Auto rast in Menschenmenge – ein Todesopfer, viele Verletzte
Die Einkaufsmeile nahe der Berliner Gedächtniskirche wird zum Schauplatz eines tödlichen Zwischenfalls, der Erinnerungen an den Anschlag von 2016 weckt.
BERLIN Es ist 10.30 Uhr an diesem Mittwoch, als die ersten Notrufe bei der Berliner Feuerwehr eingehen. Wenige Minuten vorher, berichtet Polizeisprecher Thilo Cablitz, kommt ein silberner Kleinwagen aus Richtung Bahnhof Zoo den Kurfürstendamm mit hoher Geschwindigkeit herunter, auf Höhe Rankestraße fährt ein Mann das Auto auf den Gehweg in eine Fußgängergruppe. Ein Mensch stirbt dabei, bleibt auf der Straße liegen. Der Fahrer rammt eine Säule, rast auf der Fahrbahn über die Tauentzienstraße weiter Richtung Osten und kracht rund 200 Meter weiter in das Schaufenster einer Parfümerie – nachdem er ein Auto touchierte, erneut über einen Gehweg fuhr und Menschen verletzte. Der Renault Clio steht im völlig zerstörten Schaufenster, dort endet die Horrorfahrt.
Die traurige Bilanz bislang: Das Todesopfer ist eine Lehrerin aus dem nordhessischen Bad Arolsen, die mit ihrer Schülergruppe Berlin besuchte. Unter den Verletzten befinden sich zahlreiche Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse. Ein weiterer Lehrer der Gruppe wurde nach derzeitigem Stand schwer verletzt. Insgesamt schweben am Nachmittag noch sechs Menschen in Lebensgefahr, drei weitere sind schwer verletzt, hinzu kommt eine unbekannte Zahl leicht verletzter
Personen.
Und der Fahrer? „Passanten haben ihn festgehalten“, so Polizeisprecher Cablitz. Offenbar hatte der Fahrer versucht, nach dem Einschlag ins Schaufenster zunächst zu fliehen, wie berichtet wird. Bestätigen will das die Polizei am Nachmittag noch nicht. Polizeibeamte, die in der Nähe waren, sollen den
Mann dann sofort festgenommen haben. Der Fahrer soll 29 Jahre alt sein und laut Polizei in Berlin leben. Videos kursieren im Netz von seiner Festnahme. Sie zeigen einen dicklichen Mann mit Glatze in gelbem T-Shirt, Jogginghose, roten Turnschuhen. Er lässt sich anstandslos von Polizisten abführen, in Handschellen mit einer Decke über dem Kopf. Die Polizei prüft, ob es sich um einen Unfall, einen medizinischen Notfall oder um eine vorsätzliche Tat handelt. Die Bild-Zeitung will aus nicht näher genannten Kreisen erfahren haben, dass im Fahrzeug Dokumente mit Bezug auf die Türkei gefunden wurden. Das Auto soll nach dpa-Informationen der älteren Schwester des Fahrers gehören. Er soll der Polizei bereits wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, allerdings nicht in Zusammenhang mit Extremismus. Die Polizei verwies auf laufende Ermittlungen.
Doch die werden angesichts des Orts auch von Emotionen und dunklen Erinnerungen begleitet. Ängste werden wach. „Das ist doch kein Zufall“, sagt ein Passant an einer Absperrung. Die Polizei hält sich aber bewusst bedeckt, Sprecher Cablitz warnt vor Spekulationen zur Motivlage des Fahrers. Denn der Unfallort befindet sich südwestlich von der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in BerlinCharlottenburg. Dort war auf der nordwestlichen Seite des Platzes im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter in einen Weihnachtsmarkt gefahren. Damals starben zwölf Menschen, mehr als 70 wurden verletzt.
Und so wimmelt es nach dem Vorfall an diesem Mittwochvormittag schnell von Einsatzkräften der Polizei und Feuerwehr an der beliebten Einkaufsmeile. Rund 200 Polizisten und Rettungskräfte kümmern sich um die Verletzten, sichern Spuren, vernehmen Zeugen, ermitteln den Hergang des Vorfalls. Ein Rettungshubschrauber landet in der Mitte der Tauentzienstraße, ein Polizeihubschrauber kreist in der Luft, um den Ermittlern einen Überblick von oben zu verschaffen. Die Straßen sind weiträumig abgeriegelt, Polizeiwagen versperren den Blick auf den Tatort.
Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland. In der Nähe befinden sich zum Beispiel der Zoologische Garten, der Bahnhof Zoo und das KaDeWe.
In Berlin weckt der Vorfall aber auch Erinnerungen an den Tod von vier Menschen im Bezirk Mitte im Jahr 2019: Ein Mann war damals mit seinem schweren Wagen von der Invalidenstraße abgekommen. Der SUV überschlug sich und tötete auf dem Gehweg einen Dreijährigen und seine Großmutter sowie zwei Männer. Im Februar 2022 war der Fahrer zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Er war trotz einer Epilepsie-Erkrankung und einer Gehirnoperation einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.