Kaum Wahlkampf, kaum Leidenschaft
Emmanuel Macron ist zwar als Frankreichs Präsident wiedergewählt. Doch wie viel Macht er künftig haben wird, entscheidet sich erst nach der Parlamentswahl.
Paris (dpa) Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass das Nachbarland unmittelbar vor der Parlamentswahl steht. Dabei geht es den Französinnen und Franzosen kaum anders, denn der leidenschaftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassierende Desinteresse, wie Umfragen belegen. Nicht mal mehr jeder Zweite will zur Wahl gehen. So viel Politikverdrossenheit gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltener denn je und die Unzufriedenheit bei vielen Menschen groß.
Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Zähneknirschend gaben auch viele von ihm enttäuschte und frustrierte Wählerinnen und Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnationale Herausforderin Marine Le Pen auszubremsen.
Nun steht alles wieder auf Anfang – zumindest theoretisch. Denn die Parlamentswahl liegt ganz bewusst nur wenige Wochen nach der Präsidentschaftswahl, soll dem neugewählten Staatsoberhaupt einen Neustart mit eigener Mehrheit in der Nationalversammlung ermöglichen und wird in Frankreich quasi als Bestätigung der vorangegangenen Abstimmung gesehen. Entsprechend gehen traditionell vor allem die Anhänger des Gewinners wählen, während die Wählerschaft der unterlegenen Kandidaten in Scharen zu Hause bleibt. Die erste Runde ist am 12. Juni geplant.
Dass es dieses Mal anders als in der Vergangenheit läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidentschaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtliche knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatzierter raus. „Wählt mich zum Premierminister“, wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidentschaftswahl der Coup gelang, die zersplitterte Linke mit den am Boden liegenden Sozialisten, Grünen und Kommunisten hinter sich zu vereinen.
Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündnis enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Mit diesem Hebel zur Macht wirbt Mélenchon gezielt und macht sich zum Gegenspieler von Macron. Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für den Liberalen erwarten. Doch letztlich gehen die Meinungsforschungsinstitute davon aus, dass Macrons Lager die Mehrheit im Parlament wieder holt. Auffällig ruhig geworden ist es dabei um die Rechte Le Pen, die innerhalb weniger Wochen von Mélenchon als Hauptkonkurrentin Macrons abgelöst wurde. Grund dafür ist aber kein plötzlicher Stimmungswandel in Frankreich, sondern die Besonderheit der Parlamentswahl. Im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl zählt hier auch die lokale Verankerung, und die ist keine Stärke Le Pens.
Die politische Dreiteilung, die bereits in der Präsidentschaftswahl deutlich sichtbar wurde, dürfte sich auch in der Parlamentswahl in zwei Runden am 12. und 19. Juni abzeichnen. Ein linker Block, ein weit rechter Block und Macron in der Mitte. Die konservativen Républicains, einst Volkspartei und noch stärkste Oppositionskraft in der Nationalversammlung, müssen mit herben Verlusten rechnen. Die zweite traditionelle Volkspartei der Sozialisten hat sich im Linksbündnis Mélenchon untergeordnet und dabei selbst einer eurokritischen Linie zugestimmt, die den Verstoß gewisser EU-Regeln billigt. Das Ergebnis der Parlamentswahl entscheidet maßgeblich darüber, welchen Kurs Frankreich in den kommenden Jahren nehmen wird. Kann Macron mit seinem Kabinett quasi durchregieren, zwingen ihn die Machtverhältnisse dazu, Premier und Regierung aus einem anderen Lager zu bilden, oder wird das Parlament es ihm zumindest unbequem machen?
Das Land ist gespaltener denn je und die Unzufriedenheit bei vielen Menschen groß.