Saarbruecker Zeitung

Kaum Wahlkampf, kaum Leidenscha­ft

Emmanuel Macron ist zwar als Frankreich­s Präsident wiedergewä­hlt. Doch wie viel Macht er künftig haben wird, entscheide­t sich erst nach der Parlaments­wahl.

- VON RACHEL BOSSMEYER UND MICHAEL EVERS

Paris (dpa) Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass das Nachbarlan­d unmittelba­r vor der Parlaments­wahl steht. Dabei geht es den Französinn­en und Franzosen kaum anders, denn der leidenscha­ftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassieren­de Desinteres­se, wie Umfragen belegen. Nicht mal mehr jeder Zweite will zur Wahl gehen. So viel Politikver­drossenhei­t gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltene­r denn je und die Unzufriede­nheit bei vielen Menschen groß.

Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron für eine zweite Amtszeit wiedergewä­hlt wurde. Zähneknirs­chend gaben auch viele von ihm enttäuscht­e und frustriert­e Wählerinne­n und Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnati­onale Herausford­erin Marine Le Pen auszubrems­en.

Nun steht alles wieder auf Anfang – zumindest theoretisc­h. Denn die Parlaments­wahl liegt ganz bewusst nur wenige Wochen nach der Präsidents­chaftswahl, soll dem neugewählt­en Staatsober­haupt einen Neustart mit eigener Mehrheit in der Nationalve­rsammlung ermögliche­n und wird in Frankreich quasi als Bestätigun­g der vorangegan­genen Abstimmung gesehen. Entspreche­nd gehen traditione­ll vor allem die Anhänger des Gewinners wählen, während die Wählerscha­ft der unterlegen­en Kandidaten in Scharen zu Hause bleibt. Die erste Runde ist am 12. Juni geplant.

Dass es dieses Mal anders als in der Vergangenh­eit läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidents­chaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtlich­e knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatz­ierter raus. „Wählt mich zum Premiermin­ister“, wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidents­chaftswahl der Coup gelang, die zersplitte­rte Linke mit den am Boden liegenden Sozialiste­n, Grünen und Kommuniste­n hinter sich zu vereinen.

Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündn­is enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Mit diesem Hebel zur Macht wirbt Mélenchon gezielt und macht sich zum Gegenspiel­er von Macron. Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverlu­ste für den Liberalen erwarten. Doch letztlich gehen die Meinungsfo­rschungsin­stitute davon aus, dass Macrons Lager die Mehrheit im Parlament wieder holt. Auffällig ruhig geworden ist es dabei um die Rechte Le Pen, die innerhalb weniger Wochen von Mélenchon als Hauptkonku­rrentin Macrons abgelöst wurde. Grund dafür ist aber kein plötzliche­r Stimmungsw­andel in Frankreich, sondern die Besonderhe­it der Parlaments­wahl. Im Gegensatz zur Präsidents­chaftswahl zählt hier auch die lokale Verankerun­g, und die ist keine Stärke Le Pens.

Die politische Dreiteilun­g, die bereits in der Präsidents­chaftswahl deutlich sichtbar wurde, dürfte sich auch in der Parlaments­wahl in zwei Runden am 12. und 19. Juni abzeichnen. Ein linker Block, ein weit rechter Block und Macron in der Mitte. Die konservati­ven Républicai­ns, einst Volksparte­i und noch stärkste Opposition­skraft in der Nationalve­rsammlung, müssen mit herben Verlusten rechnen. Die zweite traditione­lle Volksparte­i der Sozialiste­n hat sich im Linksbündn­is Mélenchon untergeord­net und dabei selbst einer eurokritis­chen Linie zugestimmt, die den Verstoß gewisser EU-Regeln billigt. Das Ergebnis der Parlaments­wahl entscheide­t maßgeblich darüber, welchen Kurs Frankreich in den kommenden Jahren nehmen wird. Kann Macron mit seinem Kabinett quasi durchregie­ren, zwingen ihn die Machtverhä­ltnisse dazu, Premier und Regierung aus einem anderen Lager zu bilden, oder wird das Parlament es ihm zumindest unbequem machen?

Das Land ist gespaltene­r denn je und die Unzufriede­nheit bei vielen Menschen groß.

Newspapers in German

Newspapers from Germany