Eine Zeitreise zu den Malediven
Innerhalb von 40 Jahren haben sich die Malediven von einem preiswerten Reiseziel für wenige Individualisten zu einem Hotspot des Luxustourismus mit weit über 1,5 Millionen Besuchern pro Jahr gewandelt. Unser Autor kennt beide Seiten und beide Epochen.
MALÉ War früher alles besser? Zumindest war es deutlich billiger. Wir waren jung und mussten scharf rechnen. Und welcher Student kann schon zu drei Dollar Vollpension inklusive Transfer auf eine Fischerinsel im Nord-Malé-Atoll nein sagen? Genau 40 Jahre ist das her. Der Agent im Hafen des beschaulichen Malé schwärmt uns von den Schönheiten Bodu Huraas vor. Die Insel sei nur 20 Kilometer entfernt. Zwei wettergegerbte Fischer in Sarongs nehmen uns in ihrem winzigen Segelboot mit. Bei Flaute. Die Fahrt dauert fünf Stunden.
Bodu Huraa ist wirklich schön. Die Häuser in traditioneller Bauweise aus Korallengestein mit Palmdächern. Im kleinen sorgsam gefegten Innenhof ein kleiner Brunnen für die Morgentoilette. Ein Stab mit angebundener Konservenbüchse ersetzt die Dusche. Kanalisation gibt es natürlich nicht, aber einen geeigneten Strand und die Gezeiten.
Mein Feldbett ist 20 Zentimeter zu kurz und aus Plastik. Das Räumchen (natürlich) ohne Ventilator oder gar mehr. Die Fischerinsel ist noch nicht elektrifiziert. Da enden die Abende zwangsläufig früh.
Die Sehenswürdigkeiten Bodu Huraas liegen von der winzigen Moschee und einer kleinen Schiffswerft abgesehen tief unten. Mitgebrachte Flossen, Tauchermaske und Schnorchel genügen. Jeder einzelne Ausflug zum Hausriff bleibt für immer haften. Schon im Flachwasser intakte Hartkorallen, ein Überfluss an farbenprächtigen Fischen und an der Riffkante Schildkröten und stattliche Haie im Dutzend. Die Vollpension bei unseren Vermietern Ali (Korallentaucher von Beruf) und Fahima beinhaltet ein mildes Fischcurry zum Frühstück, zum Mittagund auch zum Abendessen. Die beiden werden es im Laufe der Jahre auf insgesamt 13 Kinder bringen. Eines davon heißt Yappo. Ihn lerne ich fast genau 40 Jahre später kennen, als er mir ein warmes Handtuch reicht.
Das ist während einer Tauchsafari im Winter 2020 sehr willkommen, denn der Nachttauchgang im Baa Atoll war aufregend: ein mächtiger Stachelrochen, tiefe Höhlen und Überhänge und ein für heutige Verhältnisse intaktes Riff, das noch nicht viele Taucher erdulden musste. Korallenbleiche, Überbevölkerung und der robuste Ausbau vieler Touristen-Inseln haben einen Großteil der maledivischen Riffe in arge Mitleidenschaft gezogen. Kein Vergleich zu der früheren Unterwasser-Schönheit.
Yappo gehört zum Team des Four Season-Schiffes Island Explorer. Ein gescanntes Foto seines Elternhauses auf meinem Handy hat uns ins Gespräch gebracht. Auch viele seiner Geschwister, Schwäger und Cousins haben Karriere bis hin zum Resort Manager in einem der vielen Luxushotels des Inselstaates gemacht. Seine Eltern, meine ehemaligen Vermieter, sind kürzlich gestorben und er freut sich riesig, jemanden zu treffen, der sie noch vor seiner Geburt kannte.
Bei der Rückkehr auf das Mutterschiff, einen 39-Meter langen Motorkatamaran, wartet ein Teil der Crew schon mit strahlendem Lächeln und einem Glas weißem Punsch.
Das Tauchteam kümmert sich um unsere Ausrüstung, während die Gäste sich auf das Zwischendeck begeben und ein opulentes Abendessen zu sich nehmen.
Auf der Island Explorer herrscht unaufdringlicher Luxus ohne Krawattenzwang. Selbst japanische Multimillionäre kommen hier ganztägig mit Polohemd und kurzer Hose aus. Dabei ist dies viel mehr als ein Safarischiff – eher so etwas wie ein schwimmendes Fünf-Sterne-Hotel in Miniaturausgabe. 25 Crewmitglieder kümmern sich um die Gäste in den elf Kabinen. Hochwertige Badarmaturen, Home-Entertainment, Klimaanlage und eine gute bestückte Minibar lassen vergessen, dass man über die Wellen des Indischen Ozeans schippert.
Da nicht jeder Passagier taucht oder auch nur schnorchelt, lässt sich die Crew um Cruise-Director Abdul Latheef Tag für Tag ein vollwertiges Alternativprogramm einfallen: Touren zu bewohnten Inseln, abendliches Angeln oder auch einmal Lektionen in Fischkunde mit der bordeigenen Meeresbiologin aus Cambridge.
Besonders gut kommen die Ausflüge zu unbewohnten Eilanden an: Für ein paar Stunden geht es auf eine entlegene Sandbank oder Palmeninsel. Dienstbare Geister haben zuvor schattenspendende Pavillons aufgestellt, eine Auswahl Wassersportgeräte hinübergebracht und ein kleines, aber edles Büffet aufgebaut.
Am letzten Abend sollte das geplante indische Fest eigentlich auf einer unbewohnten Insel stattfinden, aber das Wetter spielt nicht so
ganz mit, und wir feiern das Leben auf dem Zwischendeck mit buntem Bombay-Pomp, Barbecue und Live-Musik. Yappo und sein alter Freund Adil, ebenfalls aus Bodu Huraa, singen in der Landessprache Dhivehi rhythmische Lieder und tanzen dazu. Ein ziemlich lustiges Tänzchen zum Ende einer Zeitreise – wenn nur der Zustand der Korallenriffe nicht so traurig wäre.