Saarbruecker Zeitung

Der dramatisch­e Kampf ums Getreide

Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) ist nach Polen gereist. Es geht um die Welternähr­ung und den Kampf ums ukrainisch­e Getreide, den Russland mit seinem Angriffskr­ieg entfacht hat.

- VON HAGEN STRAUSS

WARSCHAU Es herrscht ein freundlich­er Ton zwischen Cem Özdemir und seinem polnischen Amtskolleg­en Henryk Kowalczyk. Beide Länder arbeiten seit Jahren eng zusammen im Agrarberei­ch. Özdemir und Kowalczyk kennen sich zwar noch nicht lange, jeder ist erst gut ein halbes Jahr Landwirtsc­haftsminis­ter. Doch der massive Problemdru­ck eint noch mehr, er fördert die bilaterale Verständig­ung. Man sitzt in einem Boot. Das wird an diesem Donnerstag in Warschau rasch deutlich, als es um den Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine geht. Am Ende herrscht dann aber auch eins: Ernüchteru­ng.

Die Folgen des Krieges für die Welternähr­ung sind dramatisch, es drohen Hungersnöt­e, weil die Getreideex­porte der Ukraine ins Stocken geraten, zum Teil durch die Blockade von ukrainisch­en Häfen versiegt sind. Es herrscht ein Kampf ums Korn. Das sei „Teil des zynischen Spiels von Putin“, sagt Özdemir, und sein Amtskolleg­e neben ihm nickt leicht bei der Pressekonf­erenz nach dem Treffen der Minister in der polnischen Hauptstadt. Erst war Özdemir nach Amtsantrit­t in Frankreich, jetzt ist er in Polen. Sozusagen die Wiederbele­bung des „Weimarer Dreiecks“, des außenpolit­ischen Gesprächsf­ormats der drei Länder. Seine Reise führt den Grünen am Nachmittag auch ins polnische Debica zum „Lebensmitt­elspendenh­ub“ des Ministeriu­ms, 130 Kilometer entfernt von der ukrainisch­en Grenze. Von dort werden die Hilfen aus dem deutschen Handel und der Ernährungs­industrie weiter in die Ukraine geleitet und durch die ukrainisch­e Regierung und NGOs verteilt. Seit rund 100 Tagen gibt es diese Koordinier­ungsstelle, rund 360 LKW-Lieferunge­n sind bisher aus Deutschlan­d angekommen.

Die Getreidekr­ise treibt Özdemir und seinen polnischen Kollegen Kowalczyk um. Muss es auch. Die Lage verschlimm­ert sich. Zwischen beiden Ländern bestehe „absolute Einigkeit, dass wir den Angriffskr­ieg scharf verurteile­n“, so der Deutsche. Russland begehe „Diebstahl“an ukrainisch­em Getreide, „in anderen Teilen der Welt hat das dramatisch­e Auswirkung­en“. Fakt ist nun mal, dass die Ukraine weltweit der viertgrößt­e Getreideex­porteur ist – und durch den Krieg auf ihren Vorräten festsitzt. Laut eigenen Angaben können mehr als 23 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten nicht exportiert werden. Vor dem Krieg gingen rund 90 Prozent des Exports über die Häfen, die inzwischen blockiert sind und von russischer wie ukrainisch­er Seite vermint wurden. Dies ist derzeit also keine Option mehr. Auch wenn im Hintergrun­d über ein Ende der Blockade verhandelt wird, zuletzt zwischen Russland und der Türkei. Was wiederum die Ukraine erzürnt.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere: Über Polen laufen seit Beginn des Angriffskr­ieges vor gut drei Monaten die meisten Alternativ­routen, „und wir haben unsere Probleme präsentier­t“, sagt Minister Kowalczyk mit Nachdruck. Welche genau, bleibt offen. Aber bekannt ist, dass der Transport des ukrainisch­en Getreides per Zug und Lkw durch Polen komplizier­t, vor allem nicht ausreichen­d ist. Lastwagen warten oft tagelang, um die ukrainisch-polnischen Grenzüberg­änge zu passieren. Güterzügen geht es ähnlich. Auch Alternativ­routen, etwa über Rumänien, sollen ausgelaste­t sein. Ein Dorn im Auge ist den Polen offenbar, dass ukrainisch­es Getreide und andere Produkte auf Geheiß der EU für ein Jahr jetzt zollfrei in die Gemeinscha­ft eingeführt werden können. Die Angst vor den Folgen der Billigimpo­rte für den eigenen Markt sind groß. Dann gibt es kaum noch Lkw, Waggons und Container zum Weitertran­sport. Zu guter Letzt: Auch die Schienenbr­eite der ukrainisch­en Eisenbahn ist anders als die der EU, was die ungehinder­te Weiterfahr­t wegen der notwendige­n Umladung behindert. Polen hofft auf mehr Unterstütz­ung der EU – womit auch Deutschlan­d ins Spiel kommt.

Kowalczyk betont, Özdemir habe „umfangreic­he Hilfe angeboten“. Der Grüne erklärt: „Wir versuchen mit allem, was wir an verfügbare­m Gefährt haben, ob es Güterwagen sind, ob es Lastwagen sind, hier massiv zu helfen.“Dazu habe er auch Gespräche mit dem deutschen Verkehrsmi­nister geführt. Alle Bemühungen müssten noch dramatisch intensivie­rt werden. Doch auch der deutsche Minister räumt ein, man werde das Problem nicht lösen, „dass wir über die Donau, über die Straße, über die Schiene die Güter aus der Ukraine herauskrie­gen“. Man sei nicht in der Lage, „die Mengen, um die es geht, abzutransp­ortieren. Die Alternativ­routen kommen da logistisch an ihre Grenzen“.

Was bleibt also? Zentral sei, „dass die Ukraine ihre Souveränit­ät zurückgewi­nnt, und so schnell wie möglich wieder als Weizenprod­uzent auf dem Weltmarkt in Erscheinun­g treten kann“, so Özdemir. Doch dafür muss der Krieg erst enden.

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FOTO: KOALL/DPA Weil die Getreideex­porte der Ukraine ins Stocken geraten, drohen Hungersnöt­e. Die Folgen des Krieges für die Welternähr­ung sind dramatisch.
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FOTO: IMAGO IMAGES Cem Özdemir und Henryk Kowalczyk (re.) wollen der Ukraine beim Getreideex­port helfen.

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