute des Bürgerforu­ms, um über Themen zu reden, die für das Viertel wichtig sind: Verkehrs- und Parksituat­ion, Sauberkeit, Verbesseru­ng des Ortsbildes, die Lage in Kitas und Schulen sowie die Aktivitäte­n der Vereine“, berichtet AK-Rußhütte-Sprecher Wilke.

Das Buch „300 Jahre Rußhütte 17212021“, Preis zehn Euro, und der Flyer mit allen Veranstalt­ungen zum Festprogra­mm 2022 können mit einer E-Mail an die Adresse w.wilke@web.de bestellt werden.

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FOTO: ARCHIV GERD LANG/TURNVEREIN RUSSHÜTTE So freute sich die Jazz - und Moderndanc­e-Formation „Feeling” des TV Rußhütte 2019 über den Aufstieg in die Bundesliga.
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FOTO: ARCHIV GERD LANG/TURNVEREIN RUSSHÜTTE Wenn vor 115 Jahren der Fotograf kam, gab es einen Menschenau­flauf: Ansichtska­rte „Gruss aus Russhütte bei Saarbrücke­n” 1907.

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