Wie die EU das Netz für Kinder sicherer machen will
BRÜSSEL Die Zahl schockiert: 85Millionen Bilder und Videos wurden 2021 weltweit gemeldet, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Und das sind nur jene, von denen die Behörden wissen, wie die EU-Kommission betont. Sind Kinder im Netz auf Gaming- oder Chatplattformen unterwegs, dauert es häufig keine fünf Minuten, bis sie von Männern ungefragt Penisbilder zugeschickt bekommen, versehen mit entsprechenden Hinweisen, man könnte sich in anderen Foren weiterunterhalten. Selbst wenn die Mädchen und Jungen auf ihr junges Alter hinweisen, hören die Angrabe-Versuche oft nicht auf, wie Ermittler in Selbstversuchen regelmäßig entdecken. Damit sich auch eine Achtjährige sicher im Netz bewegen kann, will die EU-Kommission nun strikter durchgreifen.
So schlug die Brüsseler Behörde kürzlich einen Gesetzentwurf vor, laut dem Anbieter wie Google oder Facebook verpflichtet würden, ihre Dienste mithilfe von Software nach entsprechenden Darstellungen zu durchsuchen. „Wir werden euch finden“, hatte sich die zuständige EUInnenkommissarin Ylva Johansson an Straftäter gerichtet. Am Freitag wollte die Schwedin den Entwurf beim Treffen der 27 EU-Innenminister in Luxemburg präsentieren. Gegen Kritik aus einigen Mitgliedstaaten verteidigte sie gestern die vorgeschlagene EU-Rechtsvorschrift, die „sehr viel zielgerichteter“sei als das bisherige System, das auf freiwilliger Erkennung und Meldung beruht. Immerhin, die Stiftung Internet Watch hat für 2021 einen Anstieg der Meldungen über bestätigten sexuellen Kindesmissbrauch um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Schätzungen gehen davon aus, dass nur fünf bis 15 Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs – meist stammen die Täter aus dem nächsten Umfeld der Kinder – bekannt werden. Es handele sich um „ein Phänomen, das in der Mitte der Gesellschaft stattfindet“, so eine EUBeamtin. Der Umstand aber, dass sich niemand vorstellen könne, einen Täter im Umfeld zu haben, trage zu einer hohen Dunkelziffer bei. Oft bleiben die Verbrechen im Dunkeln, bis sie im Internet landen. Erst Fotos und Videos bringen Behörden häufig auf die Spur der Kriminellen, die im Internet wie Währung Kinderpornografie austauschen, um dann wiederum selbst Darstellungen von etwa einer Vergewaltigung eines Kindes zu erhalten – oder aber die Betroffenen mit den Bildern zu erpressen.
Im Zentrum des Gesetzesvorschlags steht laut Kommission die Prävention. Europa, wo mehr als 60 Prozent des Austauschs solcher Darstellungen gehostet werden, sei hier „Rekordhalter“. Gerade erst erschütterten die Missbrauchsfälle von Wermelskirchen Deutschland. Der Hauptbeschuldigte hat laut Ermittler im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderpornografische Bilder und Videos „unvorstellbarer Brutalität“getauscht. Eine solche Verbreitung will die EU versuchen einzudämmen, indem sie Provider verpflichtet, das Risiko zu prüfen, ob ihre Dienste ausgenutzt werden, auch für das sogenannte Grooming, wenn Erwachsene also mit einer Missbrauchsabsicht Kontakt mit Minderjährigen aufnehmen. Facebook, Google und Co. könnten gezwungen werde, Inhalte mit sexuellem Missbrauch von Kindern mithilfe von spezieller Software zu erkennen, zu melden und zu entfernen.
Die Reaktionen auf den Vorstoß fielen insbesondere in Deutschland teils heftig aus. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner etwa sprach von „Stasi 2.0“. Würde das Gesetz kommen, „wäre das digitale Briefgeheimnis tot“. Bundesjustizminister Marco Buschmann meinte via Twitter, er sei politisch und rechtlich „sehr skeptisch“. „Eine generelle flächendeckende Überwachungsmaßnahme privater Korrespondenz gerade auch im digitalen Raum lehnt mein Haus ab.“Handelt es sich tatsächlich um eine De-Facto-Aufhebung der Vertraulichkeit der Kommunikation? Es sei keine anlasslose Massenüberwachung, versuchte die Kommission zu beschwichtigen, sondern eine „gezielte Anordnung im Einzelfall“. Außerdem fänden die Maßnahmen anonym statt – „wie bei einem Metalldetektor“. Würde mithilfe von Technologie sexuelle Gewalt gegen Kinder festgestellt, würden die Fälle nicht sofort den Strafverfolgungsbehörden gemeldet, sondern gingen zunächst an ein neues EU-Zentrum, das geplant ist, wo man mögliche Falschmeldungen herausfiltern und die Inhalte noch einmal prüfen will, bevor sie bei einer Bestätigung schlussendlich an die Polizei weitergeleitet würden.
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