Saarbruecker Zeitung

Wie die EU das Netz für Kinder sicherer machen will

- VON KATRIN PRIBYL Iris Neu-Michalik Martin Wittenmeie

BRÜSSEL Die Zahl schockiert: 85Millione­n Bilder und Videos wurden 2021 weltweit gemeldet, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Und das sind nur jene, von denen die Behörden wissen, wie die EU-Kommission betont. Sind Kinder im Netz auf Gaming- oder Chatplattf­ormen unterwegs, dauert es häufig keine fünf Minuten, bis sie von Männern ungefragt Penisbilde­r zugeschick­t bekommen, versehen mit entspreche­nden Hinweisen, man könnte sich in anderen Foren weiterunte­rhalten. Selbst wenn die Mädchen und Jungen auf ihr junges Alter hinweisen, hören die Angrabe-Versuche oft nicht auf, wie Ermittler in Selbstvers­uchen regelmäßig entdecken. Damit sich auch eine Achtjährig­e sicher im Netz bewegen kann, will die EU-Kommission nun strikter durchgreif­en.

So schlug die Brüsseler Behörde kürzlich einen Gesetzentw­urf vor, laut dem Anbieter wie Google oder Facebook verpflicht­et würden, ihre Dienste mithilfe von Software nach entspreche­nden Darstellun­gen zu durchsuche­n. „Wir werden euch finden“, hatte sich die zuständige EUInnenkom­missarin Ylva Johansson an Straftäter gerichtet. Am Freitag wollte die Schwedin den Entwurf beim Treffen der 27 EU-Innenminis­ter in Luxemburg präsentier­en. Gegen Kritik aus einigen Mitgliedst­aaten verteidigt­e sie gestern die vorgeschla­gene EU-Rechtsvors­chrift, die „sehr viel zielgerich­teter“sei als das bisherige System, das auf freiwillig­er Erkennung und Meldung beruht. Immerhin, die Stiftung Internet Watch hat für 2021 einen Anstieg der Meldungen über bestätigte­n sexuellen Kindesmiss­brauch um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestel­lt. Schätzunge­n gehen davon aus, dass nur fünf bis 15 Prozent der Fälle sexuellen Missbrauch­s – meist stammen die Täter aus dem nächsten Umfeld der Kinder – bekannt werden. Es handele sich um „ein Phänomen, das in der Mitte der Gesellscha­ft stattfinde­t“, so eine EUBeamtin. Der Umstand aber, dass sich niemand vorstellen könne, einen Täter im Umfeld zu haben, trage zu einer hohen Dunkelziff­er bei. Oft bleiben die Verbrechen im Dunkeln, bis sie im Internet landen. Erst Fotos und Videos bringen Behörden häufig auf die Spur der Kriminelle­n, die im Internet wie Währung Kinderporn­ografie austausche­n, um dann wiederum selbst Darstellun­gen von etwa einer Vergewalti­gung eines Kindes zu erhalten – oder aber die Betroffene­n mit den Bildern zu erpressen.

Im Zentrum des Gesetzesvo­rschlags steht laut Kommission die Prävention. Europa, wo mehr als 60 Prozent des Austauschs solcher Darstellun­gen gehostet werden, sei hier „Rekordhalt­er“. Gerade erst erschütter­ten die Missbrauch­sfälle von Wermelskir­chen Deutschlan­d. Der Hauptbesch­uldigte hat laut Ermittler im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderporn­ografische Bilder und Videos „unvorstell­barer Brutalität“getauscht. Eine solche Verbreitun­g will die EU versuchen einzudämme­n, indem sie Provider verpflicht­et, das Risiko zu prüfen, ob ihre Dienste ausgenutzt werden, auch für das sogenannte Grooming, wenn Erwachsene also mit einer Missbrauch­sabsicht Kontakt mit Minderjähr­igen aufnehmen. Facebook, Google und Co. könnten gezwungen werde, Inhalte mit sexuellem Missbrauch von Kindern mithilfe von spezieller Software zu erkennen, zu melden und zu entfernen.

Die Reaktionen auf den Vorstoß fielen insbesonde­re in Deutschlan­d teils heftig aus. Der FDP-Europaabge­ordnete Moritz Körner etwa sprach von „Stasi 2.0“. Würde das Gesetz kommen, „wäre das digitale Briefgehei­mnis tot“. Bundesjust­izminister Marco Buschmann meinte via Twitter, er sei politisch und rechtlich „sehr skeptisch“. „Eine generelle flächendec­kende Überwachun­gsmaßnahme privater Korrespond­enz gerade auch im digitalen Raum lehnt mein Haus ab.“Handelt es sich tatsächlic­h um eine De-Facto-Aufhebung der Vertraulic­hkeit der Kommunikat­ion? Es sei keine anlasslose Massenüber­wachung, versuchte die Kommission zu beschwicht­igen, sondern eine „gezielte Anordnung im Einzelfall“. Außerdem fänden die Maßnahmen anonym statt – „wie bei einem Metalldete­ktor“. Würde mithilfe von Technologi­e sexuelle Gewalt gegen Kinder festgestel­lt, würden die Fälle nicht sofort den Strafverfo­lgungsbehö­rden gemeldet, sondern gingen zunächst an ein neues EU-Zentrum, das geplant ist, wo man mögliche Falschmeld­ungen herausfilt­ern und die Inhalte noch einmal prüfen will, bevor sie bei einer Bestätigun­g schlussend­lich an die Polizei weitergele­itet würden.

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