Noch viele offene Fragen zu G9 im Saarland
Wie wird die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren an Gymnasien umgesetzt? Darüber diskutiert der Bildungsausschuss im Landtag. Auch ein Beteiligungsforum außerhalb des Parlaments gibt es. Bis jetzt steht nur ein Zeitplan.
SAARBRÜCKEN Fest steht: An saarländischen Gymnasien wird wieder das Abitur nach neun Jahren (G9) eingeführt. Fest steht auch: Alle Schülerinnen und Schüler, die nach den Sommerferien auf das Gymnasium wechseln, die neuen Fünftklässler also, machen G9. Unklar ist bislang: Wie wird die Rückkehr zu G9 im Detail ausgestaltet? Betrifft G9 auch andere Jahrgänge? Wie sehen die Lehrpläne aus? Wie viele Lehrkräfte werden zusätzlich benötigt, wie viele Räume mehr? Viele Fragen, die es zu klären gilt. Und so war G9 auch das Top-Thema in der ersten Sitzung des neuen Bildungsausschusses am Freitag, in der Saar-Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) Rede und Antwort stand.
Wobei sie noch nicht viele Antworten habe liefern können, kritisiert die CDU-Opposition, die einen „konkreten Fahrplan“forderte. „Die Erkenntnis ist: Nur die neuen Fünftklässler treten in das neunjährige Gymnasium ein. Das ist eine Enttäuschung gegenüber dem, was zuvor angekündigt wurde“, sagte Bildungspolitiker Frank Wagner der SZ. „Die neue Landesregierung hat Erwartungen geweckt, wonach man davon ausgehen konnte, dass auch weitere Klassenstufen im kommenden Schuljahr in G9 eintreten.“Auch die „entscheidende Frage, die Stundentafel, um die sich alles dreht, die Berechnung der Lehrerstellen und der Raumbedarf“, sei nicht beantwortet worden. „Wenige Wochen vor dem neuen Schuljahr fehlt noch immer ein Konzept.“
Die SPD-Fraktion dagegen erklärte, dass man sich „natürlich ein Stück weit Zeit lassen muss“. Bildungspolitikerin Martina Holzner sagte: „Es ist nicht nur eine reine Rückkehr zu G9, sondern ein neues Konzept. Das muss gut überlegt und strukturiert sein. Es ist sehr wichtig, mit allen aus der Schulgemeinschaft zu reden.“
Dass mit der G9-Reform viele Fragen und Probleme einhergehen würden, „war klar“, sagte AfD-Fraktionschef Josef Dörr. Vom ausschließlichen Abitur nach neun Jahren, das es dann wieder in ein paar Jahren geben wird, hält Dörr aber wenig. Er fordert: „G8 und G9.“Die Gymnasien und überhaupt alle Schulen sollten selbst entscheiden können, auch über ihr Profil, weswegen Dörr mehr Autonomie für die Bildungsstätten fordert.
Das politische Ziel der G9-Reform hat Bildungsministerin Streichert-Clivot schon zuvor formuliert. Sie sagte der SZ: „Mit der Einführung des neunjährigen Gymnasiums wollen wir eine Entlastung der Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe erreichen. Gleichzeitig geht es darum, die gymnasiale Bildung zu modernisieren und qualitativ nach vorne zu bringen. Deshalb kehren wir nicht einfach zum alten G9 zurück, sondern konzipieren es neu. Dazu gehört die Einführung des Fachs Informatik und auch die Arbeit an unseren Lehrplänen.“Da
„Wenige Wochen vor dem neuen Schuljahr fehlt noch immer ein Konzept.“Frank Wagner CDU-Bildungspolitiker im Saar-Landtag
mit die Reform auch im „Sinne aller Beteiligten“gelinge, gibt es ein Beteiligungsforum. Zu regelmäßigen Treffen eingeladen sind die Schülervertretung, Elternvertretungen, Vertreter von Gewerkschaft, der Arbeitsgemeinschaft der Schulleiter und von Verbänden, die Lehrkräfte aller weiterführenden Schulen im Saarland vertreten, sowie der Landkreistag. Am Donnerstagabend tagte das Forum zum ersten Mal.
Zumindest eines müsste allen Beteiligten klar sein: Einfach nur das Schulordnungsgesetz dahingehend ändern, aus zwölf Jahren bis zum Abitur 13 Jahre zu machen, wird bei Weitem nicht ausreichen. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Etwa bei der Frage, welche Jahrgänge der Reform unterliegen sollen. Jeder weitere Jahrgang dürfte dazu führen, dass noch früher mehr Personal zur Verfügung stehen müsste. Angesichts der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt eine riesige Herausforderung. Wohl auch deshalb nennt die Landesregierung bislang keine Zahlen zu den Lehrerstellen. Erste Kennziffern werden wahrscheinlich erst im Juli öffentlich, wenn die SPD-Alleinregierung in die Haushaltsberatungen einsteigt.
Eng könnte unterdessen der Platz werden. In vielen Schulen fehlen jetzt schon genügend Räume. Nach SZ-Informationen ermitteln aktuell die Landkreise als Träger der weiterführenden Schulen den Raumbedarf. Angesichts von Preissprüngen und Lieferengpässen in der Baubranche müsste der Bedarf zügig beziffert sein. Gleiches gilt für die Investitionssummen und die Art der Finanzierung – ohne die finanzschwachen Kommunen, auf die die Landkreise die Kosten umlegen könnten, zusätzlich stark zu belasten. Abzuwarten bleibt, inwieweit hier das geplante Schulbauprogramm des Landes greift und welche Zuschüsse das Innenministerium gewährt.
Offen ist auch noch der wichtigste Aspekt der Reform: die Gestaltung des Lehrplans. Wo werden Prioritäten gesetzt? Wie wird das zusätzliche Schuljahr gestaltet? Wird die Anzahl der Wochenstunden pro Schuljahr reduziert? An Gymnasien kommen für Schüler ab Klasse sieben jedes Jahr mehr Stunden obendrauf. An Gemeinschaftsschulen dagegen beträgt die Anzahl der Wochenstunden über alle Jahrgänge hinweg 30.
Denkbar ist, das sich an der Gemeinschaftsschule orientiert wird. Nach Informationen unserer Zeitung soll bis zum Sommer Klarheit über die Stundentafel herrschen. Dann könnte die Lehrplankommission ihre Arbeit aufnehmen.
Einzig der Zeitplan des Gesetzgebungsverfahrens mit Änderung des Schulordnungsgesetzes und der dazugehörigen Verordnungen steht nach SZ-Informationen fest. Die Landesregierung will noch dieses Jahr einen ersten Entwurf im Parlament einbringen. Demnach wird es auch eine erste Lesung geben. Der Abschluss der Novellierung ist vor Start des Schuljahres 2023/24 geplant – rechtzeitig zum Anmeldezeitraum für die weiterführenden Schulen.