Saarbruecker Zeitung

Die EU erteilt dem Synthetik-Sprit eine Absage

Das Votum des Europäisch­en Parlaments, ab 2035 keine Verbrenner mehr neu zuzulassen, könnte auch eine Vorentsche­idung gegen künstliche Ökokraftst­offe sein. Die wahre CO -Bilanz von E-Autos ist umstritten.

- VON JAN PETERMANN

STRASSBURG/HANNOVER (dpa) Strom statt Sprit – die Richtung für Europas Autoverkeh­r ab Mitte des nächsten Jahrzehnts scheint nun fast schon vorgegeben. Der Beschluss der EUAbgeordn­eten, von 2035 an nur noch den Verkauf emissionsf­reier Neuwagen zu erlauben, kann von den Staaten noch kassiert oder abgeschwäc­ht werden. Beobachter rechnen aber damit, dass batteriebe­triebene Fahrzeuge klar im Zentrum stehen.

Aus klimapolit­ischer Sicht mag man meinen: so weit, so verständli­ch. Doch was passiert mit den oft diskutiert­en Ökosprit-Sorten, die neben der Brennstoff­zelle als zusätzlich­e Alternativ­e zum Auto-Akku gelten?

Umweltverb­ände wie der Nabu atmen wegen des „faktischen Endes des Verbrennun­gsmotors in Europa“auf – ein wenig zumindest. Ein früherer Ausstieg wäre besser gewesen, heißt es. Bundeschef Leif Miller findet jedoch insgesamt: „Ohne Frage sendet das europäisch­e Verbrenner-Aus weltweit ein Signal für den Klimaschut­z.“Positiv zu sehen sei dabei, dass sich Autokonzer­ne mögliche Minderunge­n des CO2-Flottenkon­tos aus der Nutzung synthetisc­her Kraftstoff­e nicht anrechnen können sollen. Auch der BUND äußerte bereits Bedenken in puncto Energieeff­izienz.

Aber Kraftstoff ist nicht gleich Kraftstoff, und Verbrenner nicht gleich Verbrenner. Befürworte­r und Anbieter künstlich hergestell­ter E

Fuels fühlen sich vom Straßburge­r Votum vor den Kopf gestoßen. Ihr Vorwurf: Eine Konzentrat­ion nur auf die batterieel­ektrische Mobilität werde in Regionen ohne genug Ökostrom zum Betrieb und genug Einkommen zum Kauf neuer E-Autos nicht funktionie­ren. Überdies verschenke man so das Senkungspo­tenzial für die ganze CO2-Bilanz, das in Verbrenner­n jüngerer Generation­en stecke – sofern diese mit E-Fuels liefen.

„Das EU-Parlament verhindert, dass der Bestand von rund 48 Millionen Verbrenner-Pkw allein in Deutschlan­d in die Bemühungen zum Erreichen der CO2-Neutralitä­t einbezogen werden kann“, kritisiert der Chef des Bundesverb­ands mittelstän­discher Mineralölu­nternehmen, Elmar Kühn. Gewiss hat seine Vereinigun­g ein Interesse daran, weiter Kraftstoff­e und künftig auch Synthetik-Sprit zu verkaufen. Kühn führt aber ebenso ökologisch­e Gründe an, weshalb das Nein zu E-Fuels ein Fehler sei.

Die Grundidee hinter deren Produktion ist, dass sie verglichen mit normalem Benzin, Diesel oder Autogas den Rohstoffkr­eislauf weniger belasten und kein neues, vorher langfristi­g gebundenes CO2 freisetzen sollen. „Power to Fuel“-Verfahren gewinnen den Sprit nicht aus der chemischen Veredelung von Rohöl, das Jahrmillio­nen im Boden lagerte und bei der Verbrennun­g den Kohlenstof­fgehalt der Atmosphäre erhöht. Quasi umgekehrt bauen sie stattdesse­n Kohlenwass­erstoff-Ketten etwa aus Wasserstof­f (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieint­ensiv gespalten werden muss. Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom ohne ergänzende CO2Last zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutr­al antreiben: Frei wird nur so viel CO2, wie aus Luft oder Biomasse geholt wurde.

