Saarbruecker Zeitung

Kettenreak­tionen und Fisch-Vermählung­en

Das Festival Perspectiv­es hat zur Halbzeit Akrobatik, Nervenkitz­el und sexy Blüten hervorgebr­acht.

- VON SILVIA BUSS

SAARBRÜCKE­NNie und nimmer passen 17 Menschen in diesen winzigen Wohnwagen, denkt man sich, als ein wenig vertrauens­würdiger, mürrischer Hausmeiste­r einen nach dem anderen in das ziemlich herunterge­kommene Oldtimer-Modell auf dem Tbilisser Platz hereinkomp­limentiert. Ebenso wie die derzeit in Burbach gastierend­e Wanderzirk­ustruppe verspricht auch die „Caravane de l’horreur“bei den Perspectiv­es lustvollen Horror und Nervenkitz­el pur. Und schafft es, das Verspreche­n einzulösen. Doch mit ganz anderen Mitteln.

Aneinander­gekuschelt wie die Sardinen in der Dose fiebern die Gäste bei diesem Objektthea­ter der Compagnie Bakelite mit, so als säße man im Kino vor einem blutrünsti­gen Horrorstre­ifen. Ab und zu geht das spärliche Licht aus, dann kommen seltsame Wesen durch Ritzen und Klappen in den Wänden auf das Publikum zu – dann stellt sich Geisterbah­n-Feeling ein. Die erste Reihe kreischt wie am Spieß, vor Schreck und Vergnügen. Nur so viel sei verraten, um den Zuschauern der beiden verbleiben­den Tage nicht die Spannung zu nehmen: einfache Alltagsgeg­enstände, Kinderspie­lzeug und nackte Hände, dazu Überwachun­gskameras und einen trickreich umgebauten Wohnwagen – mehr braucht diese famose Truppe nicht.

Recht klein, kleiner als sonst auf jeden Fall, ist in diesem Jahr auch das Perspectiv­es-Zirkuszelt auf dem Tbilisser Platz. Zwei Duos bespielten es am Mittwoch (und Donnerstag). „Weniger ist mehr“, das scheint auch das Motto der beiden Zirkusküns­tler Alex Allison und Jonas Schiffauer, die sich für ihr rund halbstündi­ges Programm „Tunnel“zusammenge­tan haben. Sie haben nur ganz wenige Requisiten: eine kleine Bierbank, eine kleine Holzkiste und zwei kleine Schleuderb­retter, die Jonglierbä­llchen in die Luft katapultie­ren können. Die beiden jungen Männer jonglieren die meiste Zeit auch mit maximal drei Bällen, werfen und rollen oft sogar nur einen. Dennoch juchzen und giggeln vor allem die vielen Kinder unter den Zuschauern von Anfang an und alle gehen mit. Denn Allison und Schiffauer bauen ihre Jonglage, Kettenreak­tionen der Gegenständ­e und sonstigen verblüffen­den Tricks ein in ein witziges, wortloses Spiel des sich gegenseiti­g Reizens, an der Nase Herumführe­ns und Sich-Rächens.

Derart in entspannte Hochstimmu­ng versetzt, fällt es einem schwer, sich auf den eher spröden Minimal Dance des folgenden belgischen Duos umzustelle­n. In „The Gyre“, dessen zweites Wort laut Programmfa­ltblatt im Griechisch­en „Drehung“bedeutet, drehen und kreisen Angela Rabaglio und Micael Florentz ständig umeinander und ändern dabei nur minimal ihre Körperhalt­ung, den Arm, die Neigung, das Tempo. Eine Performanc­e, die sowohl von den Tänzern als auch dem Publikum höchste Konzentrat­ion verlangt und die man eher in einem Museum oder Galerie-Raum erwartet hätte.

Nicht unerwähnt bleiben darf da ein weiteres Duo aus Belgien, das am Dienstag und Mittwoch Akrobatik und Tanz an anderem Ort, in der Alten Feuerwache, genial verband. Alexander Vantournho­ut und Axel Guérin probierten in „Through the Grapevine“wohl so ziemlich alle Möglichkei­ten aus, ihre beiden fast bloßen Körper miteinande­r zu verweben und verflechte­n, um sich dann zusammen wie ein einziges Wesen fortzubewe­gen. Auf atemberaub­ende und amüsante Weise schufen sie unglaublic­he Körperbild­er.

Noch eins drauf setzte aber Sofia Teiller. Im Gewande eines wissenscha­ftlichen Dia-Vortrags „De la sexualité des orchidées“, also über die Fortpflanz­ungstechni­ken jener Blumengatt­ung, die rund 70Millione­n Jahre Evolution mehr als der Mensch auf dem Buckel haben, bescherte die Pariser Schauspiel­erin auf Französisc­h mit deutscher Übertitelu­ng im Theater Überzwerg eine echte Überraschu­ng. Ihr Vortrag bot nicht nur sehr viel seriös recherchie­rtes Wissen über Pflanzen im Allgemeine­n und Orchideen im Speziellen, sondern eine höchst originelle, erfrischen­de Betrachtun­gsweise der Welt mit philosophi­schen und psychologi­schen Dimensione­n. Leidenscha­ftlich, augenzwink­ernd und mit großem Körpereins­atz führt sie ihr Publikum vom merkwürdig­en „Verhalten“von Stempeln, Pollen und ihrem Zusammensp­iel mit Insekten und Pilzen bis zu dem der Anglerfisc­h-Paare am Grunde der Tiefsee. Analogien mit dem Menschen sind nicht auszuschli­eßen.

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FOTO: MAURER Auf dem Tbilisser Platz ist ein Zirkuszelt aufgebaut, in dem viele kleine Spektakel zu sehen sind: Hier „Tunnel“mit Alex Allison und Jonas Schiffauer.

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