Willkommen im Land, wo jeder jeden kennt
Die neue Reportage-Reihe „DeutschRand“porträtiert auch das Saarland. Was gibt es zu sehen im Film, bei dem Saarschleife und Lyoner außen vor bleiben?
OBERESCH/NENNIG/BROTDORF In Oberesch backt Marlene Lauer erstmal Piddelches-Kuchen. Dieses famose Gesamtkunstwerk ist dem zugereisten Gast komplett unbekannt – ebenso einige moselfränkische Vokabeln. Die klingen für ihn „wie Schwedisch“. Hier prallen Welten aufeinander – und genau so ist es gedacht bei der 30-minütigen TV-Reportage „Das Saarland“. Sie gehört zur sechsteiligen Reihe „DeutschRand – Stadt, Land, Kluft?!“, die ab Dienstag online zu sehen ist, bevor sie später im Fernsehen läuft. Der Mainzer Musiker David Julian Kirchner fährt mit seinem Kombi an den „deutschen Rand“, wie er sagt, in Gegenden abseits großer Städte: „Ich lebe in der Großstadt“, erklärt er im Film, „und denke manchmal, ich gehöre hier nicht wirklich dazu.“Ist es vielleicht im Ländlichen schöner? Und „ist life ohne style vielleicht das richtige Leben?“.
Mit dieser Frage im Gepäck geht es in den Bayerischen Wald, in die Eifel, in den Odenwald, die Uckermark, Ostfriesland – und eben ins Saarland. Dort fährt Kirchner von Oberesch, wo es ihm dank PiddelchesKuchen und viel Gastfreundschaft „gut gefallen und geschmeckt“hat, nach Nennig, wo er die Weinkönigin Chiara trifft. Von Nennig wegzuziehen, wo sie lediglich „Bus- und Zugverbindungen“vermisst, kann sie sich ebenso wenig vorstellen wie ihre Freunde, mit denen der Musiker einen Abend am Weiher verbringt, mit Gitarre und Trinkspielen. Bei einer kleinen Weinprobe am Tag zuvor dreht sich das Gespräch mit Königin und Winzer um Gemeinschaft, Zusammenhalt und auch Toleranz im Alltag. Wenn man etwa Transgender wäre, „dann hätte man hier ein Problem – leider“, sagt der Winzer. Das Fazit Kirchners: „Ich kann mir vorstellen, wie aus nachbarschaftlicher Nähe Unfreiheit wird.“
„Jeder kennt jeden – und jeder weiß über jeden Bescheid“, sagt ein Mann in Brotdorf im Wohnzimmer seines Nachbarn. Er meint damit etwa, dass er weiß, wann der Nachbar wegen Schichtarbeit ausschlafen muss und er seine Bohrarbeiten verschiebt. Rücksichtsvoll. Aber man versteht auch, dass den Städter diese Nähe befremdet. Der Film findet eine schöne Balance zwischen den Vor- und Nachteilen der saarländischen kurzen Wege, er blickt nicht von oben urban herab aufs Ländliche, er romantisiert das Leben dort aber nicht, trotz mancher Idylle, der Nachbarschaftshilfe, des Zusammengehörigkeitsgefühls.
Im Bergwerk Velsen fährt der Mainzer unter Tage; Roland, 25 Jahre lang Sprengmeister, erklärt ihm und empfängt ihn im Garten in Überherrn. Da ist viel Wehmut zu spüren über das Ende des Kohlebergbaus – und kein Verständnis für „Fridays for Future“-Akteure. Die sollten erst mal etwas aus sich machen, „auf so Ideen wären wir früher nicht gekommen“, sagt Roland. Das wären alles „Theoretiker“, genau wie die Politiker, auch die hätten den Kontakt zur Realität, „zu uns“, verloren. Da wird es im lauschigen Gärtchen kurzfristig ungemütlich. Kirchners Saarland-Fazit: „Nachbarn, Freunde, Familie. Die soziale Bande und Gemeinschaften sind stark – manchmal starr.“Ein „bisschen neidisch“sei er schon. „Ich nehm was mit. Danke, Saarland.“
Regisseur dieser Folge von „Deutschrand“(und der über Ostfriesland) ist der Mannheimer Philipp Kohl. Er hatte sich das Konzept mit zwei Kollegen ausgedacht und dem SWR vorgeschlagen. 80 Tage drehte man dann mit kleinem Team. Die Idee dabei: „Die Dritten Programme bieten ja viel Regionalkultur, aber dennoch sind manche Lebensweisen unterrepräsentiert.
