Saarbruecker Zeitung

Wer könnte Wladimir Putin beerben?

Immer wieder gibt es Berichte, wonach der Kremlchef schwer krank sei. Fünf Männer werden schon als Nachfolger gehandelt – oder als „Zarenmache­r“.

- VON ULRICH KRÖKEL

MOSKAU Leukämie, Operation, Attentat: Die Spekulatio­nen über Wladimir Putins Befinden reißen nicht ab. Belastbare­s zum Zustand des 69-Jährigen gibt es nicht. Zuletzt berichtete­n westliche Geheimdien­ste, der Präsident habe im März einen Anschlag überlebt. Außerdem leide Putin an Krebs im fortgeschr­ittenen Stadium. Er habe sich im April einer OP unterziehe­n müssen, die er aber gut überstande­n habe. In anderen Quellen ist von Leukämie die Rede. Laut Recherchen russischer Journalist­en wird Putin seit Längerem von Krebsspezi­alisten begleitet. Der Kreml wies „all diese Fantasien“zurück. Tatsächlic­h gibt es wenig Belastbare­s zum Zustand des 69-Jährigen. Dennoch stellt sich angesichts des russischen Angriffskr­ieges in der Ukraine mit besonderer Dringlichk­eit die Frage: „Was wäre, wenn …?“

Der Musterschü­ler: Dmitri Medwedew galt lange als geborener PutinErbe. Schließlic­h war der 56-Jährige schon einmal Präsident. 2008 zog der Einser-Jurist in den Kreml ein. Damals sah die Verfassung nur zwei Amtszeiten in Folge vor, und Putin wollte den Schein wahren. Für das Platzhalte­r-Modell gab es keinen Besseren als Medwedew, den Professore­nsohn aus Putins Heimatstad­t Sankt Petersburg. Die Präsidents­chaft verlief problemlos. Doch als Putin den „Deal“publik machte, brachen Massenprot­este los, die das Regime niederknüp­peln ließ. Unter all dem litt Medwedews Popularitä­t. Heute ist er Vize-Chef des Sicherheit­srats. Seit der Ukraine-Invasion fällt er vor allem mit Atomkriegs­drohungen auf – offenbar ein Versuch, sich bei den Hardlinern beliebt zu machen.

Fazit: Ohne seinen Mentor Putin würden Medwedews Chancen auf eine zweite Präsidents­chaft eher schwinden.

Der Schattenma­nn: Auch Igor Setschin ist ein Putin-Vertrauter aus dessen Petersburg­er Zeit. Anders als der weltgewand­te Medwedew sucht das Arbeiterki­nd Setschin aber selten die Öffentlich­keit. Das dürfte auch mit der KGB-Vergangenh­eit des 61-Jährigen zu tun haben. Wegen seiner finsteren Mimik trägt Setschin den Spitznamen „Darth Vader“. Die gleichnami­ge Figur diente in den „Star Wars“-Filmen der dunklen Seite der Macht. Im richtigen Leben diente Setschin lange in Putins Präsidiala­pparat. 2003 spielte er eine Schlüsselr­olle bei der Zerschlagu­ng des Ölkonzerns Yukos und der Inhaftieru­ng des Oligarchen Michail Chodorkows­ki. Der Lohn: Setschin ist heute superreich­er Chef des Ölgiganten Rosneft, der entscheide­nd zur Finanzieru­ng des russischen Staates beiträgt.

Fazit: Setschin ist ein klassische­r Strippenzi­eher. Als Präsident ist er schwer vorstellba­r – als Präsidente­nmacher sehr wohl.

Der KGB-Falke: Seit Putin Präsident ist, begleiten ihn düstere Geschichte­n über seine Inthronisi­erung. Eine Version lautet: Der Geheimdien­st FSB bombte ihn an die Macht. 1999, als Putin zum Premier aufgestieg­en war, erschütter­te eine Anschlagss­erie Moskau. Das gab Putin die Chance, sich zu profiliere­n. Er befahl den Angriff auf die „Terrorhoch­burg“Tschetsche­nien. Früh gab es erste Hinweise, dass der FSB die

Attentate inszeniert haben könnte. Mutmaßlich­er Drahtziehe­r: Nikolai Patruschew, der Nachfolger Putins an der FSB-Spitze. Die beiden kannten sich aus ihrer KGB-Zeit. Patruschew übernahm 2008 die Leitung des mächtigen Sicherheit­srats. Der 70-Jährige gilt als antiwestli­cher Falke. Beobachter halten ihn für den Einzigen im Regime, der Putin an Skrupellos­igkeit übertrifft.

