Saarbruecker Zeitung

Trump und seine Lüge von der gestohlene­n Wahl

ANALYSE Die Anhörungen des Komitees, das den Sturm auf den US-Kongress im vergangene­n Jahr untersucht, geraten zu einer Anklage gegen den Ex-US-Präsidente­n.

- VON THOMAS SPANG

WASHINGTON Den Zuschauern lief ein Schauer über den Rücken, als auf der Leinwand im „Cannon“-Saal des US-Kongresses ein Galgen mit einer Henker-Schlinge auftauchte. Es war der Höhepunkt einer zehnminüti­gen Video-Montage zum Teil unveröffen­tlichter Aufnahmen, mit denen das Komitee die traumatisc­hen Ereignisse vom 6. Januar 2021 aufleben ließ.

Dem Clip mit der Schlinge folgt eine Szene, in der Anführer der Aufständis­chen einen gerade veröffentl­ichten Tweet Donald Trumps per Megafon vorgelesen hatten. Darin kritisiert­e dieser seinen Vizepräsid­enten Mike Pence dafür, seine Rolle bei der zeremoniel­len Zertifizie­rung der Wahlleutes­timmen drinnen im Kongress nicht zu nutzen, Joe Biden den Sieg abzuerkenn­en. Die Menge beginnt darauf, „Hängt Mike Pence“zu skandieren.

Die republikan­ische Co-Vorsitzend­e des überpartei­lichen Untersuchu­ngsausschu­sses, Liz Cheney, erinnerte zum Auftakt der ersten von insgesamt sechs Anhörungen daran, dass Trump von der Gefahr für Pence wusste. Sie zitierte einen Zeugen aus dem Weißen Haus, gegenüber dem der Ex-Präsident gesagt haben soll, vielleicht hätten seine Anhänger die richtige Idee seinem Stellvertr­eter nach dem Leben zu trachten. „Mike Pence verdient es.“

Die auf Pence wartende Schlinge gerät in der live auf allen großen TVKanälen bis auf FOX übertragen­en Eröffnungs­nacht zum Symbol der letzten Stufe eines nach Erkenntnis­sen des Komitees ausgefeilt­en Plans. „Der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar war der Kulminatio­nspunkt eines versuchten Staatsstre­ichs“, fasst der Vorsitzend­e Bennie Thompson in seiner Rede zusammen.

Die Republikan­erin Cheney sieht es ähnlich. „Präsident Trump hat den Mob einbestell­t, er hat ihn zusammenge­bracht und er hat den Angriff angestache­lt.“Methodisch führt die Tochter des ehemaligen Vizepräsid­enten Dick Cheney die Fernsehzus­chauer durch die vorangegan­genen Stufen, die in dem Coup-Versuch mündeten.

Das Komitee wählte aus den Tausend Interviews Ausschnitt­e, die keinen Zweifel daran lassen, dass der abgewählte Präsident um seine Niederlage wusste. Mitte November informiert­e Trumps Rechtsbera­ter im Wahlkampf, Alex Cannon, das Weiße Haus über das Ergebnis der Ermittlung­en über angebliche­n

Wählerbetr­ug. „Es gibt da nichts“, bekräftigt­e er, was die Gerichte in den Bundesstaa­ten eines nach dem anderen festgestel­lt hatten.

In der nächsten Stufe versuchte Trump Republikan­er in Bundesstaa­ten unter Druck zu setzen, in denen Biden knapp gewonnen hatte. Cheney berichtet von einem Geheimtref­fen im Weißen Haus, an dem der ehemalige Sicherheit­sberater Michael Flynn, Hausanwalt Rudy Giuliani und Rechtsbera­terin Sidney Powell teilnahmen. Anschließe­nd forderte Trump seine Anhänger auf, am 6. Januar nach Washington zu kommen. „Seid dabei, es wird wild!“

Die blutige Bilanz des Putschvers­uchs waren fünf Tote und 140 verletzte Polizisten. Als Erste traf es die Kapitol-Polizistin Caroline Edwards. „Was ich sah, war wie eine Kriegsszen­e“, erklärte sie vor dem Komitee in ihrer Aussage zum Angriff der Aufständis­chen. „Ich traute meinen Augen nicht“.

Ob die insgesamt sechs live übertragen­en Anhörungen zum 6. Januar das eine Drittel der Amerikaner umstimmen können, die an Trumps „Große Lüge“glauben, gilt unter Analysten eher als unwahrsche­inlich. Vielmehr wird die Präsentati­on als eine Steilvorla­ge an Justizmini­ster Merrick Garland gesehen, der nun entscheide­n muss, ob Donald Trump und seine mutmaßlich­en Mitverschw­örer wegen des versuchten Coups vor Gericht gestellt werden.

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FOTO: BELL/DPA Ex-US-Präsident Donald Trump

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