Saarbruecker Zeitung

Die Ukraine und der Schultersc­hluss von Straßburg

- VON GREGOR MAYNTZ

STRASSBURG Er genießt es, und er zeigt auch, wie gut es ihm tut. Erst die Zusicherun­g größter europäisch­er Solidaritä­t, dann dieses Bad in der Menge derjenigen, die Vertreter von 450 Millionen Europäern sind. Ruslan Stefantsch­uk, Präsident des ukrainisch­en Parlamente­s, ist an diesem Mittwoch im Straßburge­r Plenarsaal des Europa-Parlamente­s ein gefeierter Gast. Jeder will ihm die Hand schütteln, ein Selfie mit dem Mann, der 100 Tage zuvor noch unter Beschuss in Kiew im Bunker saß und die Europäer bat, sein Land nicht fallen zu lassen. „Heute stehe ich unter Freunden“, sagt der Ukrainer.

Aber Lob hat auch er mitgebrach­t. Ganz besonders für seine europäisch­e Amtskolleg­in Roberta Metsola. Sie sei die Erste gewesen, die es gewagt habe, die Solidaritä­t der EU nach Kiew zu bringen, als dieses noch unter russischem Angriffsfe­uer lag. „Danke für Ihren Mut“, ruft er ihr zu. Und er dankt auch dafür, „dass Sie wissen, dass die Ukraine Europa ist“. Er erinnert an Metsolas Worte in Kiew: „Kämpfen Sie, und Sie werden gewinnen.“Und er fügt hinzu: „Ja, wir kämpfen, wir werden gewinnen, und wir werden das gemeinsam tun.“Metsola hat ihm zuvor erneut den Rücken gestärkt und dabei unterstric­hen: „Frieden ohne Freiheit, Frieden ohne Gerechtigk­eit, das ist kein wirklicher Frieden.“

Stefantsch­uk redet nicht lange drumherum, was der Grund seiner Tour durch europäisch­e Städte und Länder ist: Er will dafür werben, dass der EU-Gipfel in zwei Wochen der Ukraine den Kandidaten­status verleiht. Er versichert den Abgeordnet­en in Straßburg, dass sein Land schnell mit den nötigen Reformen vorankomme­n werde, wenn „dieser Ansporn“komme. Wenn er indes nicht komme, sei dies ein Signal an Putin, genauso weitermach­en zu können. Russland werde auch nicht an den ukrainisch­en Grenzen haltmachen.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen macht klar, dass es auf dem Weg in die EU „keine Abkürzung für die Ukraine“geben werde. Die Bedingunge­n müssten stimmen. „Aber wenn wir gemeinsam die Reformen in der Ukraine schaffen, ist das ein Weg zur EU-Mitgliedsc­haft.“Zu Beginn der Sitzung hat sich bereits der irische Regierungs­chef Micheal Martin für den Kandidaten­status der Ukraine starkgemac­ht, in der Debatte tut es auch EVP-Chef Manfred Weber. Es geht unter der spröden Überschrif­t der „Schlussfol­gerungen des Europäisch­en Rates“um das jüngste Gipfeltref­fen der EU. Von der Leyen und Ratspräsid­ent Charles Michel haben die Sanktionsb­eschlüsse gelobt, doch Weber ist damit ganz und gar nicht zufrieden.

„Europa ist auf dem richtigen Weg“, stellt Weber fest, fährt jedoch fort: „Aber ich frage mich, warum niemand den Namen Viktor Orbáns erwähnt.“Ungarns Ministerpr­äsident habe zu denen gehört, die „wirklich verrückt agiert“hätten beim Gipfel. Wegen Ungarns Veto durchlöche­rte die EU das Sanktionsp­aket gegen russisches Öl, ließ die Pipeline offen, sicherte Ungarn weitere Versorgung zu und strich am Ende auch den Putin-Unterstütz­er Kyrill I., das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, von der Sanktionsl­iste. Weber hatte offenbar seine Begegnunge­n mit Orbán bei CSU-Klausuren in Kloster Seeon vor Augen, als er sagte: „Ich habe schon neben ihm gesessen, es ist schrecklic­h, von ihm erpresst zu werden.“

Weber nimmt das als Überleitun­g zur Forderung des Parlamente­s an den nächsten EU-Gipfel, den Weg zu einem Konvent und zu Änderungen der Abstimmung­sregeln freizumach­en. Mit dem Einstimmig­keitsprinz­ip habe die EU eine Architektu­r, die nicht geeignet sei, die aktuellen Herausford­erungen zu bewältigen.

Nachdrückl­ich lobt der EVP-Chef die Getreide-Initiative von der Leyens. Die Kommission arbeitet daran, die derzeit von Russland blockierte­n 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine freizubeko­mmen. Von Putins Krieg angeheizt, stehe die Welt vor der Gefahr, dass 275 Millionen Menschen ihre Ernährungs­sicherheit riskierten. „Lebensmitt­el sind zu einem Teil des Terrorarse­nals des Kremls geworden“, klagt von der Leyen. Und Michel fügt hinzu: „Russland setzt Nahrungsmi­ttel als Kriegswaff­e ein, stiehlt Getreide, blockiert Häfen und verwandelt Ackerland in Schlachtfe­lder.“Er appelliert­e an die Welt, den Lügen Moskaus nicht zu glauben, wonach die EU-Sanktionen für die Nahrungsmi­ttelknapph­eit verantwort­lich seien. Jedes Schiff mit Lebensmitt­eln sei vom HafenBoyko­tt ausgenomme­n.

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FOTO: BADIAS/AP Gefeierter Mann im Europa-Parlament: Ruslan Stefantsch­uk, Präsident des ukrainisch­en Parlaments.

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