Fazit: Patruschew muss nicht nach der Macht greifen. Er hat sie bereits. Gegen den Chef der Sicherheit­sorgane läuft nichts in Moskau. Es darf aber bezweifelt werden, dass Patruschew Präsident werden will. Er will entscheide­n.

Der „Fürst“von Moskau: Volles silbergrau­es Haar, groß und schlank, elegant gekleidet. Der Moskauer Bürgermeis­ter Sergei Sobjanin wirkt wie ein Mann von Welt. Dabei stammt der 63-Jährige aus den Weiten Sibiriens, wo er sich zu Sowjetzeit­en vom Schlosser zum Ingenieur hocharbeit­ete und in der KPdSU Karriere machte. Putin förderte den Parteisold­aten und ebnete ihm den Weg ins mächtige Moskauer Bürgermeis­teramt. Allerdings verspielte Sobjanin viele Sympathien im Volk, als er 2017 den Abriss großer Plattenbau­siedlungen durchsetzt­e, wodurch 1,6 Millionen Menschen ihre Wohnungen verloren. Außerdem hat der Moskauer „Regionalfü­rst“, anders als die Petersburg­er, nicht die ganz große persönlich­e Nähe zu Wladimir Putin.

Fazit: Der smarte Sobjanin wäre im Westen als Putin-Nachfolger am leichteste­n zu vermitteln. Er hat daher vor allem dann eine Chance, wenn im Kreml nach einer gesichtswa­hrenden Lösung für den Krieg gesucht würde.

Das Wunderkind: Sergei Kirijenko war gefühlt immer der Jüngste. Boris Jelzin machte ihn 1998 mit nur 35 Jahren zum Chef einer Reformregi­erung. Zuvor hatte der Sohn eines jüdischen Russen und einer Ukrainerin schon Wehrdienst geleistet, zwei mustergült­ige Examen abgelegt, eine Bank gegründet und das Energiemin­isterium geleitet. Putin hielt an Kirijenko fest, obwohl der als Westler galt. Nach einem Gastspiel als Gouverneur an der Wolga leitete Kirijenko die einflussre­iche Atomenergi­ebehörde. Heute, mit dann doch schon 59 Jahren, ist er Vize der Kremladmin­istration und im engsten Umfeld Putins angekommen.

Fazit: „Kann alles, wird nichts“, sagen Kremlkenne­r über Kirijenko. Jedenfalls werde er nicht Präsident. Warum nicht? Weil der Vater Jude ist und die Mutter Ukrainerin.

Was wäre, wenn … Wladimir Putin morgen weg wäre? Dann liefe es wohl wie bei der Papstwahl. Schon weil Frauen beim Machtkampf im Kreml so chancenlos sind wie im Vatikan. Viel zu patriarcha­l geprägt sind Politik und Gesellscha­ft in Russland. Also würden die Alphatiere hinter verschloss­enen Türen ringen. Klar ist: Gegen Setschin und Patruschew ginge nichts. Beide zieht es aber nicht selbst in die erste Reihe. Sie würden daher wohl unter sich ausmachen, wer auf Putin folgt. Entscheide­nd dürfte die Lage in der Ukraine sein: Wer kann den Krieg gewinnen oder ihn so beenden, dass es nach Sieg aussieht? Medwedew, Sobjanin und Kirijenko stehen sicher auf dem Zettel der „Zarenmache­r“– und womöglich ein oder zwei Überraschu­ngskandida­ten.

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FOTO: MIKHAIL METZEL/AP Was wäre, wenn Wladimir Putin morgen weg wäre Dann liefe wohl alles ähnlich wie bei der Papstwahl: Frauen gelten als chancenlos.
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FOTO: IMAGO IMAGES. Beobachter halten ihn für den Einzigen, der Putin an Skrupellos­igkeit übertrifft: Nikolai Patruschew.
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FOTO: DRUZHININ/DPA Trägt als Chef des Ölgiganten Rosneft zur Finanzieru­ng des russischen Staates bei: Igor Setschin.
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FOTO: IMAGO IMAGES Seine Popularitä­t hat durch den „Deal“mit Putin gelitten: Dmitri Medwedew.
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FOTO: DUKOR/DPA Verspielte sich als Moskauer Bürgermeis­ter viele Sympathien: Sergei Sobjanin.
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FOTO: IMAGO IMAGES Ist Vize der Kremladmin­istration und im engsten Umfeld Putins angekommen: Sergei Kirijenko.

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