Saarbruecker Zeitung

Großkotz, Umweltsau – und dennoch sehenswert

„ Jedermann.Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde“im Europäisch­en Kulturpark ist eine moderne und unterhalts­ame Allegorien-Fabel über das große Ganze.

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N Pah. Was ist schon die Salzburger Domtreppe gegen eine Freilichtb­ühne inmitten der sanften grünen Hügel des Bliesgaus? Gut, die Österreich­er haben die Star-besetzte Festspielt­radition, dafür hat das Saarland jetzt einen „Jedermann“beziehungs­weise einen „Monsieur tout le monde“, der sich grenzübers­chreitend Deutsch-Französisc­h verständli­ch macht. Und in Sachen Empörungsp­otenzial kann die am Samstag uraufgefüh­rte Fassung des Saarländis­chen Staatsthea­ters (SST) locker mit der letztjähri­gen Salzburger Version konkurrier­en: Wer sich partout darüber aufregen möchte, dass die Buhlschaft kurze Haare hat – bitte, da kann Verena Bukal mit ihrer Namensvett­erin Verena Altenberge­r mithalten.

Aber schließlic­h präsentier­t das SST (in Kooperatio­n mit der Möglichmac­herei/Kultur+ des SaarpfalzK­reises, der Stiftung Europäisch­er Kulturpark, der HBK Saar sowie der

Ville de Sarreguemi­nes und gefördert vom Deutsch-Französisc­hen Bürgerfond­s) auch kein verstaubte­s, mittelalte­rliches Mysteriend­rama: Im Europäisch­en Kulturpark hat Regisseuri­n Bettina Bruinier das Spiel vom Sterben des reichen Mannes als moderne und unterhalts­ame Allegorien-Fabel inszeniert, in der es weniger um christlich­e Buße und Seelenheil, sondern ums große Ganze geht. Stichwort Klimawande­l: Wie viel Zeit wollen wir uns noch lassen, um unser Konsumverh­alten zu ändern? Für diesen dritten Teil der SST-„Saarland-Saga“wurden die Verse Hugo von Hofmannsth­als entspreche­nd umgedichte­t (Dramaturgi­e: Simone Kranz), während das Ensemble in Mehrfachro­llen das Areal vor der Tribüne weiträumig bespielt.

Jedermann, von Fabian Gröver artgerecht als skrupellos­er Großkotz angelegt, scheffelt hier als Großindust­rieller Kies. Und zwar bergeweise, der großen Sandgrube nach zu urteilen, wo etliche Champagner­flaschen kalt liegen – im Magnum-Format, versteht sich. Daneben gibt ein auf Marmor-Terrassen errichtete­r Bilderrahm­en, quasi das sich stimmig ins archäologi­sche Ambiente einfügende steinerne Fragment einer volkstheat­erlichen Guckkasten-Bühne (Szenografi­e: Mareile Krettek), den Blick frei auf die herrliche Landschaft, die Jedermann gern verschande­ln würde. Denn der Kerl ist eine Umweltsau; ein „Naturzerst­örer“, der seinen im Chor bittstelle­nden armen Nachbarn, denen Kostümbild­nerin Justina Klimczyk Genre-typische, aber grotesk große Masken verpasst hat, unbarmherz­ig das Wasser abgräbt. Am liebsten würde er für sein Fest, wo eine dekadente Party-Gesellscha­ft zu tumben Techno-Beats beim „Tanz auf dem Vulkan“ignorant vor sich hin zuckt, alles zubetonier­en. Motto: „Streicht die Naturschut­zreservate / für unsre Feier von der Karte / planiert das Feld, reißt alles ein / wo Bliesgau war, soll Dance-Floor sein!“Dass im Hintergrun­d kurioserwe­ise tatsächlic­h mehrere Baukräne in den Himmel ragen, fügt sich thematisch wie visuell bestens ein.

Jedenfalls: Wo ließe sich besser darüber nachsinnen, wie das letzte Stündlein zu nutzen wäre, als an diesem Spielort, wo ansonsten alles demonstrat­iv Vergänglic­hkeit atmet? Die Guten Werke (Emilie Haus) machen sich zu Jedermanns Fürspreche­r – allein, der Kerl ist beratungsr­esistent. Statt Verantwort­ung zu übernehmen, amüsiert er sich lieber, den Hintern dreist entblößt, mit seiner Buhle in der Wiese.

Da müssen die genervten Götter (Gaby Pochert, Sébastien Jacobi) schwere Geschütze auffahren, um den Mann zur Räson zu bringen – nachhaltig­e Töne, starke Bilder. Doch weder das schaurige Scheppern der Schaufel des Totengräbe­rs (Alois Neu) auf dem von Jedermann angehäufte­n Schotter noch die mit düsterer Wucht mahnende Musik David Rimsky-Korsakows machen Eindruck auf den zynischen Egozentrik­er.

Auch die Waldbrände, die sich hier mittels Foto-Zaunbanner und emsiger Nebelmasch­ine ausbreiten, lassen ihn kalt; ebenso der schwarze Nachen, mit dem der „Chor der nachkommen­den Generation“anrückt, um ihn ins Jenseits zu geleiten. Als ihm die Kunst in Form einer Mumie erscheint, kriegt Jedermann immerhin Fracksause­n; kapitulier­t wird jedoch erst, als der schnöde Mammon persönlich sein Geld verbrennt – ein hübscher Akt der Pyrotechni­k.

Doch selbst als der Todgeweiht­e in der sinkenden Abendsonne schon an Bord des Totenschif­fs ist, feilscht er geschäftst­üchtig weiter. Da hat sich der Teufel ( Jan Hutter) als beleidigte­r Spielverli­erer schon längst auf ein Bier verabschie­det – die Götter, echte Saarfranzo­sen, gönnen sich einen Crémant.

Weitere Termine: 8., 12., 14., 15., 17. und 18. Juni, jeweils 20 Uhr. Karten, Infos: Telefon (0681) 3092-486, www.staatsthea­ter.saarland

 ?? FOTO: KRÄMER ?? Hauptsache Kies scheffeln und Champagner im Riesenform­at: Jedermann (Fabian Gröver, blauer Anzug) auf der Freilichtb­ühne des Europäisch­en Kulturpark­s Reinheim.
FOTO: KRÄMER Hauptsache Kies scheffeln und Champagner im Riesenform­at: Jedermann (Fabian Gröver, blauer Anzug) auf der Freilichtb­ühne des Europäisch­en Kulturpark­s Reinheim.

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