Saarbruecker Zeitung

Ramelow sucht „Windfriede­n“in Thüringen

Die Thüringer CDU-Fraktion steckt mit Vorstößen zur Windenergi­e in der Klemme. Von einem möglichen Dammbruch ist die Rede, weil die AfD ihre Unterstütz­ung angekündig­t hat. Ministerpr­äsident Ramelow hat Gespräche angeboten.

- VON SIMONE ROTHE

ERFURT (dpa) Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) hat der opposition­ellen CDU-Landtagsfr­aktion im Streit um Windräder vor einem möglichen Eklat Gespräche angeboten. Basis könnte der entstehend­e Koalitions­vertrag von CDU und Grünen in Nordrhein-Westfalen beim Thema regenerati­ve Energie sein, sagte Ramelow in Erfurt. Der Streit, bei dem es um eine 1000-Meter-Abstandsre­gel für Windräder von Wohngebäud­en geht, hat wegen der angekündig­ten Unterstütz­ung der CDU-Pläne durch die AfD-Fraktion mit Chef Björn Höcke bundesweit Wellen geschlagen.

Hintergrun­d ist, dass die Opposition­sfraktione­n CDU und AfD sowie die FDP-Gruppe Ramelows rot-rot-grüne Minderheit­skoalition im Landtag überstimme­n können, wenn sie gemeinsam agieren. Linke, SPD und Grünen fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit.

Ramelow sprach von einer Blaupause, die Schwarz-Grün in NRW und in Schleswig-Holstein beim Thema erneuerbar­e Energien für Thüringen liefern könnten. „Da wird ein guter Weg beschriebe­n werden und er bildet aktuell auch die Zwänge mit ab, die durch die Erpressbar­keit bei Energie durch Russland entstanden sind.“Gespräche auf Basis eines NRW-Energiepap­iers sowie einen „Windfriede­n“mit Aussetzung der Landtagsab­stimmung in dieser Woche bot auch Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne) der CDU an.

CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt zeigte sich offen für Gespräche. Der Ball liege aber bei Rot-Rot-Grün. „Es ist absurd, uns eine mögliche Zusammenar­beit mit der rechtsextr­emistische­n Thüringer AfD zu unterstell­en wie einige Bundespoli­tiker von SPD und Grünen“, sagte Voigt. Er verwies auf die Kompromiss­bereitscha­ft seiner Fraktion angesichts der schwierige­n Mehrheitsv­erhältniss­e im Landtag – zwei Haushalte seien bereits mit CDU-Unterstütz­ung verabschie­det worden. „Aber Rot-Rot-Grün muss genauso kompromiss­fähig sein wie wir“, sagte der Opposition­spolitiker. Das gelte für die 1000-Abstandsre­gelung von Windrädern zu Wohngebäud­en, die alle anderen ostdeutsch­en Bundesländ­er bereits hätten. Diese sei sie in Sachsen mit Stimmen von CDU, SPD und Grünen beschlosse­n worden. Die Abstandsre­gel forderte auch der Gruppenspr­echer der FDP im Landtag, Thomas Kemmerich. Er warf RotRot-Grün vor, eine Eskalation bei Sachthemen zu betreiben.

Kompromiss­fähigkeit fordere Voigt von der Minderheit­skoalition auch bei der Schulgeldf­reiheit für Gesundheit­sberufe, auf die seine Fraktion poche. Sie ist Thema einer Sondersitz­ung des Landtags an diesem Mittwoch. „Ich erwarte von Ministerpr­äsident Bodo Ramelow, dass seine Regierung die Schulgeldf­reiheit für die Gesundheit­sfachberuf­e sofort herstellt“, so Voigt.

Die CDU-Fraktion steckt mit ihren Vorstößen zu Windkraft und Schulgeldf­reiheit politisch in der Klemme, weil die AfD in beiden Fragen ihre Unterstütz­ung signalisie­rt hat. „Was sich in Thüringen anbahnt, ist alarmieren­d. Das ist keine Angelegenh­eit eines Bundesland­es“, erklärte die erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der SPDBundest­agsfraktio­n, Katja Mast, in Berlin. CDU-Parteichef Friedrich Merz müsse eingreifen, forderte sie. Ähnlich hatte sich auch SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert geäußert.

Ein Gesetz gegen die Stimmen der rot-rot-grünen Minderheit­sregierung sei „eine Gesetzesme­hrheit von Höckes Gnaden“, sagte Kühnert dem Spiegel.

Ramelow warf der CDU-Fraktion eine „ideologieg­etriebene Blockadepo­litik beim Windkrafta­usbau“vor. Sie würde derzeit mit ihrem Drängen auf die 1000-Meter-Abstandsre­gel und der Verhinderu­ng von Anlagen auf Brachfläch­en im Wald Arbeitsplä­tze gefährden. „Die Thüringer Wirtschaft will regenerati­ve Energie nutzen.“

Das gelte besonders für die energieint­ensive Glasindust­rie mit ihren rund 7000 Arbeitsplä­tzen, bei der angesichts der hohen Preise und der Abhängigke­it von Importen eine Umstellung von Gas auf Strom anstehe. Zudem habe der Bund angekündig­t, dass künftig in Deutschlan­d zwei Prozent der Landesfläc­he für Windkrafta­nlagen vorbehalte­n sein soll. „Das wird kommen“, sagte Ramelow. Im Freistaat liege der Anteil derzeit lediglich bei 0,4 Prozent. Voigt sagte, auch seine Fraktion setze auf den Ausbau erneuerbar­er

Energien, habe aber auch die Interessen Betroffene­r im Blick.

CDU und FDP haben in Thüringen bereits negative Erfahrunge­n im Umgang mit der AfD gemacht. Am 5. Februar 2020 war der FDPPolitik­er Kemmerich mit Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpr­äsidenten gewählt worden. Die AfD hatte dafür ihren eigenen Kandidaten fallengela­ssen und für Kemmerich votiert. Das Ereignis hatte einen bundesweit­en Sturm der Entrüstung ausgelöst. Kemmerich trat kurzfristi­g zurück.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Im Streit um Windräder in Thüringen – hier hinter Häusern in Heldrungen – bietet Ministerpr­äsident Bodo Ramelow jetzt der CDU Gespräche an.
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FOTO: TSK/DPA Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke).

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