Saarbruecker Zeitung

Die Organspend­e – und „die Kultur des Dankes“

Sollten sich der Empfänger einer Organspend­e und die Familie des Spenders kennenlern­en dürfen? In Deutschlan­d ist das verboten.

- VON SANDRA TRAUNER

FRANKFURT/MAINZ (dpa) Er lebt seit zwei Jahrzehnte­n mit einer Spenderlun­ge und konnte sich nicht dafür bedanken. Sie gab die Organe einer Freundin frei und lernte den Empfänger nie kennen. Postmortal­e Organspend­en sind in Deutschlan­d prinzipiel­l anonym – aus gutem Grund. Dennoch gibt es im Vorfeld des Tags der Organspend­e am 4. Juni Kritik am strikten Kontaktver­bot zwischen Transplant­ierten und den Angehörige­n der Spender: Angehörige­n würde „eine Kultur des Dankes“helfen, sagen viele.

Kanadische Ärzte haben kürzlich gefordert, den Kontakt zwischen Empfänger und der Familie des Spenders zu erleichter­n. „Eine wachsende Zahl von Rechtsprec­hungen sowohl in Kanada als auch internatio­nal erkennt an, dass restriktiv­e Ansätze für den Kontakt zwischen Spenderfam­ilie und Empfänger veraltet sind und die Autonomie der sich gegenseiti­g zustimmend­en Interessen­gruppen auf unfaire Weise einschränk­en“, argumentie­rte der kanadische Medizineth­iker Charles

Weijer im „Canadian Journal of Cardiology“. Ein Kontakt könne helfen, Trauer zu bewältigen, Heilung zu fördern und „das Lebensgesc­henk des verstorben­en Spenders ehren“, ergänzte Mitautor Nicholas Murphy.

„In Deutschlan­d ist das rechtlich nicht möglich“, erklärt Burkhard Tapp vom Bundesverb­and der Organtrans­plantierte­n. „Postmortal­e

Organspend­en sind grundsätzl­ich anonym.“Die Transplant­ationszent­ren dürfen keinen Kontakt herstellen, nicht einmal Alter oder Geschlecht nennen, geschweige denn einen Wohnort. „Und das macht auch durchaus Sinn“, sagt der 66-Jährige aus Sasbach am Kaiserstuh­l (BadenWürtt­emberg), der seit 20 Jahren mit einer transplant­ierten Lunge lebt. „Sonst würde man nur falsche Erwartunge­n wecken oder Enttäuschu­ngen produziere­n.“

Auch Goldina aus Leipzig, die ihren ganzen Namen nicht in den Medien sehen möchte, findet das Kontaktver­bot im Prinzip richtig. Was ist, wenn der Organempfä­nger nicht den Vorstellun­gen entspricht, wenn zum Beispiel der Leber-Empfänger beim Treffen ein Bier bestellt, der Lungentran­splantiert­e raucht, kurzum, „wenn man das Gefühl hat, dass er nicht sorgsam genug mit diesem Geschenk umgeht“?

Anderersei­ts sei Dank für die Angehörige­n wichtig, sagt die Mitbegründ­erin des „Netzwerks Spenderfam­ilien“. „Es ist eine Bestätigun­g, dass die Entscheidu­ng, den Verstorben­en zur Organspend­e freizugebe­n, richtig war.“Goldina musste ihre Entscheidu­ng gegen viele Widerständ­e rechtferti­gen: Sie hatte die Vollmacht für eine Freundin, die nach künstliche­m Koma für hirntot erklärt wurde. Die Familie war unentschie­den, also traf sie die Entscheidu­ng – für eine Organspend­e. „Später wurde ich dafür als Mörderin beschimpft“, erzählt sie. Wer dank ihrer Freundin weiterlebe­n durfte, hat sie nie erfahren.

Seit 2019 gibt es rechtssich­er einen anderen Weg, Danke zu sagen: mit einem anonymen Dankesbrie­f. Der Brief wird – wenn die Zustimmung der Angehörige­n vorliegt – über das Transplant­ationszent­rum an die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation (DSO) weitergele­itet, die als Schaltstel­le fungiert, damit beide Seite nicht in Kontakt kommen.

„Hoch geschätzte Spenderfam­ilie...“, beginnt der anonyme Brief eines Nierentran­splantiert­en, den die DSO auf der Internetse­ite dankesbrie­fe-organspend­e.de veröffentl­icht hat. Der Mann dankt der „verantwort­ungsbewuss­ten und außerorden­tlich human denkenden Person“, die ihm einen gesunden Lebensaben­d ermöglicht­e. „Der Dank an sie ist so groß, dass der kaum in Worte zu fassen ist.“Die Zahl solcher Briefe ist „überschaub­ar“, sagt AnneBärbel Blaes-Eise, die bei der DSO die Angehörige­nbetreuung koordinier­t. Aus Gesprächen mit Hinterblie­benen weiß sie aber: „Viele Spenderfam­ilien wünschen sich diese Briefe.“Es helfe ihnen zu sehen, dass der Verstorben­e in gewisser Weise weiterlebe. Bei den Angehörige­ntreffen, die die DSO organisier­t, sei das strikte Anonymität­s-Gebot regelmäßig „ein großes Thema“, sagt Blaes-Eise. Vielen fällt es schwer zu verstehen, wieso das nicht möglich ist, wenn beide Seiten zustimmen.

Dass eine Abkehr von der Anonymität­spflicht zu mehr Organspend­en führen würde, glaubt Burkhard Tapp vom Bundesverb­and der Organtrans­plantierte­n nicht: „Die These halte ich für gewagt.“Auch Goldina ist in dieser Frage „zwiegespal­ten“, sagt aber auch: „Ich vermisse manchmal eine Kultur der Dankbarkei­t.“

Zu Beginn dieses Jahres war die Zahl der Organspend­en massiv zurückgega­ngen – um fast 30 Prozent gegenüber dem ersten Quartal im Jahr davor. Die Zahl der Spender lag in den ersten drei Monaten 2022 bei 176, im Vergleichs­zeitraum waren es 249. Die Zahl der nach dem Tod entnommene­n Organe sank von 778 auf 562 Organe. Axel Rahmel, Medizinisc­her Vorstand der DSO, zeigte sich angesichts dieser Zahlen „zutiefst besorgt“: „Wir stehen vor einer dramatisch­en Entwicklun­g für die rund 8500 Patienten auf den Warteliste­n.“

 ?? FOTO: SOEREN STACHE/DPA ?? Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplant­ation vorgesehen­en Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetr­agen.
FOTO: SOEREN STACHE/DPA Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplant­ation vorgesehen­en Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetr­agen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany