Akrobaten turnen durch die Schreckens-Show
Spitzentricks des Genres in hoher Perfektion, getragen von einer rockigen Choreographie und viel Augenzwinkern plus Grusel: Der „ Zirkus des Horrors“bot beste Unterhaltung.
SAARBRÜCKEN „Eure Seele gehört jetzt zweieinhalb Stunden dem Teufel“, röhrt es furchteinflößend aus dem Lautsprecher. Mönche in langen braunen Kutten, deren Gesichtern irgendetwas Schlimmes widerfahren ist, geleiten die letzten Gäste zu den nummerierten Gruften. Die Luft könnte man in Scheiben schneiden und eingewickelt im Fan-Shop anbieten. Da peitschen erste Rocksalven durchs Zelt. Spots schießen wilde Lichtbahnen durch den Manegenluftraum, und plötzlich steht da dieser atemberaubende Engel, dessen wallendes weißes Kleid die ganze Manege einhüllt: Willkommen im „Zirkus des Horrors“!
Zwei Wochen lang gastiert das fahrende Volk auf dem Burbacher Festplatz. Am Samstagabend strömten 650 Gruselwillige in die schummrigen Eingeweide des schwarz-rot gestreiften Zelts. Zur Premiere am sind gut drauf, und wer seiner Rolle wegen debil bis dämonisch dreinzuschauen hat, grinst halt nach innen.
Thematisch eingebettet sind die durchweg atemberaubenden Nummern wie Jonglage, Rollschuh-Skating, Schleuderbrett oder Pole-Stange in den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Himmel und Hölle ringen um die Alleinherrschaft über alle Seelen. Den Schlüssel dazu besitzt Eloa (Kelly Joo), die Lichtgestalt vom Anfang, die ihren Häschern mittels Strapaten, also Luftakrobatik-Bändern, in die Kuppel entflieht. Eleganz wechselt mit grimmigem Humor, bis ein heftigst tätowierter Typ samt Arztköfferchen auftaucht: Kurt Späth. Ohne viel Federlesens jagt er sich Spritzen durch Wange und Hals, die Besucherinnen herausziehen dürfen. Mit dem Hammer treibt sich der blutende Freak erst einen Stahlnagel in die Nase, dann mit dem Bohrhammer einen 50 Zentimeter-Meißel in den Hals. Zuschauer werden auf Rollbrettern per durchgestochener Zunge gezogen oder mittels unterm Kehlkopf steckenden Speer geschoben. Zuletzt säbelt sich Späth vermeintlich tief in den Unterarm, Blut wallt nur so heraus. Aber anders als in Berlin kippt niemand bei dem Anblick um. „Die Saarländer sind scheinbar härter im Nehmen“, folgert Pressesprecher Kevin Leppien.
Dafür schreit auch keiner „Hier! Ich“, als Gino Kaselowsky Freiwillige sucht. Mit dem tapsigen Charme eines Berner Sennenhundes rekrutiert der Horrorclown Pärchen und macht sie anschließend per Guillotine oder Pranger zu Singles. Patrick, ein zunächst schüchtern wirkender Zwangsverpflichteter, lässt sich voll auf das Spiel ein und hüpft mit Dämon Johnny Cognetti zum großen Vergnügen aller händchenhaltend von dannen. Dildos sind ein gern
„Die Saarländer sind scheinbar härter im Nehmen.“Kevin Leppien Pressesprecher „Zirkus des Horrors“
genutztes Spaß-Requisit, überhaupt gehört der erotische Kontext zwingend zum Programm. „Wir empfehlen den Besuch ab 14 Jahren, darunter in Begleitung Erwachsener“, kommentiert Leppien den Umstand, dass Kinder, wenngleich nur wenige, anwesend waren. „Es liegt immer im Ermessen der Eltern.“
Um zwei Klassiker handelt es sich bei den Auftritten der Brüder Maik und Siegfried Sperlich im und auf dem rotierenden Todesrad sowie der Balance in sieben Meter Höhe auf dem von Sektflaschen getragenen Stuhlstapel ihres Cousins René Sperlich. Wie soll das bitteschön nach der Pause noch zu steigern sein? Nun, es geht. Etwa mit dem 20 Kilo schweren Cyr-Wheel. Dsa, einer Art einspurigem Rhönrad aus Stahl, in dem Cognetti permanent das Brechen der eigenen Finger riskiert. Oder mit Adele Fame, deren kräftezehrende Strapaten- Abfaller und Haltetricks in einem freihändigen Spagat gipfeln. Optisch aus all dem Leder und Lack herausstechen Maksym Kryvyl, Andrey Perunov, Sergej Sedun und der zarte wie athletische Valeriy Katiushyn in ihren bizarren „Mystery of Ocean“Anzügen. Die vier kurzfristig engagierten Ukrainer beweisen sich als exzellente Handvoltigeund Hand-auf-Hand-Akrobaten.
Nur eines vermisst der Laie an diesem Abend: Sicherheitsvorkehrungen für die Artisten. „Jeder ist für sich selbst verantwortlich“, erklärt Leppien. In der Regel würden Seile oder Ähnliches den Bewegungsablauf stören. Das Paradoxe: „Ohne Sicherung fühlen sie sich sicherer“, da konzentrierter. Und ist ein Künstler nicht hundertprozentig fit, „lässt er gefährliche Tricks in der Show weg“. Beim Finale knattern die „Reiter“der Apokalypse zu Heavy-Metal-Gehämmer auf schweren Harleys in die Manege. Lodernde Peitschen knallen, es wird Feuer gespien, orgiastisch getanzt. Ein Höllenspektakel. Und das Böse? Siegt, unter enthusiastischem Applaus.