Streit um Kampf gegen die Armut
Der Beirat zur Armutsbekämpfung wirft dem Land Versäumnisse vor. Der neue Sozialminister verspricht Besserung.
SAARBRÜCKEN Das Saarland ist ein armes Land im Vergleich zu anderen Bundesländern wie Bayern oder Hamburg, beklagen Landespolitiker seit Jahrzehnten. Doch nicht nur dem Landeshaushalt fehlen Milliarden: In den Haushaltskassen von rund 20 Prozent der saarländischen Bürgerinnen und Bürger herrscht ebenfalls Ebbe. Nach den amtlichen Statistiken trifft es besonders die Kinder im Regionalverband Saarbrücken am härtesten – hier leben 25 Prozent in so armen Verhältnissen, dass es nicht zu regelmäßigem Essen, zu Schulheften, Eintrittskarten für Freibäder oder Bustickets reicht. Die Lehrerinnen und Lehrer an den saarländischen Schulen könnten die Auswirkungen der Armut auf die Bildungskarrieren beschreiben.
Derweil bastelt die Landespolitik seit Jahren an Aktionsplänen und Berichten über das Armuts- und Reichtumsgefälle im Saarland. So hat es die Ende März 2022 abgewählte Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) nicht mehr hinbekommen, den zweiten Armutsund Reichtumsbericht vorzulegen. Der Beirat zur Armutsbekämpfung, in dem Arbeitskammer, Awo, Caritas, Diakonie, evangelische und katholische Kirche, Parität, VdK und Armutskonferenz sitzen, hat Bachmann just am 28. März, einen Tag nach der Landtagswahl, ein denkbar schlechtes Abschlusszeugnis ausgestellt. Da heißt es, dass die Beteiligung des Beirats an der Erstellung des zweiten Armuts- und Reichtumsberichts und an der Weiterentwicklung des Aktionsplans vom zeitlichen Ablauf her „absolut unzureichend“sei.
Der bis heute nur im Entwurf vorliegende zweite Armuts- und Reichtumsbericht zeige deutlich, dass sich die Armut im Saarland verschärft habe und die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gehe, so die Experten des Beirats. „Und dies mit Zahlen, die bereits vor der Corona-Pandemie erhoben wurden“, kritisiert der Beirat. Haben Bachmann und die vormalige CDU/SPD-Koalition den Bericht also bewusst unter der Decke gehalten und Zahlen aus der Corona-Zeit gar nicht erst erhoben, um die Wahlchancen nicht zu gefährden? Der
Beirat jedenfalls schrieb Bachmann ins Stammbuch: „Fast alle wichtigen Armuts-Indikatoren sind auf hohem Niveau geblieben.“
Dazu zähle etwa die Überschuldung. Vieles habe sich sogar noch weiter verschlechtert, etwa der fehlende Bau von Sozialwohnungen und das Armutsrisiko im Alter. „Und dies trotz relativ guter wirtschaftlicher Entwicklung im Berichtszeitraum 2013 bis 2019/20“, geben die Autoren des Beirats zu bedenken. In der jetzt vor uns liegenden Zeit werde der „Handlungsdruck wachsen“: nicht nur wegen der Kriegsfolgen, der Pandemie und des Klimawandels, sondern wegen der „Saarspezifika“Bevölkerungsentwicklung und industrielle Schwerpunkte. „Manifeste, strukturell bedingte Armut im Saarland ist kein Nischenthema“, betonen die im Beirat versammelten Sozial-Fachleute. Und fordern von der neuen SPD-Landesregierung, die Armut und soziale Ausgrenzung wirksamer zu bekämpfen, als es die Groko in den zehn Jahren zuvor getan hat.
Was sagt nun der neue Sozialminister Magnus Jung (SPD), der von Bachmann ein schwieriges Erbe übernommen hat? „Mit dem Wechsel der Hausspitze wird dem Thema Armutsbekämpfung eine stärkere Gewichtung gegeben“, erklärte Jung der SZ auf Anfrage. Als Sozialministerium werde man in der Amtszeit der SPD-Alleinregierung „einen Schwerpunkt setzen“. Dabei wolle er einen neuen, quartiersbezogenen Ansatz verfolgen, sagte Jung weiter. Soll heißen, dass sich die Arbeit Jungs offenbar auf Bereiche in Stadtquartieren von Saarbrücken, Völklingen oder Neunkirchen konzentriert.
Den von Bachmann auf seinem Schreibtisch hinterlassenen zweiten Armuts- und Reichstumsbericht, für den der Beirat eine lange Mängelliste erstellt hatte, will Jung noch „final“überarbeiten und vor den Sommerferien der Öffentlichkeit präsentieren. Der Berichtsentwurf Bachmanns, den ein externes sozialwissenschaftliches Institut erstellt habe, sei von Ministerium und Beirat gleichermaßen kritisiert worden. „Eine völlige Neufassung des Berichts ist nicht möglich, wesentliche Kritikpunkte werden vor der Veröffentlichung aber eingearbeitet“, räumte Jung ein. Der Beirat solle künftig mehr eingebunden werden. Jung sagte, er wolle den Beirat in Kürze zu einer neuen Sitzung unter seinem Vorsitz einladen.
Ziel der SPD-Landesregierung in der Armutspolitik sei eine „offensive Bekämpfung und eine deutliche Reduzierung der Armut innerhalb der nächsten fünf Jahre“, erklärte Jung. Er wolle den Fokus auf die Quartiere legen, die Gemeinwesenarbeit und außerschulische Jugendarbeit stärken und ein ressortübergreifendes Konzept präsentieren. Die Kindergrundsicherung im Saarland solle vorangetrieben werden, um die Einkommensarmut zu reduzieren, so Jung.