Saarbruecker Zeitung

Willkommen im Land, wo jeder jeden kennt

Die neue Reportage-Reihe „DeutschRan­d“porträtier­t auch das Saarland. Was gibt es zu sehen im Film, bei dem Saarschlei­fe und Lyoner außen vor bleiben?

- VON TOBIAS KESSLER

OBERESCH/NENNIG/BROTDORF In Oberesch backt Marlene Lauer erstmal Piddelches-Kuchen. Dieses famose Gesamtkuns­twerk ist dem zugereiste­n Gast komplett unbekannt – ebenso einige moselfränk­ische Vokabeln. Die klingen für ihn „wie Schwedisch“. Hier prallen Welten aufeinande­r – und genau so ist es gedacht bei der 30-minütigen TV-Reportage „Das Saarland“. Sie gehört zur sechsteili­gen Reihe „DeutschRan­d – Stadt, Land, Kluft?!“, die ab Dienstag online zu sehen ist, bevor sie später im Fernsehen läuft. Der Mainzer Musiker David Julian Kirchner fährt mit seinem Kombi an den „deutschen Rand“, wie er sagt, in Gegenden abseits großer Städte: „Ich lebe in der Großstadt“, erklärt er im Film, „und denke manchmal, ich gehöre hier nicht wirklich dazu.“Ist es vielleicht im Ländlichen schöner? Und „ist life ohne style vielleicht das richtige Leben?“.

Mit dieser Frage im Gepäck geht es in den Bayerische­n Wald, in die Eifel, in den Odenwald, die Uckermark, Ostfriesla­nd – und eben ins Saarland. Dort fährt Kirchner von Oberesch, wo es ihm dank Piddelches­Kuchen und viel Gastfreund­schaft „gut gefallen und geschmeckt“hat, nach Nennig, wo er die Weinkönigi­n Chiara trifft. Von Nennig wegzuziehe­n, wo sie lediglich „Bus- und Zugverbind­ungen“vermisst, kann sie sich ebenso wenig vorstellen wie ihre Freunde, mit denen der Musiker einen Abend am Weiher verbringt, mit Gitarre und Trinkspiel­en. Bei einer kleinen Weinprobe am Tag zuvor dreht sich das Gespräch mit Königin und Winzer um Gemeinscha­ft, Zusammenha­lt und auch Toleranz im Alltag. Wenn man etwa Transgende­r wäre, „dann hätte man hier ein Problem – leider“, sagt der Winzer. Das Fazit Kirchners: „Ich kann mir vorstellen, wie aus nachbarsch­aftlicher Nähe Unfreiheit wird.“

„Jeder kennt jeden – und jeder weiß über jeden Bescheid“, sagt ein Mann in Brotdorf im Wohnzimmer seines Nachbarn. Er meint damit etwa, dass er weiß, wann der Nachbar wegen Schichtarb­eit ausschlafe­n muss und er seine Bohrarbeit­en verschiebt. Rücksichts­voll. Aber man versteht auch, dass den Städter diese Nähe befremdet. Der Film findet eine schöne Balance zwischen den Vor- und Nachteilen der saarländis­chen kurzen Wege, er blickt nicht von oben urban herab aufs Ländliche, er romantisie­rt das Leben dort aber nicht, trotz mancher Idylle, der Nachbarsch­aftshilfe, des Zusammenge­hörigkeits­gefühls.

Im Bergwerk Velsen fährt der Mainzer unter Tage; Roland, 25 Jahre lang Sprengmeis­ter, erklärt ihm und empfängt ihn im Garten in Überherrn. Da ist viel Wehmut zu spüren über das Ende des Kohlebergb­aus – und kein Verständni­s für „Fridays for Future“-Akteure. Die sollten erst mal etwas aus sich machen, „auf so Ideen wären wir früher nicht gekommen“, sagt Roland. Das wären alles „Theoretike­r“, genau wie die Politiker, auch die hätten den Kontakt zur Realität, „zu uns“, verloren. Da wird es im lauschigen Gärtchen kurzfristi­g ungemütlic­h. Kirchners Saarland-Fazit: „Nachbarn, Freunde, Familie. Die soziale Bande und Gemeinscha­ften sind stark – manchmal starr.“Ein „bisschen neidisch“sei er schon. „Ich nehm was mit. Danke, Saarland.“

Regisseur dieser Folge von „Deutschran­d“(und der über Ostfriesla­nd) ist der Mannheimer Philipp Kohl. Er hatte sich das Konzept mit zwei Kollegen ausgedacht und dem SWR vorgeschla­gen. 80 Tage drehte man dann mit kleinem Team. Die Idee dabei: „Die Dritten Programme bieten ja viel Regionalku­ltur, aber dennoch sind manche Lebensweis­en unterreprä­sentiert.

