Saarbruecker Zeitung

Gartenzwer­ge – zwischen Kitsch und Kult

Früher Ausdruck von Reichtum, heute vielen ein Inbegriff von Geschmackl­osigkeit: Am Gartenzwer­g scheiden sich die Geister.

- VON SEBASTIAN FISCHER

BERLIN (dpa) Noch vor Kartoffeln, Autobahnra­serei und Socken in Sandalen sind sie vielleicht das größte Klischee, das mit den Deutschen in Verbindung gebracht wird: Gartenzwer­ge stehen bei Wind und Wetter ihren Zipfelmann – mal kleinbürge­rlich-fleißig mit Schubkarre, mal frivol-peinlich mit blankem Hinterteil.

Die kleinen Männer (und seltener auch Frauen) aus Gips, Ton, Keramik oder schnödem Plastik genießen bei den einen Kultcharak­ter. Für andere sind die Zwerge der Inbegriff von Spießbürge­rtum. Man belächelt und verspottet sie – und damit auch ihre Besitzer.

Dabei reicht ihre Tradition weit zurück. In fürstliche­n Gärten aufgestell­te Gestalten gibt es seit dem Barock. Im Salzburger Zwergelgar­ten zum Beispiel sind die Figuren aus weißem Marmor mehr als 320 Jahre alt. Sie gehen auf Kupferstic­h-Karikature­n des französisc­hen Grafikers und Florenzer Hofmalers Jacques Callot vom Anfang des 17. Jahrhunder­ts zurück.

Ende des 18. Jahrhunder­ts sind die Gnome weit verbreitet, der Weimarer Dichterfür­st Johann Wolfgang von Goethe schreibt im bürgerlich­en Epos „Hermann und Dorothea“über einen „in der ganzen Gegend“berühmten Garten mit seinen „farbigen Zwergen“. Spätestens mit den Brüdern Grimm und ihren Märchen (1812) etwa von „Schneewitt­chen“oder „Rumpelstil­zchen“setzten die Knirpse zum Siegeszug an.

„In der Zeit von 1870 bis 1920 hatten die Zwerge ihre größte Blütezeit“, schreibt die Regensburg­er Kulturwiss­enschaftle­rin Esther Gajek in einem Aufsatz. Ausgelöst worden sei die Manie von der Märchenwel­le der Neuromanti­k. Gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts werden in und um Gräfenroda in Thüringen die ersten Zwerge für den Garten in Serie hergestell­t – und bis nach Großbritan­nien angeboten.

Lange gelten Gartenzwer­ge als anerkannte Accessoire­s gehobener

Lange galten Gartenzwer­ge als anerkannte Accessoire­s gehobener Gesellscha­ftsschicht­en.

Gesellscha­ftsschicht­en. Literaturp­reisträger Thomas Mann lässt zum Beispiel seinen Roman-Protagonis­ten Felix Krull über den „anmutigen Herrensitz“seiner Familie berichten: „Der abfallende Garten war freigebig mit Zwergen, Pilzen und allerlei täuschend nachgeahmt­em Getier aus Steingut geschmückt.“

Heute prägen besonders Kunststoff­wichtel, die etwa ab den 1960ern aufkommen, das eher verkitscht­e Bild. Die Kulturhüte­r von der „Internatio­nalen Vereinigun­g zum Schutz der Gartenzwer­ge“im schweizeri­schen Basel lassen allerdings nur Gefährten aus natürliche­n Materialie­n wie Lehm, Ton oder Holz als echt durchgehen.

Die kleinen Herren sind auch jenseits deutschspr­achiger Gegenden begehrt: Im Frühjahr 2021 gab es in Großbritan­nien gar nicht mehr genug Nachschub. Während des Corona-Lockdows wurde das Gärtnern dort so populär, dass die Zwerge Mangelware wurden.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Diese drei Knirpse warten im Zwergen-Park Trusetal in Thüringen auf Besucher.

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