Wie Scholz den Westbalkan umgarnt
Der Kanzler wirbt auf seiner Balkan-Reise für eine Wiederbelebung der EU-Beitrittsverhandlungen von Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien. Scholz will verhindern, dass Putin dort seinen Einfluss vergrößert.
PRISTINA/BELGRAD „Antreten!“, brüllt der Kompaniechef, als sich der Bundeskanzler mit großen Schritten nähert. Rund 50 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben sich im „Camp Film City“in Pristina aufgereiht, um Olaf Scholz angemessen zu begrüßen.
Ein Besuch im Kosovo ist ohne Stippvisite bei den dort stationierten deutschen Kfor-Soldaten der Nato nicht denkbar. Es ist die erste Station des Bundeskanzlers auf seiner knapp zweitägigen Balkan-Reise, die ihn auch nach Serbien, Nordmazedonien, Griechenland und Bulgarien führt. Scholz ist gekommen, um dem seit Jahren dahindümpelnden EU-Beitrittsprozess der WestbalkanStaaten neues Leben einzuhauchen. Im Herbst will der Kanzler den so genannten „Berlin-Prozess“mit intensiven Gesprächen wiederbeleben, den seine Vorgängerin Angela Merkel 2014 begonnen hatte, um die Region zu stabilisieren.
Die beiden Länder müssten endlich zu pragmatischen Lösungen kommen, ihre Konflikte beenden und ein umfassendes und nachhaltiges Abkommen schließen, mahnt Scholz nach einem Gespräch mit dem kosovarischen Präsidenten Albin Kurti, den er einen Freund nennt. Die gegenseitige Anerkennung von Serbien und dem Kosovo sei eine Voraussetzung dafür, der EU beitreten zu können. Auch der Kosovo will sich in diesem Jahr um den Beitrittsstatus bewerben, Serbien ist schon länger ein eher ungeliebter Beitrittskandidat. „Die EU ist unser Schicksal, Europa ist unser Kontinent, wir wollen ein europäisches Kosovo“, betont Sozialdemokrat Kurti.
Noch einen Unruheherd oder gar einen neuen Kriegsausbruch auf europäischem Boden nach dem schrecklichen Angriff Russlands auf die Ukraine könnte die EU in ihren Grundfesten erschüttern, befürchtet der Kanzler. Auf dem Westbalkan haben religiös und nationalistisch begründete Konflikte zuletzt aber wieder zugenommen. Und Kreml-Chef Wladimir Putin versucht mit Macht, Europa zu spalten und seinen Einfluss auf dem Balkan zu vergrößern. Den seit zehn Jahren autokratisch regierenden serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic hat er erst kürzlich mit einem günstigen Drei-JahresVertrag für russisches Gas enger an sich gebunden. Serbien ist fast vollständig von Putins Gas abhängig.
Geschickt spielt Vucic ein doppeltes Spiel: Einerseits will er der EU beitreten, andererseits kungelt er mit Russland und China. Vucic hat die russische Aggression in der Ukraine nicht verurteilt, den EU-Sanktionen gegen Russland hat er sich nicht angeschlossen.
Scholz will Tempo machen bei den Beitritts-Verhandlungen der vier Kandidaten Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien. Auch Serbien werde bald einsehen, dass mit dem ökonomisch angeschlagenen und isolierten Russland kein Staat mehr zu machen sei und sich stärker der EU zuwenden, hofft Scholz. Wer beitreten wolle, müsse die EU-Prinzipien akzeptieren. Dazu gehörten auch die EU-Sanktionen.
In Belgrad gibt sich Staatspräsident Vucic Stunden später überrascht davon, dass der Kanzler in Pristina die Anerkennung des Kosovo zur Voraussetzung für den EU-Beitritt Serbiens erklärt hat. „Wir lassen uns nicht auf diese Art und Weise unter Druck setzen“, sagt Vucic. Diese Bedingung habe in Europa noch keiner gefordert. Vucic gab sich aber auch demütig: Serbien sei bewusst, dass es Fortschritte in Richtung mehr Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erzielen müsse, um der EU beitreten zu können. Er habe auch verstanden, dass Scholz von Serbien verlange, sich den EU-Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Darüber werde Belgrad jetzt nachdenken, sagt Vucic. Die Position Serbiens sei „sehr kompliziert“, so sei es bei Energie abhängig von Russland. Aber Deutschland sei groß und mächtig, und Serbien klein.
Die Desillusionierung, die in den Ländern durch jahrelange, wohl auch gewollte Verzögerungen der Beitrittsverhandlungen entstanden ist, will der Kanzler in neue Hoffnung verwandeln. Die EU müsse den Beitritt auch wirklich wollen, nicht nur weiter in Aussicht stellen. So möchte Scholz vor allem auch verhindern, dass sich auf dem Balkan der Eindruck verfestigt, die Ukraine könne ihm womöglich vorgezogen werden. Denn auch Kiew drängt mit Macht in die EU – und wird dabei zurzeit auch deutlich mehr unterstützt als der Westbalkan. Doch Scholz macht Hoffnung. Schon in wenigen Jahren hält er den EU-Beitritt der Länder auf dem Westbalkan für möglich. Die Ukraine dagegen müsse wohl noch deutlich länger darauf warten.
KIEW (dpa) Bei anhaltend schweren Kämpfen im Osten der Ukraine sind die russischen Truppen nach Angaben aus Kiew weiter vorgerückt. Wie der ukrainische Generalstab mitteilte, liegen die neu eingenommenen Ortschaften nur etwa zehn Kilometer südwestlich des Verkehrsknotenpunkts Bachmut. Die Russen könnten nun bald Nachschubwege für das wichtige Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk abschneiden. Die Kämpfe um die strategisch wichtige Großstadt Sjewjerodonezk verliefen nach ukrainischen Angaben ohne größere Veränderungen. Die russischen Truppen versuchten „weiter erfolglos“die volle Kontrolle über das Verwaltungszentrum der Region Luhansk zu gewinnen, teilte der Generalstab mit. Auch bei anderen Gefechten rund um die Stadt seien die Angreifer zurückgeworfen worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Schlacht um die Stadt mit einst mehr als 100 000 Einwohnern als die vielleicht schwerste des Krieges bezeichnet. Russland hatte das Nachbarland Ende Februar überfallen.
Die prorussischen Separatisten meldeten dagegen, die Chemiefabrik Azot in Sjewjerodonezk sei umzingelt worden. „Alle Fluchtwege sind für sie abgeschnitten“, schrieb der Botschafter der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk in Moskau, Rodion Miroschnik, auf Telegram. Er räumte die Möglichkeit ein, dass sich auf dem Gelände weiter auch Zivilisten aufhalten. Die ukrainische Seite hatte von Hunderten Menschen gesprochen, die die Keller als Luftschutzbunker nutzten.
Unterdessen hält sich die Bun