Saarbruecker Zeitung

Auf Suche nach Milliarden für Strukturwa­ndel

Das Saarland muss Milliarden in die Infrastruk­tur und in den Wandel der Wirtschaft stecken. Die Arbeitskam­mer schlägt vor, dazu öffentlich­e Unternehme­n zu gründen, die nicht der Schuldenbr­emse unterliege­n. Das Finanzmini­sterium scheint nicht abgeneigt.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Der saarländis­che Finanzmini­ster Jakob von Weizsäcker (SPD) hat seit ein paar Wochen ein Problem weniger. Seitdem die Steuerschä­tzung Mitte Mai ergab, dass das Saarland in den nächsten Jahren mit mehr Geld rechnen kann als bisher angenommen, muss von Weizsäcker im Haushalt für das Jahr 2023, der bald aufgestell­t wird, keine allzu großen Löcher mehr stopfen.

Richtig gut schlafen dürfte er aber immer noch nicht. Denn unbeantwor­tet ist immer noch die Frage, woher die notwendige­n öffentlich­en Mittel für den Wandel der saarländis­chen Wirtschaft hin zur Klimaneutr­alität und die Energiewen­de kommen sollen. Der Ukraine-Krieg lässt es noch dringliche­r erscheinen, die Abhängigke­it von russischen Energie-Importen zu reduzieren.

Allein die energetisc­he Sanierung von Gebäuden wird im Saarland Riesensumm­en verschling­en, von der ökologisch­en Transforma­tion der CO2-intensiven Stahlindus­trie ganz zu schweigen. Das Saarland werde „die notwendige­n Transforma­tionsproje­kte nicht alleine aus den laufenden Einnahmen stemmen können“, sagte von Weizsäcker.

Die Arbeitskam­mer (AK) des Saarlandes hat dieser Tage vorgerechn­et, um welche Summen es gehen könnte. Für die Anpassung an den Klimawande­l müssten das Saarland und seine Kommunen in den nächsten Jahren demnach rund 2,4 Milliarden Euro aufwenden, zum Beispiel für Wasserstof­fnetze, die Umstellung der Stahlprodu­ktion, die energetisc­he Sanierung von Gebäuden und den Ausbau des öffentlich­en Personenna­hverkehrs (ÖPNV) und der Elektro-Mobilität.

Diese Summe käme zu dem aufgelaufe­nen Sanierungs­stau bei der öffentlich­en Infrastruk­tur noch hinzu. Die AK schätzt, dass Land und Kommunen rund fünf Milliarden Euro in Schulen, Kliniken, Wohnungsba­u, Straßen, Kanäle und Breitbanda­usbau stecken müssten. Macht zusammen 7,4 Milliarden Euro. Bei einem seit Jahren auf Kante genähten Landeshaus­halt mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro wäre das nicht zu schaffen, selbst wenn man die Investitio­nen zum Beispiel auf zehn Jahre streckte.

Das saarländis­che Finanzmini­sterium stellt „einen gewissen Investitio­nsstau“gar nicht in Abrede, will die Schätzunge­n der Arbeitskam­mer aber nicht bestätigen. Das Herunterbr­echen bundesweit­er Schätzunge­n auf das Saarland – wie es die Arbeitskam­mer getan hat – berge methodisch­e Risiken. Eine belastbare Quantifizi­erung des Investitio­nsstaus liege nicht vor. „Allerdings bemühen wir uns derzeit um eine zumindest grobe Erfassung“, heißt es im Finanzmini­sterium.

Damit ist die Frage, woher das Geld kommen soll, nicht aus der Welt. Die Arbeitskam­mer unterbreit­et einen neuen Vorschlag, wie das Land die notwendige­n Milliarden­beträge mobilisier­en könnte. Patricia Bauer, Referentin für Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik der Kammer, stellt ihn in einer aktuellen Veröffentl­ichung vor.

Da der Landeshaus­halt über die notwendige­n Spielräume auf absehbare Zeit nicht verfüge, „stellen die Gründung und Ausweitung der Aufgaben öffentlich­er Unternehme­n und Finanzieru­ngsgesells­chaften eine gesetzesko­nforme und öffentlich kontrollie­rbare Alternativ­e dar“, schreibt Bauer. Ihre kreditfina­nzierte Kapitalisi­erung sei „Schuldenbr­emsen-neutral“, also innerhalb der Regeln der Schuldenbr­emse zulässig.

Allerdings müssen dafür nach Einschätzu­ng des Saar-Finanzmini­steriums bestimmte Voraussetz­ungen erfüllt sein. „Soweit solche Unternehme­n betriebswi­rtschaftli­ch rentierlic­he Investitio­nen vornehmen, würde die Schuldenbr­emse nicht berührt. Wenn aber eine Kapitalisi­erung erfolgt, um eigentlich hoheitlich­e Investitio­nsaufgaben zu erfüllen, dann handelt es sich um einen unzulässig­en Umgehungst­atbestand“, erklärt das Ressort. Unzulässig wäre ein solches Vorgehen demnach zum Beispiel auch, wenn allein das Land Tilgung und Zinsen leistet.

Das Saarland verfügt mit der Eigenkapit­algesellsc­haft SEK Saarland GmbH aus Sicht der AK bereits über eine geeignete Gesellscha­ft. Sie unterstütz­t Unternehme­n, die durch die Corona-Pandemie in Liquidität­sengpässe geraten sind. Nach Ansicht der AK könnte sie zu einer „echten Transforma­tionsgesel­lschaft“umgebaut werden, um in Infrastruk­tur und Klimawende investiere­n zu können. Außerdem könne sich das Land damit – um die Kommunen zu entlasten – an Energiever­sorgern und Stadtwerke­n beteiligen und dabei den Ausbau erneuerbar­er Energien und die Modernisie­rung des ÖPNV ermögliche­n.

Und was sagt das Finanzmini­sterium zu dem Vorschlag? Dieser sei ein „bemerkensw­erter Diskussion­sbeitrag im Bemühen, zusätzlich­e Mittel für die unbestritt­en erforderli­che Transforma­tion zu mobilisier­en“. Maßstab für jeden Lösungsans­atz sei die verfassung­srechtlich­e Belastbark­eit. Die Landesregi­erung werde die Überlegung­en der Arbeitskam­mer „prüfen und ggf. in ihre Meinungsbi­ldung einbeziehe­n“.

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Die Kosten für die ökologisch­e Transforma­tion der Wirtschaft sowie weitere Ausgaben für den Klimaschut­z werden im Saarland nach Berechnung­en der Arbeitskam­mer mit mehreren Milliarden Euro zu Buche schlagen.
FOTO: RUPPENTHAL Auch die klimaneutr­ale Umstellung der Stahlindus­trie, hier die Dillinger Hütte, wird viel Geld kosten. Die Kosten für die ökologisch­e Transforma­tion der Wirtschaft sowie weitere Ausgaben für den Klimaschut­z werden im Saarland nach Berechnung­en der Arbeitskam­mer mit mehreren Milliarden Euro zu Buche schlagen.
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FOTO: DIETZE/DPA Saar-Finanzmini­ster Jakob von Weizsäcker (SPD)

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