Auf Suche nach Milliarden für Strukturwandel
Das Saarland muss Milliarden in die Infrastruktur und in den Wandel der Wirtschaft stecken. Die Arbeitskammer schlägt vor, dazu öffentliche Unternehmen zu gründen, die nicht der Schuldenbremse unterliegen. Das Finanzministerium scheint nicht abgeneigt.
SAARBRÜCKEN Der saarländische Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD) hat seit ein paar Wochen ein Problem weniger. Seitdem die Steuerschätzung Mitte Mai ergab, dass das Saarland in den nächsten Jahren mit mehr Geld rechnen kann als bisher angenommen, muss von Weizsäcker im Haushalt für das Jahr 2023, der bald aufgestellt wird, keine allzu großen Löcher mehr stopfen.
Richtig gut schlafen dürfte er aber immer noch nicht. Denn unbeantwortet ist immer noch die Frage, woher die notwendigen öffentlichen Mittel für den Wandel der saarländischen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und die Energiewende kommen sollen. Der Ukraine-Krieg lässt es noch dringlicher erscheinen, die Abhängigkeit von russischen Energie-Importen zu reduzieren.
Allein die energetische Sanierung von Gebäuden wird im Saarland Riesensummen verschlingen, von der ökologischen Transformation der CO2-intensiven Stahlindustrie ganz zu schweigen. Das Saarland werde „die notwendigen Transformationsprojekte nicht alleine aus den laufenden Einnahmen stemmen können“, sagte von Weizsäcker.
Die Arbeitskammer (AK) des Saarlandes hat dieser Tage vorgerechnet, um welche Summen es gehen könnte. Für die Anpassung an den Klimawandel müssten das Saarland und seine Kommunen in den nächsten Jahren demnach rund 2,4 Milliarden Euro aufwenden, zum Beispiel für Wasserstoffnetze, die Umstellung der Stahlproduktion, die energetische Sanierung von Gebäuden und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und der Elektro-Mobilität.
Diese Summe käme zu dem aufgelaufenen Sanierungsstau bei der öffentlichen Infrastruktur noch hinzu. Die AK schätzt, dass Land und Kommunen rund fünf Milliarden Euro in Schulen, Kliniken, Wohnungsbau, Straßen, Kanäle und Breitbandausbau stecken müssten. Macht zusammen 7,4 Milliarden Euro. Bei einem seit Jahren auf Kante genähten Landeshaushalt mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro wäre das nicht zu schaffen, selbst wenn man die Investitionen zum Beispiel auf zehn Jahre streckte.
Das saarländische Finanzministerium stellt „einen gewissen Investitionsstau“gar nicht in Abrede, will die Schätzungen der Arbeitskammer aber nicht bestätigen. Das Herunterbrechen bundesweiter Schätzungen auf das Saarland – wie es die Arbeitskammer getan hat – berge methodische Risiken. Eine belastbare Quantifizierung des Investitionsstaus liege nicht vor. „Allerdings bemühen wir uns derzeit um eine zumindest grobe Erfassung“, heißt es im Finanzministerium.
Damit ist die Frage, woher das Geld kommen soll, nicht aus der Welt. Die Arbeitskammer unterbreitet einen neuen Vorschlag, wie das Land die notwendigen Milliardenbeträge mobilisieren könnte. Patricia Bauer, Referentin für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Kammer, stellt ihn in einer aktuellen Veröffentlichung vor.
Da der Landeshaushalt über die notwendigen Spielräume auf absehbare Zeit nicht verfüge, „stellen die Gründung und Ausweitung der Aufgaben öffentlicher Unternehmen und Finanzierungsgesellschaften eine gesetzeskonforme und öffentlich kontrollierbare Alternative dar“, schreibt Bauer. Ihre kreditfinanzierte Kapitalisierung sei „Schuldenbremsen-neutral“, also innerhalb der Regeln der Schuldenbremse zulässig.
Allerdings müssen dafür nach Einschätzung des Saar-Finanzministeriums bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. „Soweit solche Unternehmen betriebswirtschaftlich rentierliche Investitionen vornehmen, würde die Schuldenbremse nicht berührt. Wenn aber eine Kapitalisierung erfolgt, um eigentlich hoheitliche Investitionsaufgaben zu erfüllen, dann handelt es sich um einen unzulässigen Umgehungstatbestand“, erklärt das Ressort. Unzulässig wäre ein solches Vorgehen demnach zum Beispiel auch, wenn allein das Land Tilgung und Zinsen leistet.
Das Saarland verfügt mit der Eigenkapitalgesellschaft SEK Saarland GmbH aus Sicht der AK bereits über eine geeignete Gesellschaft. Sie unterstützt Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie in Liquiditätsengpässe geraten sind. Nach Ansicht der AK könnte sie zu einer „echten Transformationsgesellschaft“umgebaut werden, um in Infrastruktur und Klimawende investieren zu können. Außerdem könne sich das Land damit – um die Kommunen zu entlasten – an Energieversorgern und Stadtwerken beteiligen und dabei den Ausbau erneuerbarer Energien und die Modernisierung des ÖPNV ermöglichen.
Und was sagt das Finanzministerium zu dem Vorschlag? Dieser sei ein „bemerkenswerter Diskussionsbeitrag im Bemühen, zusätzliche Mittel für die unbestritten erforderliche Transformation zu mobilisieren“. Maßstab für jeden Lösungsansatz sei die verfassungsrechtliche Belastbarkeit. Die Landesregierung werde die Überlegungen der Arbeitskammer „prüfen und ggf. in ihre Meinungsbildung einbeziehen“.