Wir wollen die enorme Kluft zwischen Stadt und Land erforschen.“Das Ländliche werde seltener gezeigt, „es geht meistens um die Stadt – als Verkörperung von Vielfalt, Arbeit, Aufstiegsmöglichkeiten.“Kohl wollte „mit einem richtigen Städter aufs Land und dort mit den Menschen ins Gespräch kommen“. Vor allem mit Menschen, die „man sonst nicht im Fernsehen sieht, die aber etwas zu erzählen haben. Wir wollen zeigen, dass vermeintlich abgehängte Regionen nicht abgehängt sind. Dort gibt es Heimatverbundenheit, Zugehörigkeitsgefühl – alles, was in der Stadt nicht so selbstverständlich ist.“
Jede Folge hat einen anderen Schwerpunkt – bei der Uckermark etwa die Gentrifizierung, da Berlin nicht weit weg ist; im Saarland das Thema Nachbarschaft und Familie, auch die Lage mitten in Europa. Zwölf Tage hat Kohl im Saarland gedreht, unter anderem in MerzigWadern, Kleinblittersdorf, Tholey, im Bliesgau. „Wir haben uns mit der Kamera treiben lassen, auch mal Leute spontan angequatscht und in unseren Film hinein genommen.“
Was ist Kohl im Saarland aufgefallen? „Wie dicht besiedelt es für ein ländliches Gebiet ist“, sagt er, „wie katholisch geprägt es ist und wie viele Eigenheime es gibt. Jeder will sein Haus bauen.“Die Verbindung zu Frankreich hätte
Kohl, von Haus aus Ethnologe und Politikwissenschaftler, „sich anders vorgestellt“, sagt er. „Frankophil ist es hier ja schon, aber ich hätte gedacht, dass noch mehr Saarländer Französisch sprechen können.“
Generell gefalle ihm hier „die Offenheit und die Gastfreundschaft. Dass das Essen eine große Rolle spielt, ist ja fast schon ein Klischee – aber das zusammen Essen, diese Gastlichkeit ist wirklich wichtig.“Durch die „nette, unprätentiöse Art“der Leute habe es Begegnungen gegeben, „die es in dieser Form in anderen Regionen nicht gab“. Die will Kohl aus Höflichkeit aber lieber nicht nennen.
Nicht zu sehen sind im Film die gerne genutzten medialen Wahrzeichen des Saarlandes – sieht man vom Schaumbergturm ab. „Wir wollten diesen touristischen Blick nicht“, sagt Kohl, „deshalb gibt es bei uns keine Saarschleife, kein Polygon, keinen St. Johanner Markt. Das Saarland hat noch andere Ecken.“Wer nach den flotten und aufschlussreichen 30 Minuten mehr sehen will: Kohl hat auch eine 45-Minuten-Folge mit mehr Gesprächspartnern erstellt. Diese längere Fassung läuft am 4. August im SWR und steht danach in der Mediathek bereit. Kohl: „Ich hätte auch 90 Minuten füllen können.“
Die sechs „DeutschRand“-Episoden sind ab Dienstag, 7. Juni, in der ARDMediathek zu sehen und im YoutubeKanal des SWR.
„Ich kann mir vorstellen, wie aus nachbarschaftlicher Nähe Unfreiheit wird.“David Julian Kirchner Musiker und Saarland-Forscher