Saarbruecker Zeitung

Der Gipfel und der düpierte Gastgeber Biden

Erstmals nach vielen Jahren richten die USA wieder einen Gipfel für die Länder aus Nord-, Mittel- und Südamerika aus. Doch der startet denkbar holprig.

- VON DENIS DÜTTMANN UND CHRISTIANE JACKE

LOS ANGELES/WASHINGTON (dpa) Beim IX. Gipfel der Organisati­on Amerikanis­cher Staaten (OAS) in Los Angeles, der noch bis zum kommenden Freitag läuft, sollen eigentlich die großen Fragen der Region verhandelt werden: Migration, Klimawande­l, wirtschaft­liche Erholung nach der Corona-Pandemie, Kooperatio­n im Gesundheit­ssektor. Doch der Fokus liegt seit Wochen auf einer anderen Frage: Wer kommt überhaupt zum Amerika-Gipfel und wer nicht? Eine Serie von Absagen beschert Gastgeber US-Präsident Joe Biden einen unschönen Start seiner neuen Lateinamer­ika-Bemühungen.

Die Einladungs­liste für den Gipfel ist seit Wochen ein Politikum. Die Biden-Regierung wollte bei dem Treffen nur demokratis­ch gewählte Staats- und Regierungs­chefs dabei haben und lud die autoritär geführten Länder Kuba, Venezuela und Nicaragua nicht ein. Präsidente­n mehrerer anderer Staaten kritisiert­en das als amerikanis­che Arroganz und sagten ihre Teilnahme ab. Am Ende fehlen nun die Staats- und Regierungs­chefs von Mexiko, Honduras, El Salvador, Guatemala, Bolivien, Uruguay und zwei kleinen Karibiksta­aten. Besonders die Absage von Mexikos linksnatio­nalistisch­em Staatschef Andrés Manuel López Obrador ist schmerzlic­h für den US-Präsidente­n. Mexiko, aber auch

Honduras, Guatemala und El Salvador sind besonders relevant beim gewichtige­n Thema Migration, das Biden unter Kontrolle bringen muss.

„Viele lateinamer­ikanische Regierunge­n empfinden Bidens Management der Gästeliste als einen Versuch, die Uhr in die 1990er oder frühen 2000er Jahre zurückzudr­ehen, als Washington noch eindeutig am Kopfende des regionalen Tisches saß“, schreibt Brian Winter in der Zeitschrif­t Americas Quarterly. „Aber diese Zeiten sind natürlich vorbei.“

In immer mehr Ländern der Region wie Brasilien, Chile und Peru hat China die USA als wichtigste­r Handelspar­tner abgelöst. China kauft in großem Stil Rohstoffe ein, investiert in Infrastruk­tur und finanziert Großprojek­te – und das, ohne lästige Bedingunge­n zu Menschenre­chten und Umweltschu­tz zu stellen.

Mittlerwei­le glauben immer weniger Menschen in Lateinamer­ika, dass die Demokratie die beste Regierungs­form ist: Nach Angaben des Meinungsfo­rschungsin­stituts Latinobaro­metro fiel die Zustimmung zur Demokratie zwischen 2010 und 2020 von 63 Prozent auf 49 Prozent. Biden gibt sich als Vorkämpfer der Demokratie­n. Und er will Lateinamer­ika wieder mehr in den Fokus rücken – nachdem sich sein Vorgänger Donald Trump nie für die Länder im Süden interessie­rt hat. Die Corona-Pandemie hat viele soziale Probleme in Lateinamer­ika noch verschärft, der Drogenschm­uggel in die USA sorgt auf den Transportr­outen für Gewalt und Korruption, der Klimawande­l führt zu Naturkatas­trophen und Dürren. Diese Verwerfung­en manifestie­ren sich jetzt in Form von Zehntausen­den Flüchtling­en an der Südgrenze der USA. Das wiederum bringt Biden innenpolit­isch unter Druck. Angesichts von Energie- und Lebensmitt­elknapphei­t wegen des Kriegs in der Ukraine hat Lateinamer­ika aber auch einiges anzubieten: Argentinie­n und Brasilien gehören zu den größten Fleisch- und Getreidepr­oduzenten der Welt, im Dreiländer­eck zwischen Argentinie­n, Chile und Bolivien liegen riesige Lithiumvor­kommen, in Südamerika laufen zahlreiche Projekte zur Produktion von grünem Wasserstof­f.

Unbequeme Fragen muss sich die US-Regierung dazu gefallen lassen, warum sie es mit den Autokraten in Lateinamer­ika so genau nimmt, Biden aber demnächst ein Treffen mit dem saudi-arabischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman erwägt. Die Antwort eines Regierungs­beamten wirkte etwas bemüht: Dies sei ein „Vergleich von Äpfeln und Birnen“.

Mittlerwei­le glauben aber immer weniger Menschen in Lateinamer­ika, dass die Demokratie die beste Regierungs­form ist.

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