Großkotz, Umweltsau – und dennoch sehenswert
„ Jedermann.Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde“im Europäischen Kulturpark ist eine moderne und unterhaltsame Allegorien-Fabel über das große Ganze.
SAARBRÜCKEN Pah. Was ist schon die Salzburger Domtreppe gegen eine Freilichtbühne inmitten der sanften grünen Hügel des Bliesgaus? Gut, die Österreicher haben die Star-besetzte Festspieltradition, dafür hat das Saarland jetzt einen „Jedermann“beziehungsweise einen „Monsieur tout le monde“, der sich grenzüberschreitend Deutsch-Französisch verständlich macht. Und in Sachen Empörungspotenzial kann die am Samstag uraufgeführte Fassung des Saarländischen Staatstheaters (SST) locker mit der letztjährigen Salzburger Version konkurrieren: Wer sich partout darüber aufregen möchte, dass die Buhlschaft kurze Haare hat – bitte, da kann Verena Bukal mit ihrer Namensvetterin Verena Altenberger mithalten.
Aber schließlich präsentiert das SST (in Kooperation mit der Möglichmacherei/Kultur+ des SaarpfalzKreises, der Stiftung Europäischer Kulturpark, der HBK Saar sowie der
Ville de Sarreguemines und gefördert vom Deutsch-Französischen Bürgerfonds) auch kein verstaubtes, mittelalterliches Mysteriendrama: Im Europäischen Kulturpark hat Regisseurin Bettina Bruinier das Spiel vom Sterben des reichen Mannes als moderne und unterhaltsame Allegorien-Fabel inszeniert, in der es weniger um christliche Buße und Seelenheil, sondern ums große Ganze geht. Stichwort Klimawandel: Wie viel Zeit wollen wir uns noch lassen, um unser Konsumverhalten zu ändern? Für diesen dritten Teil der SST-„Saarland-Saga“wurden die Verse Hugo von Hofmannsthals entsprechend umgedichtet (Dramaturgie: Simone Kranz), während das Ensemble in Mehrfachrollen das Areal vor der Tribüne weiträumig bespielt.
Jedermann, von Fabian Gröver artgerecht als skrupelloser Großkotz angelegt, scheffelt hier als Großindustrieller Kies. Und zwar bergeweise, der großen Sandgrube nach zu urteilen, wo etliche Champagnerflaschen kalt liegen – im Magnum-Format, versteht sich. Daneben gibt ein auf Marmor-Terrassen errichteter Bilderrahmen, quasi das sich stimmig ins archäologische Ambiente einfügende steinerne Fragment einer volkstheaterlichen Guckkasten-Bühne (Szenografie: Mareile Krettek), den Blick frei auf die herrliche Landschaft, die Jedermann gern verschandeln würde. Denn der Kerl ist eine Umweltsau; ein „Naturzerstörer“, der seinen im Chor bittstellenden armen Nachbarn, denen Kostümbildnerin Justina Klimczyk Genre-typische, aber grotesk große Masken verpasst hat, unbarmherzig das Wasser abgräbt. Am liebsten würde er für sein Fest, wo eine dekadente Party-Gesellschaft zu tumben Techno-Beats beim „Tanz auf dem Vulkan“ignorant vor sich hin zuckt, alles zubetonieren. Motto: „Streicht die Naturschutzreservate / für unsre Feier von der Karte / planiert das Feld, reißt alles ein / wo Bliesgau war, soll Dance-Floor sein!“Dass im Hintergrund kurioserweise tatsächlich mehrere Baukräne in den Himmel ragen, fügt sich thematisch wie visuell bestens ein.
Jedenfalls: Wo ließe sich besser darüber nachsinnen, wie das letzte Stündlein zu nutzen wäre, als an diesem Spielort, wo ansonsten alles demonstrativ Vergänglichkeit atmet? Die Guten Werke (Emilie Haus) machen sich zu Jedermanns Fürsprecher – allein, der Kerl ist beratungsresistent. Statt Verantwortung zu übernehmen, amüsiert er sich lieber, den Hintern dreist entblößt, mit seiner Buhle in der Wiese.
Da müssen die genervten Götter (Gaby Pochert, Sébastien Jacobi) schwere Geschütze auffahren, um den Mann zur Räson zu bringen – nachhaltige Töne, starke Bilder. Doch weder das schaurige Scheppern der Schaufel des Totengräbers (Alois Neu) auf dem von Jedermann angehäuften Schotter noch die mit düsterer Wucht mahnende Musik David Rimsky-Korsakows machen Eindruck auf den zynischen Egozentriker.
Auch die Waldbrände, die sich hier mittels Foto-Zaunbanner und emsiger Nebelmaschine ausbreiten, lassen ihn kalt; ebenso der schwarze Nachen, mit dem der „Chor der nachkommenden Generation“anrückt, um ihn ins Jenseits zu geleiten. Als ihm die Kunst in Form einer Mumie erscheint, kriegt Jedermann immerhin Fracksausen; kapituliert wird jedoch erst, als der schnöde Mammon persönlich sein Geld verbrennt – ein hübscher Akt der Pyrotechnik.
Doch selbst als der Todgeweihte in der sinkenden Abendsonne schon an Bord des Totenschiffs ist, feilscht er geschäftstüchtig weiter. Da hat sich der Teufel ( Jan Hutter) als beleidigter Spielverlierer schon längst auf ein Bier verabschiedet – die Götter, echte Saarfranzosen, gönnen sich einen Crémant.
Weitere Termine: 8., 12., 14., 15., 17. und 18. Juni, jeweils 20 Uhr. Karten, Infos: Telefon (0681) 3092-486, www.staatstheater.saarland