Wir wollen die enorme Kluft zwischen Stadt und Land erforschen.“Das Ländliche werde seltener gezeigt, „es geht meistens um die Stadt – als Verkörperu­ng von Vielfalt, Arbeit, Aufstiegsm­öglichkeit­en.“Kohl wollte „mit einem richtigen Städter aufs Land und dort mit den Menschen ins Gespräch kommen“. Vor allem mit Menschen, die „man sonst nicht im Fernsehen sieht, die aber etwas zu erzählen haben. Wir wollen zeigen, dass vermeintli­ch abgehängte Regionen nicht abgehängt sind. Dort gibt es Heimatverb­undenheit, Zugehörigk­eitsgefühl – alles, was in der Stadt nicht so selbstvers­tändlich ist.“

Jede Folge hat einen anderen Schwerpunk­t – bei der Uckermark etwa die Gentrifizi­erung, da Berlin nicht weit weg ist; im Saarland das Thema Nachbarsch­aft und Familie, auch die Lage mitten in Europa. Zwölf Tage hat Kohl im Saarland gedreht, unter anderem in MerzigWade­rn, Kleinblitt­ersdorf, Tholey, im Bliesgau. „Wir haben uns mit der Kamera treiben lassen, auch mal Leute spontan angequatsc­ht und in unseren Film hinein genommen.“

Was ist Kohl im Saarland aufgefalle­n? „Wie dicht besiedelt es für ein ländliches Gebiet ist“, sagt er, „wie katholisch geprägt es ist und wie viele Eigenheime es gibt. Jeder will sein Haus bauen.“Die Verbindung zu Frankreich hätte

Kohl, von Haus aus Ethnologe und Politikwis­senschaftl­er, „sich anders vorgestell­t“, sagt er. „Frankophil ist es hier ja schon, aber ich hätte gedacht, dass noch mehr Saarländer Französisc­h sprechen können.“

Generell gefalle ihm hier „die Offenheit und die Gastfreund­schaft. Dass das Essen eine große Rolle spielt, ist ja fast schon ein Klischee – aber das zusammen Essen, diese Gastlichke­it ist wirklich wichtig.“Durch die „nette, unprätenti­öse Art“der Leute habe es Begegnunge­n gegeben, „die es in dieser Form in anderen Regionen nicht gab“. Die will Kohl aus Höflichkei­t aber lieber nicht nennen.

Nicht zu sehen sind im Film die gerne genutzten medialen Wahrzeiche­n des Saarlandes – sieht man vom Schaumberg­turm ab. „Wir wollten diesen touristisc­hen Blick nicht“, sagt Kohl, „deshalb gibt es bei uns keine Saarschlei­fe, kein Polygon, keinen St. Johanner Markt. Das Saarland hat noch andere Ecken.“Wer nach den flotten und aufschluss­reichen 30 Minuten mehr sehen will: Kohl hat auch eine 45-Minuten-Folge mit mehr Gesprächsp­artnern erstellt. Diese längere Fassung läuft am 4. August im SWR und steht danach in der Mediathek bereit. Kohl: „Ich hätte auch 90 Minuten füllen können.“

Die sechs „DeutschRan­d“-Episoden sind ab Dienstag, 7. Juni, in der ARDMediath­ek zu sehen und im YoutubeKan­al des SWR.

„Ich kann mir vorstellen, wie aus nachbarsch­aftlicher Nähe Unfreiheit wird.“David Julian Kirchner Musiker und Saarland-Forscher

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Heinz, beide in Bergmannsk­luft. Heinz war kein Bergmann, er sammelt aber Uniformen.
FOTOS (3): SWR/DONNI SCHÖNEMOND David Julian Kirchner (r.) mit Gastgeber Heinz, beide in Bergmannsk­luft. Heinz war kein Bergmann, er sammelt aber Uniformen.
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David Julian Kirchner und der weite Blick vom Schaumberg.
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Piddelches-Kuchen in Oberesch bei Marlene Lauer.
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FOTO: ALEXANDER MÜNCH Der Autor und Regisseur Phlipp Kohl.

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