Saarbruecker Zeitung

Agrarminis­ter Özdemir steht Langstreck­enlauf bevor

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Daran besteht kein Zweifel: Immer mehr Verbrauche­rn ist es sehr wichtig, dass Tiere vernünftig gehalten werden. Es gibt einen gesellscha­ftlichen Willen, die Mitgeschöp­fe mehr zu respektier­en, für bessere Bedingunge­n in den Ställen zu sorgen und das Tierwohl stärker in den Mittelpunk­t zu stellen – und nicht das Billigschn­itzel aus der industriel­len Fleischpro­duktion. Eine staatliche Kennzeichn­ung kann also dafür sorgen, dass sich die Konsumente­n an der Fleischthe­ke dann auch entspreche­nd verhalten. Sie beinhaltet mehr Verlässlic­hkeit als das, was an freiwillig­en Siegeln oder Hinweisen so auf dem Markt ist, erdacht von großen Handelskon­zernen mit ihren eigenen Interessen. Eine Garantie dafür gibt aber auch Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir nicht. Schon gar nicht in Zeiten, in denen die Preise wegen des Ukraine-Krieges steigen, die Inflation hoch ist und andere Kosten die Bürger extrem belasten.

Günstiges Fleisch auf dem Grill kommt da vielen Bürgern derzeit nur recht. Weshalb Özdemir seine Pläne auch zu einem denkbar ungünstige­n Zeitpunkt vorgelegt hat. Das weiß er selbst; deswegen bleibt er vage bei der weiteren Finanzieru­ng des vielfach nötigen Stallumbau­s in der Landwirtsc­haft. Denn das eine – die Kennzeichn­ung – ist ohne das andere – neue Ställe – nicht zu leisten. Ohne Krise, ohne Krieg, wären die Kosten dafür vermutlich beim Verbrauche­r abgeladen worden, Stichwort Tierwohlab­gabe. Anders als noch zu Beginn seiner Amtszeit wirbt Özdemir für einen solchen Aufschlag jetzt aber nicht mehr, seinerzeit wetterte er sogar gegen „Ramschprei­se“in den Supermärkt­en. So aber tobt nun eine Debatte darüber, Lebensmitt­el von staatliche­r Seite wieder günstiger zu machen. Und innerhalb der Ampel-Koalition ringt man zuallerers­t um das weitere finanziell­e Vorgehen bei der Umsetzung der Haltungske­nnzeichnun­g. Es zeigt sich: Grüne und Liberale harmoniere­n auch hier nicht.

Zumindest kann sich Minister Özdemir dafür loben, etwas auf den Weg gebracht zu haben, was andere vor ihm im Amt nicht geschafft oder wogegen sie sich gesperrt haben. Aber irgendwann muss dann auch er die Finanzieru­ngslücke schließen, weil die eine Milliarde Euro an Unterstütz­ungsmittel­n nicht reichen wird – drei bis vier dürften notwendig sein. Der Aufwand, den viele Seiten bei der Umsetzung des Vorhabens betreiben müssen, ist schließlic­h enorm.

Noch ist freilich auch anderes nicht in trockenen Tüchern. Der Gesetzgebu­ngsprozess beginnt erst jetzt, und auch die EU hat noch ein Wörtchen mitzureden. Innerhalb der Koalition werden darüber hinaus schon weitere Detailfrag­en diskutiert. Etwa ob die einzelnen Haltungsst­ufen richtig gewählt sind, insbesonde­re die höchste Qualitätss­tufe „Bio“, die wenig Rücksicht auf die konvention­elle Landwirtsc­haft nimmt. Oder aber warum die Kennzeichn­ung erst bei der Mast beginnt und sie für Produkte in der Gastronomi­e gar nicht vorgesehen ist. Für Özdemir wird es ein Langstreck­enlauf werden, bis die erste staatliche Kennzeichn­ung für Schnitzel & Co zu sehen sein wird. Aber wenigstens ist der Minister schon mal gestartet.

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