Diese Logik hat auch unter Klimaschüt­zern Anhänger. Mancher wit

„Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es auch E-Fuels.“Hildegard Müller Chefin des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA)

tert aber den Versuch der Autobauer, die Verbrenner­technik so möglichst lange am Leben zu halten. Die Branche lobbyiert seit Jahren für den Ökosprit. Die Chefin des Verbands VDA, Hildegard Müller, bekräftigt­e gerade: „Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es auch E-Fuels.“

Es gibt indes noch weitere Kritikpunk­te an dem Vorhaben, synthetisc­h produziert­e Kraftstoff­arten im Pkw-Verkehr massentaug­lich zu machen. Skeptiker merken an, dass man den grünen Wind-, Solar- oder Biostrom zur H2-Gewinnung für viele andere Zwecke der Energiewen­de braucht.

Zudem ist der Wirkungsgr­ad aus den Energieumw­andlungen bei EFuels oft geringer als bei E-Motoren. Hinzu kommen Forderunge­n, sie lieber für Großmotore­n in Schiffen oder

Flugzeugen zu reserviere­n. Projekte laufen, Kerosin aus Abfall-CO2 oder Speisefett-Resten mit Wasserstof­f herzustell­en. Die Mengen sind gering, aber Airlines zeigen Interesse.

In der Bundesregi­erung bahnt sich ein Streit über die Abstimmung im Brüsseler Ministerra­t an. „Wir wollen, dass auch nach 2035 Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotor neu zugelassen werden können, wenn diese nachweisba­r nur mit E-Fuels betankbar sind“, sagte Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP). Parteikoll­ege und Finanzmini­ster Christian Lindner pocht ebenfalls auf „Änderungen für Technologi­eoffenheit“.

Das von Steffi Lemke (Grüne) geführte Umweltress­ort hob dagegen seine „vollumfäng­liche“Unterstütz­ung für die Vorschläge hervor. Bereits im März hatte Lemke erklärt:

„Mit E-Fuels betriebene Verbrennun­gsmotoren sind nach 2035 nur außerhalb der CO2-Flottengre­nzwerte eine Option.“

Die Mineralölw­irtschaft zeigt sich konsternie­rt. Gegner der E-Fuels führten einen „ideologisc­h motivierte­n Kampf gegen das Auto“, glaubt Kühn. Die bisherige Strategie auch der EU-Kommission hatte eher auf ein Verbrenner-Aus durch die Hintertür hingedeute­t – ohne direkte Verbote, aber mit so stark angehobene­n Klimaschut­zzielen, dass die Herstellun­g klassische­r Benziner und Diesel de facto auslaufen würde.

Im Schnitt waren Pkw in Deutschlan­d Mitte 2021 knapp zehn Jahre alt, 2030 und danach dürften also noch etliche Verbrenner auf den Straßen fahren. Die E-Fuel-Debatte beobachten auch die Gewerkscha­ften genau.

Denn die Geburtssch­merzen der EMobilität sind vor allem für kleine Autozulief­erer und Werkstätte­n mit schmalen Budgets sowie begrenzten Möglichkei­ten zur Weiterqual­ifikation beträchtli­ch. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann fordert: „Alle Beschäftig­ten brauchen eine Perspektiv­e.“

In Niedersach­sen, wo außer in Baden-Württember­g und Bayern besonders viele Autobetrie­be sitzen, sehen die Arbeitgebe­r in der Absage an die E-Fuels eine „Sackgasse“, die den Standort Deutschlan­d gefährde. VW-Aufseher und Wirtschaft­sminister Bernd Althusmann (CDU) gibt sich zur Zäsur 2035 auch nicht ganz glücklich: „Unabhängig davon hätte ich mir gewünscht, dass es für die Weiterentw­icklung von Verbrenner­n mit synthetisc­hen, klimafreun­dlichen Kraftstoff­en eine Chance gibt.“

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FOTO: WELLER/DPA Das EU-Parlament hat für ein Verbrenner-Aus bis 2035 gestimmt. Damit sind auch alternativ­e Technologi­en, etwa synthetisc­he Kraftstoff­e, bedroht.

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