Grünen-Austritte kippen Jamaika-Mehrheit
Der Exodus bei den SaarGrünen geht weiter – erneut trifft es die Saarbrücker Stadtratsfraktion. Das schwarz-grün-gelbe Bündnis verliert dort durch Austritte die Mehrheit.
SAARBRÜCKEN Zwei Mitglieder der Grünen verlassen die Saarbrücker Stadtratsfraktion und wechseln zur SPD-Fraktion. Dabei handelt es sich um die Haushaltsexpertin Anja Wagner und den Umweltpolitiker Jérôme Lange, der nach dem Chaos-Parteitag vom Juni 2021 bis zu seinem Rücktritt kurzzeitig stellvertretender Landesvorsitzender der Grünen war und ursprünglich zum Lager von Ex-Parteichef Hubert Ulrich gehörte.
In einer am Freitagabend kurzfristig anberaumten gemeinsamen Sondersitzung von SPD-Stadtratsfraktion und SPD-Kreisvorstand wurde die Aufnahme der beiden gebilligt, wie die Fraktion mitteilte. Durch den Wechsel von Wagner und Lange kippt die Ratsmehrheit für die Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP.
Bei den Grünen gingen die Austritte am Freitagmorgen per Schreiben ein. Man bedauere es, zwei weitere Stadtverordnete verloren zu haben, teilten die Fraktionsvorsitzenden der Stadtratsfraktion, Claudia Schmelzer und Jeanne Dillschneider, am Mittag mit. Aber man wolle „deutlich machen, dass beide auf mehrfache Gesprächsangebote unsererseits in der Vergangenheit nicht eingegangen“seien. Es sei kein Wille erkennbar gewesen, sich in die Fraktionsarbeit „gewinnbringend“einzubinden. „Mit der Neuausrichtung der Partei sehen einige wohl keine Perspektive mehr für sich. Wir fordern die beiden auf, ihre Mandate abzugeben, die sie mit den Grünen gewonnen haben“, so
Schmelzer und Dillschneider in ihrer Mitteilung.
Ulrich Commerçon, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Saarbrücken-Stadt, sieht erneut ein „Trauerspiel“bei den saarländischen Grünen: „Es ist mehr als konsequent, dass die konstruktiven Kräfte innerhalb der Saarbrücker Grünen sich davon abwenden und ihre Sacharbeit in einem stabilen und verlässlichen Umfeld fortsetzen wollen.“Der Fraktionsvorsitzende Mirco Bertucci hört gar „Totenglöckchen“für das Jamaika-Bündnis von Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU); es sei „allerhöchste Zeit“, dass Conradt das „von Anfang an reine Zweckbündnis“beende. „Unser Saarbrücken braucht endlich Stabilität und Verlässlichkeit. Mit Jamaika geht das nicht – diese Koalition ist politisch am Ende!“, teilte Bertucci mit.
Was bedeuten die jüngsten beiden Austritte für die Mehrheiten? Jamaika stellt nur noch 31 von 63 Ratsmitgliedern. Mit Wagner und
Lange wächst die SPD-Stadtratsfraktion, die schon vorher stärkste Kraft im Rat war, auf 22 Mitglieder – hat aber weiterhin ebenfalls keine Mehrheit.
Auch ohne Mehrheit wollen die Koalitionsfraktionen CDU, Grünen und FDP die inhaltliche Arbeit zwischen den Parteien gemäß des Koalitionsvertrags fortsetzen. „Wir als CDU sind nach wie vor vertragstreu. Wir werden nun in den nächsten Tagen ausloten, wie die erfolgreiche Zusammenarbeit in der Koalition künftig ausgestaltet wird“, teilte Alexander Keßler, CDU-Fraktionsvorsitzender, mit. Auf Anfrage erklärte er näher, warum zumindest die CDU-Stadtratsfraktion jetzt gelassen bleibt. Rein rechnerisch habe Jamaika zwar durch den jüngsten Grünen-Doppelaustritt gerade die Mehrheit verloren. Aber: „Wir werden über das Wochenende Gespräche führen.“Denn nicht jeder, der im Stadtrat sitzt, gehört gerade einer Partei oder Fraktion an. „Wenn die SPD eine Mehrheit bilden will, müsste sie mit der AfD zusammenarbeiten. Da will ich mal sehen, wie sie das innerparteilich erklären wollen“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Keßler. Auf keinen Fall, sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Bertucci: „Mit der AfD arbeiten wir ganz sicher nicht zusammen.“Und über das Wochenende Gespräche führen, das will man auch bei der SPD. „Alles ist in der Schwebe, es gibt ja noch Parteilose. Wir müssen abwarten, was passiert.“
Die ehemaligen Grünen Wagner und Lange treffen in der SPDStadtratsfraktion auf einen früheren Mitstreiter: Der damalige GrünenStadtverordnete Tim Vollmer war Mitte Mai gewechselt. Mit ihm aus der Grünen-Fraktion war Margret Berwian ausgetreten, die nun als Fraktionslose im Rat ist. Die beiden Grünen-Doppelaustritte in der Stadtratsfraktion reihen sich in einen streitgespickten Exodus der Rück- und Austritte bei den Grünen im Saarland ein. Unter anderem war im vergangenen Jahr die erst im Juni 2021 neu gewählte Doppelspitze im Streit um die Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl nach kurzer Zeit wieder zurückgetreten: Ralph Rouget nach wenigen Tagen, Barbara Meyer-Gluche nach wenigen Wochen.