Die Ukraine und der Schulterschluss von Straßburg
STRASSBURG Er genießt es, und er zeigt auch, wie gut es ihm tut. Erst die Zusicherung größter europäischer Solidarität, dann dieses Bad in der Menge derjenigen, die Vertreter von 450 Millionen Europäern sind. Ruslan Stefantschuk, Präsident des ukrainischen Parlamentes, ist an diesem Mittwoch im Straßburger Plenarsaal des Europa-Parlamentes ein gefeierter Gast. Jeder will ihm die Hand schütteln, ein Selfie mit dem Mann, der 100 Tage zuvor noch unter Beschuss in Kiew im Bunker saß und die Europäer bat, sein Land nicht fallen zu lassen. „Heute stehe ich unter Freunden“, sagt der Ukrainer.
Aber Lob hat auch er mitgebracht. Ganz besonders für seine europäische Amtskollegin Roberta Metsola. Sie sei die Erste gewesen, die es gewagt habe, die Solidarität der EU nach Kiew zu bringen, als dieses noch unter russischem Angriffsfeuer lag. „Danke für Ihren Mut“, ruft er ihr zu. Und er dankt auch dafür, „dass Sie wissen, dass die Ukraine Europa ist“. Er erinnert an Metsolas Worte in Kiew: „Kämpfen Sie, und Sie werden gewinnen.“Und er fügt hinzu: „Ja, wir kämpfen, wir werden gewinnen, und wir werden das gemeinsam tun.“Metsola hat ihm zuvor erneut den Rücken gestärkt und dabei unterstrichen: „Frieden ohne Freiheit, Frieden ohne Gerechtigkeit, das ist kein wirklicher Frieden.“
Stefantschuk redet nicht lange drumherum, was der Grund seiner Tour durch europäische Städte und Länder ist: Er will dafür werben, dass der EU-Gipfel in zwei Wochen der Ukraine den Kandidatenstatus verleiht. Er versichert den Abgeordneten in Straßburg, dass sein Land schnell mit den nötigen Reformen vorankommen werde, wenn „dieser Ansporn“komme. Wenn er indes nicht komme, sei dies ein Signal an Putin, genauso weitermachen zu können. Russland werde auch nicht an den ukrainischen Grenzen haltmachen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht klar, dass es auf dem Weg in die EU „keine Abkürzung für die Ukraine“geben werde. Die Bedingungen müssten stimmen. „Aber wenn wir gemeinsam die Reformen in der Ukraine schaffen, ist das ein Weg zur EU-Mitgliedschaft.“Zu Beginn der Sitzung hat sich bereits der irische Regierungschef Micheal Martin für den Kandidatenstatus der Ukraine starkgemacht, in der Debatte tut es auch EVP-Chef Manfred Weber. Es geht unter der spröden Überschrift der „Schlussfolgerungen des Europäischen Rates“um das jüngste Gipfeltreffen der EU. Von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel haben die Sanktionsbeschlüsse gelobt, doch Weber ist damit ganz und gar nicht zufrieden.
„Europa ist auf dem richtigen Weg“, stellt Weber fest, fährt jedoch fort: „Aber ich frage mich, warum niemand den Namen Viktor Orbáns erwähnt.“Ungarns Ministerpräsident habe zu denen gehört, die „wirklich verrückt agiert“hätten beim Gipfel. Wegen Ungarns Veto durchlöcherte die EU das Sanktionspaket gegen russisches Öl, ließ die Pipeline offen, sicherte Ungarn weitere Versorgung zu und strich am Ende auch den Putin-Unterstützer Kyrill I., das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, von der Sanktionsliste. Weber hatte offenbar seine Begegnungen mit Orbán bei CSU-Klausuren in Kloster Seeon vor Augen, als er sagte: „Ich habe schon neben ihm gesessen, es ist schrecklich, von ihm erpresst zu werden.“
Weber nimmt das als Überleitung zur Forderung des Parlamentes an den nächsten EU-Gipfel, den Weg zu einem Konvent und zu Änderungen der Abstimmungsregeln freizumachen. Mit dem Einstimmigkeitsprinzip habe die EU eine Architektur, die nicht geeignet sei, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen.
Nachdrücklich lobt der EVP-Chef die Getreide-Initiative von der Leyens. Die Kommission arbeitet daran, die derzeit von Russland blockierten 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine freizubekommen. Von Putins Krieg angeheizt, stehe die Welt vor der Gefahr, dass 275 Millionen Menschen ihre Ernährungssicherheit riskierten. „Lebensmittel sind zu einem Teil des Terrorarsenals des Kremls geworden“, klagt von der Leyen. Und Michel fügt hinzu: „Russland setzt Nahrungsmittel als Kriegswaffe ein, stiehlt Getreide, blockiert Häfen und verwandelt Ackerland in Schlachtfelder.“Er appellierte an die Welt, den Lügen Moskaus nicht zu glauben, wonach die EU-Sanktionen für die Nahrungsmittelknappheit verantwortlich seien. Jedes Schiff mit Lebensmitteln sei vom HafenBoykott ausgenommen.