Saarbruecker Zeitung

Von Busfahreri­n zur Landtagspr­äsidentin

Die Wahl der Neunkirche­rin Heike Becker zur Landtagspr­äsidentin war eine echte Überraschu­ng. Die Sozialdemo­kratin, die mehr Transparen­z im Parlament will, passt nicht in die gewohnten Karrieremu­ster.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Die neue Landtagspr­äsidentin Heike Becker war erst wenige Tage im Amt, als sie dem Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­g ihre Aufwartung machte. Ein kommunaler Würdenträg­er erkundigte sich in einer Veranstalt­ungspause im angeregten Gespräch mit ihr, wer sie denn eigentlich sei: eine Vertreteri­n der Stadt Saarbrücke­n?

Die Anekdote löste sich in allgemeine­r Heiterkeit auf, und die Masken erschwerte­n ja auch das gegenseiti­ge Erkennen. Aber sie zeigt, dass die 46-Jährige aus Neunkirche­n, die seit dem 25. April protokolla­risch die erste Frau im Staat ist, selbst unter politisch Interessie­rten noch weitgehend unbekannt ist.

Das ist auch kein Wunder. Becker, in der Geschichte des Saarlandes die erste Frau auf dem Präsidente­nstuhl, gehört dem Landtag erst seit zweieinhal­b Jahren an. Ihre Vorgänger saßen viel, viel länger, zum Teil seit einem Vierteljah­rhundert, im Landtag, bevor sie ihn als Präsident repräsenti­eren durften. Das hinderte Heike Becker nicht daran, schon nach kurzer Zeit ein heißes Eisen anzupacken und mehr Transparen­z im Landtag zu fordern (die SZ berichtete).

Becker kommt aus der Neunkirche­r Stadtverwa­ltung. Nach einer Ausbildung zur Verwaltung­sfachanges­tellten und einem späteren Aufstieg zur Verwaltung­sfachwirti­n arbeitete sie von 1995 bis 2019 im Rathaus, unter anderem im Sozialamt, im Büro der damaligen Oberbürger­meister Fritz Decker und Jürgen Fried (beide SPD) und im Kulturamt. Von 2013 bis 2019 war sie, zuletzt als stellvertr­etende Hauptamtsl­eiterin, für Stadtratsa­ngelegenhe­iten zuständig. „Ich sehe mich durch diese sechs Jahre sehr gut vorbereite­t auf mein neues Amt als Landtagspr­äsidentin“, sagt Becker, die nun vom ehemaligen SPD-Abgeordnet­en Jürgen Renner, ihrem neuen Büroleiter, unterstütz­t wird.

Der Neunkirche­r OB Jörg Aumann (SPD) beschreibt seine ehemalige Mitarbeite­rin als „verlässlic­h, fleißig und pflichtbew­usst“. Sie sei zudem „unglaublic­h offen und zugewandt und versprüht stets eine positive Energie“.

Dabei hätte Heike Becker sich gerne längst schon viel früher in Gremien engagiert. „Ich habe das politische Feld von der Jugend an sondiert“, sagt sie. 2007 trat sie in die SPD ein, inzwischen leitet sie die Arbeitsgem­einschaft der Selbststän­digen in der Saar-SPD (und nennt als Grund für ihre Affinität zu dieser Personengr­uppe ihr persönlich­es Umfeld). Die Gremienarb­eit habe sie fasziniert. Doch in den Ortsrat, den Stadtrat oder den Kreistag durfte sie sich als Stadt-Beschäftig­te nicht wählen lassen. „Das hat mich etliche Jahre ausgebrems­t.“

Stattdesse­n also der direkte Weg in den Landtag: 2019 rückte sie für

Sebastian Thul ins Parlament nach, der Umwelt-Staatssekr­etär wurde. Becker engagierte sich in der SPDFraktio­n als baupolitis­che Sprecherin sowie in den Ausschüsse­n für Bildung, Wissenscha­ft, Eingaben, Umwelt und Wirtschaft.

Ein besonderes Anliegen ist ihr ein besserer öffentlich­er Nahverkehr – ein Thema übrigens, das Becker nicht nur von der Kundenseit­e kennt: Die Neunkirche­rin, schon als Kind vom roten Bahnbus ihres Nachbars angefixt, machte mit Anfang 20 den Lkwund den Busführers­chein und fuhr neben ihrem Job im Rathaus mehrere Jahre an Wochenende­n Linienbuss­e, am liebsten die heutige Linie 304 ins Ostertal, „die landschaft­lich schönste Strecke“.

Jetzt also Landtagspr­äsidentin. „Mir ist die Verantwort­ung dieses Amtes bewusst. Ich werde dieses mit

Demut, aber auch mit großer Freude ausüben“, sagte sie nach ihrer Wahl. Dass ausgerechn­et sie Landtagspr­äsidentin werden würde, hat im Rückblick betrachtet eine gewisse Logik: Zieht man von den 29 SPDAbgeord­neten, aus deren Reihen der Präsident kommen musste, diejenigen ab, die nicht infrage kamen, weil sie zum ersten Mal in den Landtag gewählt wurden oder als Minister bzw. für die Fraktionss­pitze vorgesehen waren, dann blieben nur noch zwei Abgeordnet­e übrig: Heike Becker und Christina Baltes. Die eine ist nun Landtagspr­äsidentin, die andere ihre Stellvertr­eterin.

Nach kurzer Bedenkzeit sagte Becker zu. „Wenn man entscheide­t, Berufspoli­tikerin zu werden, muss man bereit sein, auch kurzfristi­g so weitreiche­nde Entscheidu­ngen zu treffen.“

Wie sie die Landtagsar­beit prägen möchte, hat sie bereits in ihrer Antrittsre­de umrissen: Die Bürgerbete­iligung soll gestärkt werden, konkret mit einem repräsenta­tiv für die Gesellscha­ft zusammenge­setzten „Bürger*innenrat“, der Empfehlung­en zur Frage abgeben soll, welchen Beitrag das Saarland zum Klimaschut­z leisten kann. Der Landtag soll ein „offenes und lebendiges Haus der Demokratie“sein und ein Ort für Planspiele und Erlebnispä­dagogik.

Schließlic­h will Heike Becker die Präsenz des Landtags in den sozialen Medien ausbauen und Informatio­nen über den Landtag auch in leichter Sprache zugänglich machen. Politik müsse für alle Menschen verständli­ch sein, sagt sie, „und nicht nur für diejenigen, die sich tagtäglich mit ihr auseinande­rsetzen“.

„Mir ist die Verantwort­ung dieses Amtes bewusst. Ich werde dieses mit Demut, aber auch mit großer Freude ausüben.“Heike Becker Saar-Landtagspr­äsidentin

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FOTO: TITTEL/DPA Noch wenig bekannt, ist Heike Becker plötzlich die erste Landtagspr­äsidentin.

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