Kettenreaktionen und Fisch-Vermählungen
Das Festival Perspectives hat zur Halbzeit Akrobatik, Nervenkitzel und sexy Blüten hervorgebracht.
SAARBRÜCKENNie und nimmer passen 17 Menschen in diesen winzigen Wohnwagen, denkt man sich, als ein wenig vertrauenswürdiger, mürrischer Hausmeister einen nach dem anderen in das ziemlich heruntergekommene Oldtimer-Modell auf dem Tbilisser Platz hereinkomplimentiert. Ebenso wie die derzeit in Burbach gastierende Wanderzirkustruppe verspricht auch die „Caravane de l’horreur“bei den Perspectives lustvollen Horror und Nervenkitzel pur. Und schafft es, das Versprechen einzulösen. Doch mit ganz anderen Mitteln.
Aneinandergekuschelt wie die Sardinen in der Dose fiebern die Gäste bei diesem Objekttheater der Compagnie Bakelite mit, so als säße man im Kino vor einem blutrünstigen Horrorstreifen. Ab und zu geht das spärliche Licht aus, dann kommen seltsame Wesen durch Ritzen und Klappen in den Wänden auf das Publikum zu – dann stellt sich Geisterbahn-Feeling ein. Die erste Reihe kreischt wie am Spieß, vor Schreck und Vergnügen. Nur so viel sei verraten, um den Zuschauern der beiden verbleibenden Tage nicht die Spannung zu nehmen: einfache Alltagsgegenstände, Kinderspielzeug und nackte Hände, dazu Überwachungskameras und einen trickreich umgebauten Wohnwagen – mehr braucht diese famose Truppe nicht.
Recht klein, kleiner als sonst auf jeden Fall, ist in diesem Jahr auch das Perspectives-Zirkuszelt auf dem Tbilisser Platz. Zwei Duos bespielten es am Mittwoch (und Donnerstag). „Weniger ist mehr“, das scheint auch das Motto der beiden Zirkuskünstler Alex Allison und Jonas Schiffauer, die sich für ihr rund halbstündiges Programm „Tunnel“zusammengetan haben. Sie haben nur ganz wenige Requisiten: eine kleine Bierbank, eine kleine Holzkiste und zwei kleine Schleuderbretter, die Jonglierbällchen in die Luft katapultieren können. Die beiden jungen Männer jonglieren die meiste Zeit auch mit maximal drei Bällen, werfen und rollen oft sogar nur einen. Dennoch juchzen und giggeln vor allem die vielen Kinder unter den Zuschauern von Anfang an und alle gehen mit. Denn Allison und Schiffauer bauen ihre Jonglage, Kettenreaktionen der Gegenstände und sonstigen verblüffenden Tricks ein in ein witziges, wortloses Spiel des sich gegenseitig Reizens, an der Nase Herumführens und Sich-Rächens.
Derart in entspannte Hochstimmung versetzt, fällt es einem schwer, sich auf den eher spröden Minimal Dance des folgenden belgischen Duos umzustellen. In „The Gyre“, dessen zweites Wort laut Programmfaltblatt im Griechischen „Drehung“bedeutet, drehen und kreisen Angela Rabaglio und Micael Florentz ständig umeinander und ändern dabei nur minimal ihre Körperhaltung, den Arm, die Neigung, das Tempo. Eine Performance, die sowohl von den Tänzern als auch dem Publikum höchste Konzentration verlangt und die man eher in einem Museum oder Galerie-Raum erwartet hätte.
Nicht unerwähnt bleiben darf da ein weiteres Duo aus Belgien, das am Dienstag und Mittwoch Akrobatik und Tanz an anderem Ort, in der Alten Feuerwache, genial verband. Alexander Vantournhout und Axel Guérin probierten in „Through the Grapevine“wohl so ziemlich alle Möglichkeiten aus, ihre beiden fast bloßen Körper miteinander zu verweben und verflechten, um sich dann zusammen wie ein einziges Wesen fortzubewegen. Auf atemberaubende und amüsante Weise schufen sie unglaubliche Körperbilder.
Noch eins drauf setzte aber Sofia Teiller. Im Gewande eines wissenschaftlichen Dia-Vortrags „De la sexualité des orchidées“, also über die Fortpflanzungstechniken jener Blumengattung, die rund 70Millionen Jahre Evolution mehr als der Mensch auf dem Buckel haben, bescherte die Pariser Schauspielerin auf Französisch mit deutscher Übertitelung im Theater Überzwerg eine echte Überraschung. Ihr Vortrag bot nicht nur sehr viel seriös recherchiertes Wissen über Pflanzen im Allgemeinen und Orchideen im Speziellen, sondern eine höchst originelle, erfrischende Betrachtungsweise der Welt mit philosophischen und psychologischen Dimensionen. Leidenschaftlich, augenzwinkernd und mit großem Körpereinsatz führt sie ihr Publikum vom merkwürdigen „Verhalten“von Stempeln, Pollen und ihrem Zusammenspiel mit Insekten und Pilzen bis zu dem der Anglerfisch-Paare am Grunde der Tiefsee. Analogien mit dem Menschen sind nicht auszuschließen.