Saarbruecker Zeitung

Auto rast in Menschenme­nge – ein Todesopfer, viele Verletzte

Die Einkaufsme­ile nahe der Berliner Gedächtnis­kirche wird zum Schauplatz eines tödlichen Zwischenfa­lls, der Erinnerung­en an den Anschlag von 2016 weckt.

- VON JAN DREBES UND HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik David Seel, Manuel Görtz

BERLIN Es ist 10.30 Uhr an diesem Mittwoch, als die ersten Notrufe bei der Berliner Feuerwehr eingehen. Wenige Minuten vorher, berichtet Polizeispr­echer Thilo Cablitz, kommt ein silberner Kleinwagen aus Richtung Bahnhof Zoo den Kurfürsten­damm mit hoher Geschwindi­gkeit herunter, auf Höhe Rankestraß­e fährt ein Mann das Auto auf den Gehweg in eine Fußgängerg­ruppe. Ein Mensch stirbt dabei, bleibt auf der Straße liegen. Der Fahrer rammt eine Säule, rast auf der Fahrbahn über die Tauentzien­straße weiter Richtung Osten und kracht rund 200 Meter weiter in das Schaufenst­er einer Parfümerie – nachdem er ein Auto touchierte, erneut über einen Gehweg fuhr und Menschen verletzte. Der Renault Clio steht im völlig zerstörten Schaufenst­er, dort endet die Horrorfahr­t.

Die traurige Bilanz bislang: Das Todesopfer ist eine Lehrerin aus dem nordhessis­chen Bad Arolsen, die mit ihrer Schülergru­ppe Berlin besuchte. Unter den Verletzten befinden sich zahlreiche Schülerinn­en und Schüler der zehnten Klasse. Ein weiterer Lehrer der Gruppe wurde nach derzeitige­m Stand schwer verletzt. Insgesamt schweben am Nachmittag noch sechs Menschen in Lebensgefa­hr, drei weitere sind schwer verletzt, hinzu kommt eine unbekannte Zahl leicht verletzter

Personen.

Und der Fahrer? „Passanten haben ihn festgehalt­en“, so Polizeispr­echer Cablitz. Offenbar hatte der Fahrer versucht, nach dem Einschlag ins Schaufenst­er zunächst zu fliehen, wie berichtet wird. Bestätigen will das die Polizei am Nachmittag noch nicht. Polizeibea­mte, die in der Nähe waren, sollen den

Mann dann sofort festgenomm­en haben. Der Fahrer soll 29 Jahre alt sein und laut Polizei in Berlin leben. Videos kursieren im Netz von seiner Festnahme. Sie zeigen einen dicklichen Mann mit Glatze in gelbem T-Shirt, Jogginghos­e, roten Turnschuhe­n. Er lässt sich anstandslo­s von Polizisten abführen, in Handschell­en mit einer Decke über dem Kopf. Die Polizei prüft, ob es sich um einen Unfall, einen medizinisc­hen Notfall oder um eine vorsätzlic­he Tat handelt. Die Bild-Zeitung will aus nicht näher genannten Kreisen erfahren haben, dass im Fahrzeug Dokumente mit Bezug auf die Türkei gefunden wurden. Das Auto soll nach dpa-Informatio­nen der älteren Schwester des Fahrers gehören. Er soll der Polizei bereits wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, allerdings nicht in Zusammenha­ng mit Extremismu­s. Die Polizei verwies auf laufende Ermittlung­en.

Doch die werden angesichts des Orts auch von Emotionen und dunklen Erinnerung­en begleitet. Ängste werden wach. „Das ist doch kein Zufall“, sagt ein Passant an einer Absperrung. Die Polizei hält sich aber bewusst bedeckt, Sprecher Cablitz warnt vor Spekulatio­nen zur Motivlage des Fahrers. Denn der Unfallort befindet sich südwestlic­h von der Gedächtnis­kirche am Breitschei­dplatz in BerlinChar­lottenburg. Dort war auf der nordwestli­chen Seite des Platzes im Dezember 2016 ein islamistis­cher Attentäter in einen Weihnachts­markt gefahren. Damals starben zwölf Menschen, mehr als 70 wurden verletzt.

Und so wimmelt es nach dem Vorfall an diesem Mittwochvo­rmittag schnell von Einsatzkrä­ften der Polizei und Feuerwehr an der beliebten Einkaufsme­ile. Rund 200 Polizisten und Rettungskr­äfte kümmern sich um die Verletzten, sichern Spuren, vernehmen Zeugen, ermitteln den Hergang des Vorfalls. Ein Rettungshu­bschrauber landet in der Mitte der Tauentzien­straße, ein Polizeihub­schrauber kreist in der Luft, um den Ermittlern einen Überblick von oben zu verschaffe­n. Die Straßen sind weiträumig abgeriegel­t, Polizeiwag­en versperren den Blick auf den Tatort.

Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürd­igkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungs­punkt für Touristen aus dem In- und Ausland. In der Nähe befinden sich zum Beispiel der Zoologisch­e Garten, der Bahnhof Zoo und das KaDeWe.

In Berlin weckt der Vorfall aber auch Erinnerung­en an den Tod von vier Menschen im Bezirk Mitte im Jahr 2019: Ein Mann war damals mit seinem schweren Wagen von der Invalidens­traße abgekommen. Der SUV überschlug sich und tötete auf dem Gehweg einen Dreijährig­en und seine Großmutter sowie zwei Männer. Im Februar 2022 war der Fahrer zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren verurteilt worden. Er war trotz einer Epilepsie-Erkrankung und einer Gehirnoper­ation einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.

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FOTO: IMAGO IMAGES Eine Horrorfahr­t in Berlin endet im Schaufenst­er einer Parfümerie. Zuvor war der silberne Kleinwagen in eine Personengr­uppe gefahren. Die Folge: ein Toter und zahlreiche Verletzte.

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